Das Politische Buch:Repression und Frustration

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"Nieder mit Frankreich": Unterstützer des Militärputsches in Nigers Hauptstadt Niamey im August 2023. (Foto: Mahamadou Hamidou/Reuters)

Der Menschenrechtsaktivist Moussa Tchangari erklärt, wie die Sahelzone in die Krise geriet und was westliche Staaten damit zu tun haben. Wie man das Los der Bevölkerung verbessern könnte, interessiert weder die Machthaber noch die Europäer.

Rezension von Judith Raupp

Der nigrische Menschenrechtsaktivist Moussa Tchangari sieht die Länder der Sahelzone in der "schwerwiegendsten Krise" seit der Unabhängigkeit in den Sechzigerjahren. Es sei das erste Mal, dass Terroristen sogar in Hauptstädten Anschläge verüben, einheimische Armeen die Kontrolle über Teile des Staatsgebiets verlieren und dass ausländisches Militär zu Hilfe gerufen wird.

Tchangari, Generalsekretär der Organisation Alternative Espaces Citoyens, will mit seinem Buch "Sahel" zeigen, weshalb diese Krise auch Europa angeht. Allerdings suggeriert der Untertitel "Warum die Krisenregion auch ein europäisches Problem ist", dass der Autor auf diese Frage eine klare Antwort hätte. Das ist nicht der Fall. Tchangari beschränkt sich auf die Analyse, wie die Konflikte in der Sahelzone entstanden sind und welchen Anteil die Weltpolitik daran hat. Erfrischend dabei ist, dass der Autor aus der Region stammt.

Tchangari benennt die Schwäche des Aktionsplans zur Bekämpfung des gewalttätigen Extremismus, den die Vereinten Nationen 2016 verabschiedet haben. Regierungen in der Sahelzone haben ihn genutzt, um repressiv gegen die Bevölkerung vorzugehen. Gleichzeitig sind soziale und ökonomische Reformen ausgeblieben, die der Jugend eine Perspektive verschafft hätten.

Moussa Tchangari: Sahel. Warum die Krisenregion auch ein europäisches Problem ist. Übersetzt von Christoph Birk Schermelleh und Lea Mara Eßer. Westend-Verlag, Frankfurt 2023. 144 Seiten, 16 Euro. E-Book: 12,99 Euro. (Foto: Westend-Verlag)

Die Frustration junger Menschen treibt den dschihadistischen Terrorgruppen Anhänger in die Arme. Sie führt zudem dazu, dass große Teile der Bevölkerung die jüngsten Militärputsche in mehreren Sahel-Ländern begrüßen. Laut Tchangari sind die Menschen enttäuscht von den bisherigen vermeintlich demokratischen Regierungen, die eher an ihr eigenes Wohl als an die Bevölkerung denken.

Tchangari befürchtet, dass die Militärmachthaber autoritäre Regime etablieren, die ebenfalls nur ihre eigenen Interessen verfolgen. So habe das Militär in Niger geputscht, weil es innerhalb der Regierung Streit um die Öleinnahmen gegeben habe, nicht etwa, um soziale Missstände zu bekämpfen. Tchangari nennt den hohen Anteil an Analphabeten in den Sahel-Ländern ein Hindernis für die Demokratisierung und wirft den Regierungen vor, die Bildung vernachlässigt zu haben.

Der Westen interveniert auch militärisch

Der Autor spricht aber auch dem Ausland einen Teil der Verantwortung zu, weshalb die Sahelzone in den 2000er-Jahren in die Krise gerutscht ist. So wolle Europa vor allem Migration verhindern und interessiere sich sonst kaum für die Menschen im Sahel. Außerdem hätten Staaten wie Frankreich oder die USA - zum Teil militärisch - interveniert, um den Zugang zu Ressourcen zu sichern. Tchangari führt als Beispiel das Öl in der Tschadsee-Region an. Dort tragen die USA und Frankreich nach Ansicht des Autors ihren Wirtschaftskrieg gegen China aus.

Über manche Argumente Tchangaris kann man streiten, zum Beispiel darüber, inwieweit die USA in die Teilung des Sudan verwickelt waren. Tatsache ist allerdings, dass westliche Länder ihren Ruf in vielen Regionen Afrikas verspielen, weil sie egoistische Interessen verfolgen. Demokratie und Wohlstand bleiben damit auf der Strecke. Den Preis bezahlt vor allem die lokale Bevölkerung.

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