Klimawandel:Extremwetter-Jahr: Von Wassermassen und Wirbelstürmen

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Ein Mann trägt im Januar in Merced, Kalifornien, Habseligkeiten aus seinem überfluteten Haus. (Foto: Noah Berger/AP/dpa)

Tödliche Wirbelstürme, riesige Waldbrände und Überschwemmungen: Der Klimawandel macht Extremwetterereignisse wahrscheinlicher - das hat die Welt im Jahr 2023 deutlich zu spüren bekommen.

Von Christine Cornelius, dpa

Berlin (dpa) - Auf der Suche nach einem Wort für 2023 drängt sich „Extremwetter“ geradezu auf. Am Jahresende scheinen die zurückliegenden Monate zu einer unheilvollen Mischung aus Überflutungen, Waldbränden und Stürmen zu verschwimmen - ein Extrem reihte sich an das nächste.

Mit Folgen: An Häusern, Hausrat, Betrieben und Kraftfahrzeugen in Deutschland sind versicherte Schäden in Höhe von 4,9 Milliarden Euro entstanden. Das sind voraussichtlich 900 Millionen Euro mehr als im Vorjahr, wie der Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) mitteilte.

2023 war das wärmste Jahr in Deutschland seit Beginn der Aufzeichnungen 1881 - davon ging der Deutsche Wetterdienst (DWD) kurz vor Ende des Kalenderjahres sicher aus. Die Durchschnittstemperatur werde voraussichtlich bei 10,6 Grad liegen, sagte ein Sprecher der Deutschen Presse-Agentur.

Auch global gesehen wird 2023 dem EU-Klimawandeldienst Copernicus zufolge das wärmste seit Beginn der Aufzeichnungen Mitte des 19. Jahrhunderts. Die EU-Umweltagentur EEA hatte schon im Frühjahr gewarnt: „Aufgrund unseres sich verändernden Klimas wird das Wetter in Europa extremer.“ Auch über Europa hinaus war 2023 ein Wetter-Jahr der Extreme. Ein Rückblick in Auszügen:

Januar

Überflutete Ortschaften und meterhohe Schneemassen an der Westküste, Wirbelstürme im Südosten: Wegen starker Winterstürme sterben in den USA zahlreiche Menschen. In Kalifornien knicken Bäume um und es gibt Sturzfluten. Die anhaltenden Niederschläge verwandeln kleine Bäche in reißende Flüsse. Zur selben Zeit richten Tornados vor allem im südöstlichen Bundesstaat Alabama schwere Verwüstungen an.

Ein Mann trägt im Januar in Merced, Kalifornien, Habseligkeiten aus seinem überfluteten Haus. (Foto: Noah Berger/AP/dpa)

Februar

Tropensturm „Gabrielle“ wütet in Neuseeland mit orkanartigen Winden und Starkregen. Häuser, Straßen und Brücken werden zerstört, Strom- und Kommunikationsleitungen beschädigt. Die Regierung ruft den Nationalen Notstand aus - erst zum dritten Mal in der Landesgeschichte. Zeitweise steht das Wasser in einigen Gebieten so hoch, dass nur noch die Häuserdächer aus den Fluten ragen.

März

Temperaturrekorde und volle Strände: Der Winter ist nach kalendarischer Zeitrechnung noch nicht zu Ende - aber in Teilen Spaniens läuft nachts schon die Klimaanlage. Vielerorts wird das Wasser knapp. Menschen stöhnen unter Temperaturen von teils über 30 Grad. Auf Mallorca gibt es die erste Tropennacht des Jahres, das Thermometer fällt also nicht unter 20 Grad.

April

Anfang des Monats wüten gleich mehrere Tornados in Teilen der USA. Es gibt Tote und Verletzte. US-Medienberichten zufolge werden in sieben Bundesstaaten etwa 50 Wirbelstürme gezählt, die als Tornados eingestuft werden können. Die Rede ist von einem seltenen „Monster-Sturmsystem“, das sich vom Süden der USA bis in die Region der Großen Seen im Norden erstreckt.

Ein Haus wurde im April in Covington im US-Bundesstaat Tennessee durch einen Tornado zerstört. (Foto: Patrick Lantrip/Daily Memphian/AP/dpa)

Mai

Dutzende Waldbrände treiben im Westen Kanadas Tausende Menschen in die Flucht. Die Provinz Alberta ruft den Notstand aus. Es handele sich um eine „beispiellose Krise“, sagt die Premierministerin der Provinz, Danielle Smith. Angesichts der großen Trockenheit breiten sich die Flammen rasch aus. Im Zuge der globalen Erwärmung steigt in vielen Regionen die Waldbrandgefahr, wie etwa der Weltklimarat IPCC festgestellt hat.

