Berlin ist eine Stadt, in der man bei jedem Schritt auf Geschichte stößt. Berlin ist aber auch eine Stadt, deren Geschichte ständig abgetragen und entsorgt wird. Gerade gab es wieder so einen Fall. Am vergangenen Wochenende fuhr die S-Bahn der Baureihe 485/885 das letzte Mal durch Berlin. Das Besondere an den Zügen: Sie stammen allesamt noch aus der DDR. Ein rollendes Stück Sozialismus gewissermaßen.
1987 nahmen die Züge, die kompakter und quadratischer sind als die späteren Modelle, den Betrieb auf. Wegen ihres damals noch roten Anstrichs bekamen sie den Spitznamen "Cola-Dose". "Ein wunderschönes Fahrzeug, leicht zu bedienen und robust, sie hat uns nie im Stich gelassen", sagte ein Triebfahrzeugführer, der 30 Jahre mit der Cola-Dose unterwegs gewesen war, dem Sender RBB. Für die DDR- und Eisenbahn-Fans, die es in Berlin jeweils in großer Zahl gibt, war es ein aufregender Moment. Tausende drängten zur Abschlussfahrt in die alten S-Bahn-Wagen, machten Fotos, applaudierten. Der Berliner Zeitung zufolge gab es sogar Tränen, als der letzte planmäßige Halt der DDR-Züge angekündigt wurde und es endgültig hieß: vorwärts nimmer.
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Bis 10. Dezember werden einige Züge noch für Notfälle vorgehalten, einige dienen Ausbildungszwecken. Der Großteil der DDR-Flotte wird jedoch aus dem Verkehr gezogen, und viele fragen sich nun, warum man die alten Stücke aufgibt und sich in Berlin generell so leichtherzig von historischen Dingen verabschiedet. Wie kaum ein anderes Verkehrsmittel ist die Berliner S-Bahn mit der Geschichte der Stadt verbunden. Anfang des 20. Jahrhunderts sorgte sie in dem Konglomerat aus vielen kleinen Orten, das Berlin war, für Mobilität und wirtschaftlichen Aufschwung. 1936 wurde die Errichtung eines S-Bahntunnels für Propagandazwecke missbraucht, 1961 kam dann der größte Einschnitt. Die Stadt wurde geteilt, die S-Bahn fuhr weiter. Weil sie allerdings von der DDR-Reichsbahn betrieben wurde, boykottierten viele Westberliner das Verkehrsmittel. Am 9. November 1989 mussten dann zahlreiche Lokführer Sonderschichten einlegen, damit die Züge die ganze Nacht zwischen Ost und West hin- und herfahren konnten.
Dazu kommt, dass Oldtimer-Verkehrsmittel in vielen Städten eine Attraktion sind, man denke an das Cable Car in San Francisco oder die gelben Trams in Lissabon. Warum heißt es also ausgerechnet für die Cola-Dose: zurückbleiben, bitte? Die Antwort ist banal. Das "Kind des Ostens", wie die S-Bahn Berlin ihre alte Flotte liebevoll nennt, lässt sich nicht mit der vorgeschriebenen Technik ausrüsten. Genauer gesagt mit dem Zugbeeinflussungssystem, das eine Notfall-Abbremsung ermöglicht und ab 2024 flächendeckend eingesetzt werden soll. Dazu waren die sozialistischen Züge aufwendig zu warten, und wirklich bequem fuhr es sich darin auch nicht. Die Sitze waren recht hart, es gab keine Klimaanlage.
Während es für die DDR-Flotte der S-Bahn demnächst Richtung Endstation geht, auf einen Schrottplatz im Rheinland, hat ein anderes Berliner Verkehrsmittel eine interessante Zweitverwertung gefunden. Ende der Neunzigerjahre kaufte Nordkorea Dutzende ausrangierter U-Bahn-Züge aus Ost- und West-Berlin zum Sonderpreis. Die alten Berliner U-Bahnen fahren nun durch Pjöngjang.