Die AfD startet zunächst ohne Spitzenkandidaten in den Wahlkampf für die Bundestagswahl im Herbst. In Dresden votierte am Samstag eine knappe Mehrheit der Delegierten gegen eine Spitzenkandidaten-Kür auf dem Bundesparteitag. Stattdessen soll nun die Parteibasis in den kommenden Wochen zwei Kandidaten für ein Spitzen-Duo bestimmen. Darauf verständigten sich die rund 570 Delegierten, die sich trotz der Corona-Pandemie zu einem Präsenz-Parteitag in Dresden versammelt haben. Parteichef Jörg Meuthen sagte in seiner Eröffnungsrede, die AfD wolle mit diesem Parteitag "zeigen, dass diese Verbotsorgien, dieses Einsperren, diesen Lockdown-Wahnsinn, dass es all das nicht braucht, wenn man den Menschen vertraut".
Mit großer Mehrheit verabschiedete die Partei eine "Corona-Resolution", in der das Ausmaß der Bedrohung durch die Pandemie in Frage gestellt und den Regierenden eine "Politik der Angst" vorgeworfen wird. In dem 9-Punkte-Papier zweifelt die AfD die Aussagekraft der PCR-Tests an. Die Tests seien allein nicht geeignet, um eine Infektion sicher nachzuweisen, behauptet die Partei. Sie fordert, den "staatlich verordneten Lockdown zu beenden". Nach ihrer Auffassung soll es Bürgern "selbst überlassen bleiben, in welchem Maße sie sich selbst schützen möchten". In Teilen der AfD wird das Tragen von Masken und insbesondere eine Maskenpflicht vehement abgelehnt. Für diese Resolution warb intensiv auch der Partei-Rechtsaußen Björn Höcke, der von einer "herbeigetesteten Pandemie" und "Test-Wahnsinn" sprach.
Paukenschlag vor AfD-Parteitag:Weidel tritt nicht als Spitzenkandidatin an
Alice Weidel galt auf dem Parteitag in Dresden als große Hoffnung der äußerst Rechten in der Partei. Jetzt zieht sie sich jedoch vorerst aus dem Rennen um die Spitzenkandidatur für die Bundestagswahl zurück - mit einem Seitenhieb auf den Parteichef.
Im Wahlprogramm: Deutschlands EU-Austritt
Ab dem frühen Nachmittag debattierte die AfD dann über ihr Wahlprogramm für die Bundestagswahl, das der Parteitag an diesem Wochenende beschließen wollte. Dabei setzte sich eine Gruppe von vehementen Kritikern der Europäischen Union durch, die sich für den Austritt Deutschlands aus der EU aussprachen. "Wir halten einen Austritt Deutschlands aus der Europäischen Union und die Gründung einer neuen europäischen Wirtschafts- und Interessengemeinschaft für notwendig", soll es nun im Wahlprogramm heißen. Der AfD-Fraktionsvorsitzende Alexander Gauland und Parteichef Jörg Meuthen hatten die Delegierten zuvor darum gebeten, eine gemäßigte Position zu beschließen.
Am ersten Tag des Treffens blieben anders als auf den letzten Parteitagen größere Auseinandersetzungen zwischen den Lagern der Partei aus. Vertreter der Lager hatten zuvor signalisiert, dass ein möglichst harmonischer Einstieg in den Wahlkampf angestrebt werde. Zugleich fiel auf, dass Björn Höcke, der führende Exponent des äußerst rechten Flügels, sich intensiver als sonst an den Debatten beteiligte.
Höcke sprach sich unter anderem dafür aus, im Wahlprogramm die Auflösung des Verfassungsschutzes zu fordern - er scheiterte mit dieser Forderung an der Mehrheit des Parteitags. Die AfD will statt dessen nun fordern, dass der Verfassungsschutz "schnellstmöglich auf den Prüfstand gestellt und reformiert werden" solle. Höcke steht wie weite Teile der AfD wegen seiner extremen Rechtslastigkeit seit längerem im Fokus des Verfassungsschutzes. Die AfD behauptet dagegen, dass der Inlandsgeheimdienst von den Regierenden missbraucht werde, um gegen die Partei vorzugehen.
