AfD und Migration:Anspruch auf Problem Nummer eins

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Hat der AfD mit seinen Aussagen über zahnarztbesuchende Asylbewerber vielleicht eher einen Gefallen getan, als das Thema erfolgreich für die Union zu reklamieren: CDU-Chef Friedrich Merz. (Foto: Liesa Johannssen/Reuters)

Die hohe Zahl an Zuwanderern kommt der AfD gelegen: Migranten sind wieder ihr Erfolgsthema - und das soll die Union ihr nicht abjagen. Die Angriffe, besonders auf Friedrich Merz, werden schärfer.

Von Roland Preuß, Berlin

Die AfD will sich das Thema jetzt nicht wegschnappen lassen. Also sagt der AfD-Innenpolitiker Martin Hess diese Woche zu einem Antrag seiner Partei im Bundestag: "Für die AfD gibt es auch eine Obergrenze und die ist genau null." Null statt der 200 000 Migranten im Jahr, die zuvor CSU-Chef Markus Söder gefordert hatte. Bei Hess, einem stämmigen Polizisten aus Baden-Württemberg, klingen damit schon die wichtigsten Rezepte an, wie die AfD in der aktuellen Asyldebatte möglichst viele Wählerstimmen einsammeln will.

Die Ablehnung der vielen Asylsuchenden und Migranten, die in Deutschland ankommen, sollen bei den anstehenden Wahlen in Hessen und Bayern endlich die Balken für die AfD-Ergebnisse in die Höhe treiben und nicht die von CDU und CSU. Aus AfD-Sicht gilt es, die Union als watteweiche Kopie der AfD darzustellen und die Parteichefs Friedrich Merz und Markus Söder mit schärferen Forderungen zu übertönen.

Die Zahl der Zuwanderer verdrängt andere politische Themen

Für die heute in Teilen rechtsextreme AfD waren Asyl und Zuwanderung schon bald nach ihrer Gründung 2013 die größte Welle, die sie zu ihren Wahlsiegen trug. Im Sommer 2015 war die Partei nach Streit und Spaltung in Umfragen auf drei Prozent abgesunken, mit der Flüchtlingskrise tauchte sie wieder auf und stieg binnen weniger Monate auf mehr als zehn Prozent. Der damalige AfD-Parteivize Alexander Gauland sagte, man könne "diese Krise ein Geschenk für uns nennen". Die AfD hatte mit ihrer harten Linie gegen Asylsuchende wieder ein Thema gefunden. "Das Thema Asyl ist auch jetzt für die AfD extrem bedeutsam", sagt Wolfgang Schroeder. Der Politikwissenschaftler von der Universität Kassel beobachtet die Partei seit Jahren. Migration sei seit 2015 "das zentrale Thema der AfD, um weitere Wähler zu gewinnen", sagt der Professor.

Die hohen Zuwandererzahlen verdrängen derzeit wieder andere Themen von der politischen Bühne. In Bayern, so berichtete das ZDF-Politbarometer am Freitag, werde Asyl, Flucht und Integration mit 37 Prozent als das wichtigste Problem wahrgenommen, Herausforderungen bei Energie und Klima (30 Prozent) stehen jetzt auf Platz zwei.

Die AfD-Führung könnte sich jetzt zurücklehnen und darauf bauen, dass ihr die Wähler von alleine zuströmen. Doch darauf will man sich offenbar nicht verlassen. Die Partei hat bereits andere Erfahrungen gemacht, etwa in Berlin. Auch da sah es nach heftigen Angriffen auf Polizisten und Feuerwehrleute in der Silvesternacht, für die auffällig viele Migranten und junge Deutsche aus Zuwandererfamilien verantwortlich gemacht wurden, danach aus, als könnte die AfD davon profitieren. Die CDU fragte im Berliner Innenausschuss nach den Vornamen von Tatverdächtigen mit deutscher Staatsangehörigkeit, was nicht nur Empörung bei SPD, Grünen und Linken hervorrief, sondern auch bei der AfD - nur dass diese kritisierte, die CDU habe die Idee von ihr geklaut. Bei der Wiederholungswahl zum Abgeordnetenhaus Mitte Februar konnte die CDU starke Zugewinne verbuchen, natürlich aus verschiedenen Gründen, die AfD wuchs dagegen nur geringfügig.

Zahn-OPs auf Steuerzahlerkosten "habe erst die CDU ermöglicht", giftet die AfD

Entsprechend giftet die AfD-Führung nun gegen die Union. Insbesondere gegen Friedrich Merz, der das Thema besetzen will, etwa mit der jüngsten Behauptung zu abgelehnten Asylbewerbern, die sich bei deutschen Ärzten "die Zähne neu machen" ließen, während die deutschen Bürger keine Termine bekämen. Solche Zahn-OPs auf Steuerzahlerkosten "habe erst die CDU ermöglicht", postete die AfD mit einem Bild von Merz auf ihren Social-Media-Kanälen wie X (früher Twitter) und Facebook. Die sozialen Netzwerke sind ein zentrales Instrument der AfD, um Anhängern und potenziellen Wählern ihre Weltsicht nahezubringen. "Der eigentliche Hauptgegner der AfD ist die CDU", sagt Schroeder.

Zentrales Motiv ist immer wieder die Asylpolitik der damaligen Kanzlerin Angela Merkel, die viele heutige AfD-Anhänger von der CDU entfremdete. Diese Entfremdung möchte die AfD lebendig halten. Die Union soll sich nicht erfolgreich als eine bürgerliche Alternative zur AfD präsentieren können, welche die Migration mindestens genauso begrenzen könne wie die Rechtsaußenpartei, als Alternative "mit Substanz", wie Merz jüngst sagte. "Plötzlich werden Merkels Migranten unbequem: Die #CDU ist keine Alternative", ätzt die Bundes-AfD.

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Der AfD-Mann Hess skizzierte diese Woche, was dies konkret bedeuten würde. Die AfD-Fraktion will Kontrollen an den Grenzen, um Migranten möglichst zurückzuweisen - ein Vorgehen, das Fachleute im Fall von Asylsuchenden für rechtswidrig halten. Man will "Gewahrsamszentren" an den Grenzen einrichten, die dann von Aufnahmezentren an den EU-Außengrenzen oder in Drittländern abgelöst werden sollen. CDU und CSU, sagte Hess im Bundestag, versuchten jetzt, mit AfD-Vorschlägen auf Stimmenfang zu gehen. Da war sie wieder, die Angst vor der Kopie. Das Original, sagte Hess, das sei die AfD.

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