Erste Erkenntnis des Tages: Auch Deutsche können Schlange. Seit sechs Uhr morgens warten Hunderte Leute auf dem Boulevard Unter den Linden, diszipliniert einer hinter dem anderen, als wäre dies eine Londoner Bushaltestelle. Sie alle sind an diesem Mittwochnachmittag gekommen, um Charles III. zu sehen, der gleich vor dem Brandenburger Tor eintreffen soll, zum Auftakt seines dreitägigen Staatsbesuchs in Deutschland. Und seiner ersten Auslandsreise als König.
Zweite Erkenntnis des Tages: Auch bei den sonst schwer zu beeindruckenden Berlinerinnen und Berlinern kann so etwas wie royale Stimmung aufkommen. Man sieht Krönchen, Blumen, Fahnen. Jemand hat ein Transparent gemalt, auf dem "Coronation" steht, Krönung. Eine Jugendliche, die mit ihrem Vater gekommen ist, sagt, dass sie aus Schottland stammt, aber in Berlin lebt. Sie war schon 2015 dabei, als die Queen der Stadt einen Besuch abstattete, "jetzt wollen wir unseren König sehen".
Knapp 30 Kilometer entfernt landet gegen 14 Uhr das Königspaar auf dem Flughafen Berlin-Brandenburg, mit britischer Überpünktlichkeit. Rückenwind? Windig ist es in jedem Fall, wie in der Fernsehübertragung zu sehen ist. Die beiden Fahnen, die der Pilot der royalen Maschine nach der Landung aus seinem Cockpit-Fenster hält - die deutsche und die königliche Standarte -, flattern wild.
Ein paar Minuten später öffnet sich die Flugzeugtür, Charles tritt heraus, während Camilla etwas verzagt am Eingang stehen bleibt. Eine Böe zupft an der Feder ihres Baretts, dessen Farbe man zu gerne als royalblau bezeichnen würde, aber das wäre knapp daneben. Unter all den existierenden Blautönen trifft es wahrscheinlich das leicht türkishafte "Englisch Blau" am besten. Und ihr wadenlanges Mantelkleid in "Coelinblau" hebt sich fast frühlingshaft vom grauen Märzhimmel ab.
Der Pulverdampf der 21 Salutschüsse, die zur Begrüßung über das Vorfeld donnern, verweht schnell, und als das Königspaar daraufhin die Stufen der Gangway hinuntersteigt, versucht Camilla mit der Hand eine Haarsträhne vor dem Zerzaust-werden zu bewahren. Charles' blau-weiß gemusterte Krawatte hingegen sitzt 1a, sie steckt schön fest unter dem Mantel.
Erst das James-Bond-Thema, dann "God save the King"
Vom Flughafen aus geht es mit einem gepanzerten Bentley in Richtung Berlin-Mitte. Am Brandenburger Tor spielt das Stabsmusikkorps der Bundeswehr derweil zur Überbrückung der Wartezeit die James-Bond-Titelmelodie. Fast schon britischer Humor.
Als das Paar dann endlich eintrifft, brandet Jubel auf, für Berliner Verhältnisse fast schon überschwänglich. Charles und Camilla werden mit militärischen Ehren empfangen, das ist historisch an diesem Ort. Während der König und Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier die Ehrenformation abschreiten, stehen die Queen Consort und die deutsche First Lady in bunter Eintracht auf dem roten Teppich: Elke Büdenbender hat zur Feier des Tages für ihre Garderobe ein knalliges Rot gewählt. Nach dem militärischen Pomp ist das Volk an der Reihe, Charles und Camilla treten an die Absperrungen, schütteln Hände, wechseln ein paar Worte. Dann geht es schon wieder weiter, weiter zum Schloss Bellevue.
Dort wird es wieder offiziell. Es ist auf den Tag genau sechs Jahre her, dass Großbritannien den Austritt aus der EU eingeleitet hat. Einige britische Premierminister und diverse Turbulenzen im britisch-europäischen Verhältnis später will Steinmeier nun, wie er in seiner Rede sagt, "ein neues Kapitel in unseren Beziehungen" aufschlagen. Und das entscheidende Thema dafür sei die Zukunft des Planeten. Dazu hat Steinmeier zu einer Art Mini-Klimagipfel geladen, mit Wissenschaftlerinnen, Politikern und Managern.
Im König hat Steinmeier dafür einen idealen Gesprächspartner gefunden. Denn der "Erhalt eines lebenswerten Planeten", so der Bundespräsident, habe Charles "schon früh zum Handeln bewogen". Tatsächlich hat Charles schon mit 21 Jahren seine erste Rede zum Umweltschutz gehalten. Damals klangen seine Worte, wie die Journalistin Catherine Mayer in ihrer Charles-Biografie festhält, "außergewöhnlich fernliegend". Man müsse sich, so Charles damals, disziplinieren und sich Einschränkungen auferlegen, "zu seinem eigenen Besten". Heute ist "die dramatische Dringlichkeit im Kampf gegen den Klimawandel", wie es Steinmeier nennt, weitgehend Konsens. Vor Deutschland lägen "intensive Jahre, in denen wir unsere Emissionen reduzieren, die Wirtschaft und den Verkehr modernisieren, unsere Häuser und Wohnungen energieeffizienter gestalten müssen".
Den Schluss seiner Rede hält Steinmeier auf Englisch. Dabei wäre das vermutlich gar nicht nötig gewesen: Dem König werden gute Deutschkenntnisse nachgesagt.
Für den Abend hat der Bundespräsident zum Staatsbankett geladen, zu den Gästen zählen nicht nur seine Amtsvorgänger Horst Köhler und Joachim Gauck sowie Altkanzlerin Angela Merkel, sondern auch Prominente wie Stararchitekt David Chipperfield oder Tote-Hosen-Sänger Campino, der ganz anders aussieht als sonst: richtig schnieke. Die Kleiderordnung für die 130 Gäste ist streng, die Herren im Frack, die Damen in Lang.
Seine Tischrede hält der König teilweise auf Deutsch. Das wäre gar nicht nötig - denn Steinmeier hat bekanntlich gute Englischkenntnisse.