Nahost:Das Leiden der anderen

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Annalena Baerbock mit Ayman al-Safadi, jordanischer Außenminister. (Foto: IMAGO/Kira Hofmann/IMAGO/photothek)

Außenministerin Baerbock sichert in Jordanien Unterstützung für die Palästinenser in Gaza zu. Sie trifft auf wenig Verständnis dafür, dass Israel Opfer des Hamas-Terrors ist und ein Verteidigungsrecht hat.

Von Paul-Anton Krüger, Amman

Irgendwann hält Jordaniens Außenminister Ayman al-Safadi die kleine Plastikflasche hoch, die auf seinem Rednerpult im Pressesaal des Außenministeriums in Amman steht. Nicht einmal einen solchen Schluck Wasser könnten die Angehörigen der palästinensischen Flüchtlinge, mit denen er und Bundesaußenministerin Annalena Baerbock gerade geredet haben, im Gazastreifen bekommen. Ein Mann habe in dem Gespräch berichtet, dass er allein in diesem Krieg 53 Angehörige verloren habe, ein 14-jähriges Mädchen drei seiner Tanten. Es sind Palästinenser, die vor Jahren schon hierher geflohen sind, aber an Tag 13 des Krieges zwischen der Hamas und Israel um ihre Verwandten in dem Palästinensergebiet bangen.

In Jordanien leben mehr als zwei Millionen registrierte palästinensische Flüchtlinge, aber weit mehr Menschen haben palästinensische Wurzeln. Kein anderes Nachbarland ist von dem Krieg so stark betroffen, so traumatisiert und in seiner eigenen Stabilität gefährdet. Jordaniens Muslimbrüder rufen zu einem Marsch an die Grenze auf, in Amman protestieren Tausende in den Straßen, es brodelt im ganzen Land.

Baerbock weiß um das Leid der palästinensischen Zivilbevölkerung; sie hat sich am Donnerstagnachmittag in der jordanischen Hauptstadt zunächst vom Chef des UN-Palästinenserhilfswerks UNRWA, Philippe Lazzarini, die "extrem verzweifelte Lage" im Gazastreifen schildern lassen. Mehr als eine Million Binnenvertriebene, nach Angaben der von der Hamas kontrollierten Gesundheitsbehörden 3700 Tote, seit zwei Tagen kein fließendes Wasser mehr, eine totale Belagerung durch Israel und kein Platz, an dem die Menschen sicher seien, so seine Bilanz.

50 Millionen Euro Soforthilfe für Gaza

Die Außenministerin ist nach Jordanien gekommen, um zu demonstrieren, dass Deutschland, dass der Westen diese Menschen nicht vergessen hat, ungeachtet aller Unterstützung für Israel. "Wir in Europa, wir in Deutschland, wir sehen dieses Leid", sagt sie, "ich als Außenministerin und Mensch sehe dieses Leid." Groß ist die Sorge, dass sich die Partner des Westens in der Region notgedrungen abwenden, getrieben vom Druck der eigenen Bevölkerung.

Und so spricht Baerbock davon, dass sie sich Tag und Nacht dafür einsetze, dass humanitäre Hilfe zu den Menschen gelangt, Wasser und Nahrung, Medikamente und Treibstoff, der so wichtig ist, um medizinische Versorgung leisten zu können und um Strom für die Wasserpumpen zu haben. Es zerreiße ihr das Herz, dass Mütter ihren Kindern Brackwasser zu trinken geben müssten, damit sie nicht verdursten, sagt sie.

50 Millionen Euro Soforthilfe zusätzlich kündigt Baerbock in Amman an, um das Leid zu mindern. Geld für internationale Organisationen, wie das Welternährungsprogramm, das UN-Kinderhilfswerk Unicef und vor allem UNRWA, damit "unschuldige Frauen, Männer und Kinder im Gazastreifen" versorgt werden können, sagt Baerbock. Der Grenzübergang Rafah nach Ägypten müsse so rasch wie möglich geöffnet werden, damit die Hilfe "die Palästinenserinnen und Palästinenser, die auch Opfer dieses terroristischen Angriffs der Hamas geworden sind", erreichen könne.