Parteichef Meuthen übersteht einen Antrag auf seinen Sturz
Zur Frage der Spitzenkandidatur soll der Parteivorstand ein Wahlverfahren bestimmen, damit die Basis in den nächsten Wochen zwei Kandidaten auswählen kann. Als Kandidaten gelten unter anderem Tino Chrupalla, der aus Sachsen stammende Ko-Vorsitzende der Partei, der zu den internen Widersachern Meuthens zählt. Mit Meuthens Unterstützung will die hessische Bundestagsabgeordnete Joana Cotar sich als zweite Spitzenkandidatin bewerben. Offen ist, welche Chancen die amtierende Bundestagsfraktionsvorsitzende Alice Weidel hat, der aus Fraktionskreisen Führungsschwäche und fehlende Präsenz vorgeworfen werden. Weidel führte 2017 gemeinsam mit dem heutigen AfD-Ehrenvorsitzenden Gauland die AfD in den Wahlkampf.
Am Samstagmorgen machte Weidel klar, dass sie auf dem Parteitag in Dresden nicht zu einer Wahl antreten würde - unter Verweis auf das umstrittene Wahlverfahren. Bei dem nun anstehenden Mitgliedervotum könnte Weidel gemeinsam mit Chrupalla zum Zug kommen - es ist eine Konstellation, die vor allem das äußerst rechte Lager der Partei vertreten würde. Das Lager um Parteichef Meuthen lehnt diese Lösung deshalb ab.
In seiner Eröffnungsrede kündigte Meuthen an, die AfD als Anti-Verbotspartei in den Wahlkampf zur Bundestagswahl zu führen und griff die Bundesregierung, aber auch die Grünen scharf an. Kurz darauf scheiterte ein Antrag von 50 Mitgliedern, Meuthen noch auf dem Parteitag als Parteichef zu stürzen. Der Parteitag lehnte es ab, sich mit diesem Antrag überhaupt zu beschäftigen. Seit der Wutrede Meuthens auf dem vergangenen Parteitag Ende November in Kalkar würde ihn die äußerste Rechte in der Partei gerne loswerden. Er hatte sie dort heftig kritisiert. Die Rechten sehen sich seitdem an den Rand gedrängt. Schon seit Monaten stehen sich die Anhänger des vom Verfassungsschutz als rechtsextrem eingestuften und offiziell inzwischen aufgelösten "Flügels" und die weniger Radikalen um Meuthen unversöhnlich gegenüber.
Der Entwurf zum Wahlprogramm dokumentiert den rechten Kurs der AfD. Die Partei kündigte an, mit dem Slogan "Deutschland. Aber normal" in den Wahlkampf zu ziehen. Der Entwurf macht klar, was die Partei als normal definiert. Sie strebt den Ausstieg aus dem Euro an. Außerdem will sie den Ausbau der Beziehungen zu Russland und die Rückkehr zur Wehrpflicht. Deutschland dürfe kein "Asylparadies" sein, heißt es weiter. Die humanitäre Aufnahme müsse auf "vom Bundestag ausgewählte, besonders schutzbedürftige Personen" beschränkt werden.
Auch eine strengere Klimapolitik lehnt die AfD ab. Zwar bestreitet die Partei den Klimawandel nicht, bezweifelt aber die von der Wissenschaft dokumentierten und vorausgesagten Folgen. "Statt einen aussichtslosen Kampf gegen den Wandel des Klimas zu führen, sollten wir uns an die veränderten Bedingungen anpassen, so wie es Pflanzen und Tiere auch tun", heißt es im Programmentwurf. Von "Rechtsextremisten" ist dagegen nur an einer einzigen Stelle die Rede. Im Kapitel, das dem Thema "Innere Sicherheit" gewidmet ist, kommt es nicht zur Sprache. Die AfD hatte in den vergangenen Monaten einen klaren Kurs gegen Rechtsextremisten in den eigenen Reihen vermissen lassen.
Am Rande des Parteitages gab es Proteste. Nach Angaben der Polizei hatten sich etwa 100 Menschen an einem Fahrradkorso beteiligt. Später blockierten sie eine Zufahrtsstraße zum Messegelände, so dass viele Teilnehmer des Parteitages einen Umweg nehmen mussten. Der Parteitag begann mit Verspätung. Auch unmittelbar vor der Messehalle protestierten Dutzende Menschen gegen die Politik der AfD.