In Teilen von Myanmar und Bangladesch richtet der Zyklon „Mocha“ schwere Verwüstungen an. Der tropische Wirbelsturm trifft mit Windgeschwindigkeiten von teilweise mehr als 250 Stundenkilometern an der Westküste der beiden Nachbarstaaten auf Land. Es ist der heftigste Zyklon in der Region seit mehr als einem Jahrzehnt. Wegen Starkregens und Sturmfluten gibt es zudem heftige Überschwemmungen.

Der Kategorie-5-Zyklon „Mocha“ hat im Mai in Teilen von Myanmar und Bangladesch schwere Verwüstungen angerichtet. (Foto: Uncredited/AP)

Während es im Winter und Anfang Frühjahr in Italien noch sehr trocken war, kommt es nun zu heftigen Niederschlägen. In den italienischen Regionen Emilia-Romagna und den Marken gibt es teils dramatische Überschwemmungen. Das Gebiet an der Adriaküste wird von schweren Unwettern heimgesucht. Die Feuerwehr rettet Menschen, die in ihren Häusern vom Wasser eingeschlossen sind, oder in den Wassermassen gestrandete Autofahrer. Es gibt Tote.

Juni

Flammen lodern im Waldgebiet bei Jüterbog in Brandenburg, Rauchwolken steigen auf. Die Lage auf dem ehemaligen Truppenübungsplatz verschärft sich. Die Munitionsbelastung ist hoch, starker Wind erschwert die Lage für die Einsatzkräfte. Auch auf zwei ehemaligen Truppenübungsplätzen in Mecklenburg-Vorpommern brechen in kurzer Folge Brände aus: in der Nähe von Lübtheen und in der Viezer Heide bei Hagenow. Beide Gebiete sind munitionsbelastet.

Flammen schlagen im Juni in einem Waldstück nahe Jüterbog in die Höhe. (Foto: Thomas Schulz/dpa)

Juli

Hauptstädte wie Rom und Athen glühen, in Kroatien gibt es den ersten großen Wald- und Buschbrand des Jahres: Der Süden und der Südosten Europas heizen auf. Vielerorts zeigen die Thermometer mehr als 40 Grad. In Griechenland schränkten weite Teile der Wirtschaft ihre Aktivitäten ein.

Für Tausende Touristen auf Rhodos wird der Urlaub wegen Waldbränden zum Alptraum. Die Einsatzkräfte haben die Flammen erst unter Kontrolle, doch dann dreht der starke Wind und treibt das Feuer direkt auf Touristenhochburgen und Dörfer im Süden und Südosten der Insel zu. Menschen werden in Sicherheit gebracht. Videoaufnahmen zeigen Touristen, die zu Fuß ihre Urlaubsorte verlassen.

Bei Feuern auf Sizilien sterben mehrere Menschen. Vor allem im Norden der italienischen Mittelmeerinsel ist die Lage kritisch. Einsatzkräfte kämpfen gegen Wald- und Flächenbrände.

Die Anzeigetafel einer Apotheke zeigt im Juli eine Temperatur von 46 Grad in der Innenstadt von Rom an. (Foto: Domenico Stinellis/AP)

Zwar kann ein wärmeres Klima dazu beitragen, dass mehr Wasser vom Himmel fällt, auch häufiger in Form von Starkregen. Die Zeiträume ohne Niederschläge werden Klimaexperten zufolge aber teils länger. Und gerade in ohnehin trockenen Gebieten steigt die Gefahr von Dürreperioden. In extrem trockener Vegetation können sich Waldbrände schneller ausbreiten.

August

Ein Tiefdruckgebiet über Italien sorgt für Starkregen in Österreich und dem angrenzenden Slowenien. Orte werden überflutet, Verkehrsadern gekappt, Überschwemmungen und Erdrutsche richten enorme Schäden an. Die starken Niederschläge führen im südlichen Österreich zu Murenabgängen und Hochwasser. In Teilen der Steiermark und Kärntens wird Zivilschutzalarm ausgerufen.

Flammeninferno im Urlauberparadies Hawaii: Dichter Rauch hängt über den Hawaii-Inseln im Pazifik, ein Küstenstreifen von Maui steht in Flammen, Teile der gewöhnlich üppig-grünen Insel sind wegen verheerender Busch- und Waldbrände schwarz verkohlt. Es gibt mehr als 100 Tote. Hawaiis Gouverneur Josh Green spricht von einer „schrecklichen Katastrophe“.

Der Pazifik-Tropensturm „Hilary“ bringt sintflutartigen Regen in den Südwesten der USA. Besonders heftig trifft es den US-Bundesstaat Kalifornien mit seinen Metropolen San Diego und Los Angeles. Das für die Region seltene Unwetter setzt Straßen unter Wasser und lässt Bäume und Stromleitungen umstürzen.

