AfD-Erfolg in Pirna:Die Schuld der anderen

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Jörg Urban (re.), Vorsitzender der AfD in Sachsen, hat den Oberbürgermeister-Kandidaten Tim Lochner aktiv unterstützt. Jetzt können sich beide freuen. (Foto: Sebastian Kahnert/DPA)

Die AfD feiert im sächsischen Pirna ihren ersten Erfolg bei einer Oberbürgermeisterwahl. Das Ergebnis stellt vor allem die CDU vor Probleme.

Von Iris Mayer, Leipzig

Man kann die Größe eines Wahlerfolges in nüchternen Zahlen messen, am Jubel der eigenen Anhänger oder an den gegenseitigen Schuldzuweisungen der Verlierer. In der sächsischen 40 000-Einwohner-Stadt Pirna lohnt sich ein Blick auf alle drei Kategorien. Die AfD jubelte am Sonntag, weil ihr Kandidat Tim Lochner den ersten OB-Sessel für den gerade als rechtsextrem eingestuften Landesverband erobert hat. "Das ist eine Steilvorlage für unsere Partei für das nächste Jahr", sagte Landeschef Jörg Urban der Deutschen Presse-Agentur, "wir wollen hier in Sachsen gewinnen, wir wollen deutlich gewinnen, wir wollen an die 40 Prozent rankommen".

Schaut man auf die Zahlen, fällt die Steilvorlage nicht ganz so beeindruckend aus, wie die AfD dies gern hätte. Der parteilose Lochner bekam im zweiten Wahlgang 38,5 Prozent, mehr als 60 Prozent der Abstimmenden haben den AfD-Kandidaten und früheren CDU-Mann also nicht gewählt. Und fast jeder zweite Wahlberechtigte ging gar nicht erst zur Abstimmung.

Lochner profitierte vor allem von einer Besonderheit im sächsischen Kommunalwahlrecht: Dort dürfen bei Bürgermeisterwahlen in der zweiten Runde alle Kandidaten noch einmal antreten und nicht nur die beiden Erstplatzierten. Mit Ralf Thiele für die Freien Wähler und Kathrin Dollinger-Knuth (CDU) entschieden sich in Pirna zwei zum Weitermachen, beide kamen am Sonntag auf etwas über 30 Prozent. Und es dauerte nicht lange, bis CDU und Freie Wähler die Schuld im jeweils anderen Lager suchten und fanden.

"Steigbügelhalter für die AfD"

Freie-Wähler-Chef Thomas Weidinger kritisierte die CDU am Montag scharf. Sie habe es nicht fertiggebracht, sich nach dem ersten Wahlgang hinter Thiele zu stellen. "Stattdessen hat man mit dem nochmaligen Antritt der CDU-Kandidatin bewusst in Kauf genommen, für die AfD den Steigbügelhalter zu spielen." Dollinger-Knuth, die im zweiten Wahlgang auch SPD, Grüne und Linke unterstützten, sagte am Sonntagabend: "Obwohl wir fast alle Kräfte hinter unserem politischen Angebot versammelt haben, hat sich der Wähler anders entschieden. Leider haben sich die Freien Wähler entschlossen, allein weiterzumachen und damit den Weg für einen AfD-Erfolg geebnet." Beides müsse man akzeptieren.

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Die AfD hatte im Sommer im thüringischen Sonneberg erstmals eine Landratswahl gewonnen, in Raguhn-Jeßnitz (Sachsen-Anhalt) setzte sich ihr Kandidat bei der Bürgermeisterwahl durch. Bei den OB-Wahlen in Nordhausen (Thüringen) und Bitterfeld-Wolffen (Sachsen-Anhalt) verlor die AfD dagegen zuletzt, auch weil alle anderen Parteien den jeweiligen Amtsinhaber unterstützten. Nächstes Jahr wird in Sachsen - genau wie in Thüringen und Brandenburg - ein neuer Landtag gewählt. In jüngsten Umfragen liegt die AfD gleichauf mit der CDU, die seit 1990 durchgehend den Ministerpräsidenten in Sachsen stellt und aktuell in einer Kenia-Koalition mit SPD und Grünen regiert.

Sachsens Innenminister Armin Schuster (CDU) schrieb auf der Plattform X (vormals Twitter), ein Ergebnis unter 40 Prozent sei "kein grandioser AfD-Erfolg", der Landtagsabgeordnete Sebastian Fischer erkannte eine klare Aufgabe für die Landtagswahl: "Wir als CDU Sachsen werden kämpfen." Die grüne Bundestagsabgeordnete Paula Piechotta schrieb auf X, sie könne alle verstehen, die ihre Kandidatur nicht zugunsten der Freien Wähler zurückziehen wollten, "aber noch mal darf man derartiges nicht machen".

Zur Landtagswahl im kommenden Jahr wollen die Freien Wähler in Sachsen erstmals in den Landtag einziehen. Sie setzen auf einen in Sachsen bestens bekannten und beliebten Spitzenkandidaten: Matthias Berger, den Oberbürgermeister von Grimma, der einem bundesweiten Publikum seit dem Jahrhunderthochwasser 2002 bekannt sein dürfte. Davor sind allerdings noch Kommunalwahlen, die am 9. Juni parallel zu den Europawahlen stattfinden. Sachsens AfD-Chef Urban hat bereits angekündigt, dass die AfD wie jetzt in Pirna vielerorts parteilose Kandidaten ins Rennen schicken könnte. "Wir werden sicherlich in der Kommunalwahl nächstes Jahr viele ähnliche Konstellationen haben - dass Menschen auf unseren Listen stehen, die nicht unbedingt AfD-Mitglied sind und die gute Ergebnisse bringen werden", sagte Urban.

Auschwitz-Komitee beklagt "bitteres Signal"

Von der Einschätzung des Verfassungsschutzes, der die sächsische AfD vor eineinhalb Wochen als gesichert rechtsextremistisch einstufte, zeigte sich Urban unbeeindruckt. Nach Überzeugung der Verfassungsschützer wird auch der Landesverband Sachsen vom früheren Flügel und dessen geistigem Vater und Anführer Björn Höcke aus Thüringen dominiert. In Sachsen verstoßen zahlreiche inhaltliche Positionen nach Auffassung der Verfassungsschützer gegen die Grundprinzipien der freiheitlich demokratischen Grundordnung, etwa die in Artikel 1 des Grundgesetzes verankerte Menschenwürde.

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Entsprechend sorgenvoll reagierte das Internationale Auschwitz-Komitee am Montag auf den Wahlausgang. Das Ergebnis sei "ein bitteres Signal an alle Repräsentantinnen und Repräsentanten der demokratischen Parteien", erklärte Exekutiv-Vizepräsident Christoph Heubner. Dies sei möglich, wenn sich die demokratischen Parteien nicht auf ein gemeinsames Vorgehen einigen könnten und der AfD das Feld überließen.

Wahlsieger Lochner kündigte an, er werde als erste Amtshandlung auf einen Dienstwagen verzichten und wolle bald alle Mitarbeiter im Rathaus möglichst persönlich kennenlernen - und auf ihre Loyalität prüfen.

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