Schwieriger Perspektivwechsel

Die Palästinenser in Gaza als Opfer der Hamas zu identifizieren, nicht als Opfer Israels, ist der Versuch, eine Perspektive aufzuzeigen, die hier in Jordanien die wenigsten teilen - und damit die Haltung des Westens zumindest nachvollziehbar zu machen. Sie sei überzeugt, dass man auch nicht zu einem gerechten und dauerhaften Frieden für Israel und Palästinenser kommen werde, wenn "wir nicht in der schwersten Stunde und der größten Not bereit sind, sich in die Schuhe des anderen zu stellen", sagt Baerbock.

So warnt sie, ohne Vorbehalt der Hamas zu glauben - etwa bei der Frage nach der Verantwortung für die Explosion im Al-Ahli-Arab-Krankenhaus in Gaza-Stadt. Etliche Indizien sprechen dafür, dass nicht Israel für die Toten verantwortlich ist, sondern die Militanten der Terrorgruppe Islamischer Dschihad. Doch Jordanien hat Israel verantwortlich gemacht und Staatstrauer angeordnet.

Schon das will kaum jemand hören hier, und noch weniger, was dann noch kommt, nicht einmal ihr Außenminister-Kollege, der als Pragmatiker gilt: Der Terror der Hamas ist das Grundübel, sagt Baerbock. Sie berichtet von einem Vater, den sie bei ihrem Besuch in Israel getroffen hatte, dessen Frau und die beiden Töchter die Hamas verschleppt hat, als sie auf dem Weg zu den Großeltern waren. Sie erzählt, wie sie sich vor den Raketen der Hamas in Sicherheit bringen musste. Der Terror müsse bekämpft werden, sagt sie, "sonst wird es keinen Frieden und keine Sicherheit" geben - weder für Israelis noch für Palästinenser.

Sorge vor der regionalen Eskalation

Doch jede Empathie, wenn es sie denn gibt, wird überdeckt von dem, was mit den Palästinensern geschieht. Safadi entgegnet sogleich mit der Frage, wie 4000 tote Palästinenser und 98 000 zerstörte Wohnungen noch durch Selbstverteidigung zu rechtfertigen seien. Beide, Baerbock und ihr jordanischer Kollege, waren sich im Klaren darüber, dass man bei allem Werben für Verständnis, in diesen Fragen nicht einer Meinung sein würde - die beiden hatten sich schon in ihrem bilateralen Gespräch darauf eingestellt.

Welchem Druck sich die Regierung gegenübersieht, zeigt sich an einer Frage eines jordanischen Journalisten: Ob bei einer Vertreibung der Palästinenser aus dem Gazastreifen der Friedensvertrag mit Israel zur Disposition stehe, will er von Safadi wissen - und ob die Regierung wirklich alles tue, um den Krieg zu beenden. Die Vertreibung sei eine rote Linie, sagt Safadi, die Palästinenser hätten ein Recht darauf, in ihrem Land zu bleiben.

Wenn die Frage impliziere, dass Jordanien dem Krieg beitreten solle, müsse man beachten, dass eine Ausweitung nicht im Interesse der Palästinenser wäre oder Jordaniens, sondern es nur noch mehr Opfer geben werde.

Da ist er sich wieder sehr einig mit dem Gast aus Berlin; auch Baerbock warnt eindringlich vor einer regionalen Eskalation. Diplomatie müsse die Lösung sein und eine Zweistaatenlösung das Ziel, sagt Safadi. Das entspreche vielleicht nicht den Emotionen der Jugend und erscheine weiter entfernt denn je. Doch eine bessere Idee gibt es nicht an Tag 13 des Krieges. Und wohl auch nicht, wenn er vorbei sein wird.

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