In Kanada bewegen sich heftige Waldbrände unerbittlich auf zwei Städte zu. In der Umgebung von West Kelowna zerstören die Flammen Gebäude, die Stadt Yellowknife am nördlichen Polarkreis wird fast komplett evakuiert. Die Regierung von British Columbia an der Pazifikküste ruft für die gesamte Provinz den Notstand aus. „In diesem Jahr erleben wir in British Columbia die schlimmste Waldbrandsaison aller Zeiten“, heißt es.

Große Teile Griechenlands liegen wegen gewaltiger Waldbrände unter beißenden Rauchwolken. Die Feuer toben auch nahe der Hauptstadt Athen. Wegen der Brände verschlechtert sich die Luftqualität in weiten Teilen des Landes massiv.

September

Wo es kürzlich noch brannte, verwandeln sich nun Bäche in reißende Flüsse: Die Wassermassen, die das Sturmtief „Daniel“ über Mittelgriechenland ausschüttet, übertreffen alle Vorhersagen. Autos werden von den Fluten weggetragen, Menschen müssen mit Schlauchbooten aus ihren Häusern gerettet werden, etwa in der Hafenstadt Volos, wo das Wasser zum Teil hüfthoch vorbeifließt.

Bei Rekordniederschlägen und Überschwemmungen in Hongkong gibt es Tote und Verletzte. Die Regierung der chinesischen Sonderverwaltungsregion spricht von „extremen Bedingungen“. Straßen werden zu Flüssen, U-Bahnhöfe laufen voll Wasser. Hongkong kommt nach den heftigsten Regenfällen seit 1884 praktisch zum Erliegen.

Im Bürgerkriegsland Libyen richtet ein schweres Unwetter starke Verwüstungen an. Es gibt Tausende Tote. Der Sturm „Daniel“, der schon in Griechenland wütete, erfasst auch das nordafrikanische Land. Besonders schwer betroffen ist die Hafenstadt Darna. Augenzeugenberichten zufolge lassen die starken Winde Strommasten umstürzen. Mitten in der Nacht bricht mit einem lauten Knall ein Staudamm. Auch ein zweiter Damm gibt den Wassermassen nach.

Außergewöhnlich starker Regen legt die US-Ostküstenmetropole New York teilweise lahm. Autobahnen und Straßen verwandeln sich in seenartige Landschaften, auch ein Flughafenterminal wird überflutet und gesperrt. Gouverneurin Kathy Hochul ruft den Notstand aus.

Oktober

Der Pazifiksturm „Otis“ trifft mit voller Wucht als Hurrikan der höchsten Stufe 5 nahe dem berühmten Badeort Acapulco auf Mexikos Südwestküste. Innerhalb von nur etwa zwölf Stunden entwickelt sich der Tropensturm zu einem extrem gefährlichen Hurrikan. Es gibt zahlreiche Tote. „Den Aufzeichnungen zufolge entwickelt sich selten ein Hurrikan so schnell und mit solcher Kraft“, sagt Präsident Andrés Manuel López Obrador. Experten zufolge ist die schnelle Intensivierung der Wirbelstürme auf den Klimawandel zurückzuführen.

November

Bereits vor Beginn des Sommers auf der Südhalbkugel leiden weite Teile Brasiliens unter einer heftigen Hitzewelle. In der Millionenmetropole Rio de Janeiro steigt die gefühlte Temperatur an einem Tag auf 59,7 Grad. Die Temperaturen fühlen sich in Brasilien wegen der hohen Luftfeuchtigkeit viel unangenehmer an als in Deutschland. Tatsächlich zeigte das Thermometer über 40 Grad an.

Dezember

Anfang des Monats versinken Teile Deutschlands im Schnee, vor allem Bayern ist betroffen. Landesverkehrsminister Christian Bernreiter (CSU) sagt: „Was wir am Wochenende in München erlebt haben, war kein normaler Wintereinbruch, sondern die größte Schneemenge in München seit Beginn der Wetteraufzeichnung. Das war eine extreme Sondersituation in kürzester Zeit.“

Um Weihnachten herum ist es wieder wärmer - aber angesichts anhaltender Regenfälle und gesättigter Böden gibt es in zahlreichen Regionen Deutschlands eine angespannte Hochwasserlage mit anschwellenden Wasserläufen und übervollen Talsperren. Hunderte Menschen müssen an den Weihnachtsfeiertagen ihr Heim verlassen, so im niedersächsischen Rinteln und im thüringischen Windehausen. Der Potsdamer Klimaforscher Stefan Rahmstorf schreibt Heiligabend auf X: „Extremniederschläge nehmen durch die #Erderwärmung weltweit und auch bei uns zu. Davor warnen Klimaforscher seit über 30 Jahren; längst bestätigen das die Daten von Wetterstationen.“

© dpa-infocom, dpa:231228-99-424579/3

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