SZ-Kolumne "Mitten in ...":"Siehst du mich jetzt?"

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Ein SZ-Autor wird in der Münchner S-Bahn Zeuge eines denkwürdigen Videotelefonats mit abruptem Ende. Drei Anekdoten aus Deutschland und Europa.

Mitten in ... Pullach

Illustration: Marc Herold (Foto: N/A)

Videotelefonie ist nicht immer von Vorteil. Besonders in einer vollbesetzten S-Bahn, die abwechselnd über- und unterirdisch fährt. Dem jungen Mann auf dem Sitz gegenüber ist es jedenfalls sehr wichtig, dass Bild und Ton perfekt funktionieren, bevor sein Gespräch beginnen kann. "Siehst du mich jetzt?" "Nein, ich sehe nichts", scheppert die Stimme einer Frau aus dem Lautsprecher. Der halbe Waggon hört mit. "Du musst die Kamera anschalten." "Warte, Moment ... ich kann dich nicht mehr hören!" Nach 20 Minuten steht die Verbindung endlich: "Ah, jetzt sehe ich dich perfekt!" Jetzt ist man dann doch sehr gespannt, um was es da geht. Geschäftliche Verhandlungen um mehrere Millionen Euro? Ein Heiratsantrag? "Okay, gibt's was Neues?", fragt der Mann auf der Höhe von Pullach. "Nö, eigentlich nicht." "Na gut, ich bin sowieso in zehn Minuten zu Hause." Ende der Konferenz. Titus Arnu

Mitten in ... London

Illustration: Marc Herold (Foto: N/A)

Was ist typisch britisch? Zum Beispiel bei einstelligen Plusgraden im Spaghettiträger-Shirt herumzulaufen, nur weil gerade die Herbstsonne durch die Wolken spitzt. Eher pseudo-britisch sind hingegen die Souvenirs im Andenkenladen hinter der Westminster Bridge. Harry-und-Meghan-Tassen, Socken mit roten Telefonzellen, Boris Johnson als Pappmaske. Aber gut, irgendwas muss man ja mitbringen, wenn man ohne die Kinder verreist. Immerhin der Geruch im Laden ist britisch, Fish and Chips, untermalt von einer Erbsenpüree-Note. Gibt es hier Wunderbäume mit Pub-Aroma? Das wär's! Aber nein, der Geruch stammt vom Mittagessen des Ladenbesitzers hinter der Kasse. Dankenswerterweise wischt er sich die Finger ab, bevor er die Einkäufe in die Tüte packt, und entschuldigt sich kauend. Ist das jetzt etwa die typisch britische Höflichkeit? Nadeschda Scharfenberg

Mitten in ... Luxemburg

Illustration: Marc Herold (Foto: N/A)

Nach Luxemburg nimmt man am besten den Bus von Saarbrücken. 75 Minuten dauert die Fahrt, genug Zeit, um mit dem Münchner Kollegen das bevorstehende Interview vorzubereiten. Europa, der Rechtsstaat, Polen - es gibt viel zu besprechen. Wir gleichen unsere Standpunkte ab, tauschen Beobachtungen aus, prüfen Argumente. Wir reden uns in Fahrt und werden dabei immer lauter. Dann dreht sich plötzlich einer um, zwei Reihen vor uns. Oje. Mittelalter Mann, ein wenig zerzaust. "Tschuldigung", sagt er, "ich konnte einfach nicht weghören. Jetzt hätte ich nun auch mal eine Frage: Wie ist das mit der Souveränität, auf die sich Polen beruft?" Guter Punkt, wir diskutieren zu dritt weiter. Ein bisschen erleichtert, ein wenig bereichert. Wir haben die Frage nachher auch dem Präsidenten des Europäischen Gerichtshofs gestellt. Wolfgang Janisch

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