Bärlauch-Diebstahl:Was für ein Lauch!

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Bärlauch sieht mit seinen weißen Blüten und den langen, grünen Blättern dem giftigen Maiglöckchen zum Verwechseln ähnlich. (Foto: Frank Rumpenhorst/dpa)

In Leipzig und anderswo wird säckeweise Bärlauch aus den Wäldern geschleppt. Wo verläuft die Grenze zwischen Eigenbedarf und Diebstahl?

Von Marcel Laskus

Axel Kaiser weiß noch, wie seine Kindheit roch. Damals, in den 60er-Jahren, sei seine Großmutter oft vor dem Mittagessen hinaus in den nahen Teutoburger Wald gegangen und kurz darauf zurückgekehrt mit etwas stark Riechendem, das sie ins Essen mischte. Der kleine Axel nannte es nur "grünes Zeug". Heute ist Axel Kaiser 67 Jahre alt und kann von dem Verkauf des grünen Zeugs gut leben, auch weil es so beliebt ist wie wohl nie zuvor. Doch die Beliebtheit macht so manchen auch gierig. "Das ist wie früher der Goldrausch", sagt Kaiser am Telefon und meint damit den neuen Kult um den Bärlauch, der der Natur schadet und zu hohen Bußgeldern führen kann.

Jagdgrund Nummer eins im Land scheint Leipzig zu sein, wo sich der Auwald durch große Teile der Stadt zieht. Für den Lauch ist das halbschattige Biotop ideal, für seine Sammler ist es leicht erreichbar. Zu leicht offenbar. Zuletzt wurden vom Leipziger Ordnungsamt 40 Säcke vorgefunden, die unter Laub versteckt für den Abtransport bereitlagen, ihr Inhalt: eine Tonne Bärlauch. Zwischen 2017 und 2022 stellten die Behörden insgesamt 15 Mal eine "illegale Entnahme" fest. 2023 ist es schon jetzt zu acht Fällen gekommen (was auch an den verstärkten Kontrollen liegt).

Gerade in den vergangenen 20 Jahren ist die Saat des Bärlauch-Appetits voll aufgegangen. Für viele Großstädter gehört es zur Frühjahrsroutine, im März und April in den nahe gelegenen Wald zu ziehen, um die Blätter für Pesto oder Butter zu sammeln - womit sie erst einmal nichts Illegales tun. Der Lauch aus dem Wald kostet nichts, enthält dafür aber recht viel Nützliches: Vitamin C, Kalium, Magnesium und Eisen. Er wächst an keinen schwer erreichbaren Felsspalten, sondern am Boden des Teutoburger Walds, in Leipzig und an Münchens Isar. Zwar muss und möchte der zivilisierte Mensch nur noch selten Jäger sein, als Sammler aber lässt er sich durchaus gerne im Grünen blicken. Und zu dem Ersten, das sich nach Winterende vor seinen Augen auftut, gehört der geruchsintensive, scheinbar wie Unkraut wuchernde Bärlauch.

Waldboden nimmt oft Schaden

Restaurants schmücken ihre regionalen Tageskarten damit, TV-Köche wie Lafer, Lichter und Schuhbeck haben ihn als Geheimzutat beworben und zur neuen Petersilie gemacht. Und auch Axel Kaiser verstand vor 18 Jahren die Zeichen der Zeit, als er damals, "als noch keiner wusste, was Bärlauch ist", damit begann, ihn aus den Wäldern zu holen. "Natürlich mit Erlaubnis." Er trocknet ihn und verkauft ihn im Onlineshop und auf Wochenmärkten.

Im Vergleich zu anderen Vergehen des Menschen an der Umwelt ist es freilich eine Lappalie, Bärlauch in rauen Mengen der Erde zu entnehmen. Da die Pflanzen aber häufig großflächig samt Wurzel herausgerissen werden, nimmt der Waldboden Schaden. "Auf diese Weise ist es unmöglich, dass sich die Pflanzen regenerieren", sagt René Sievert vom Naturschutzbund Deutschland. Und auch für die Sammler hat es Konsequenzen.

Die Stadt Leipzig hat gegen die Bärlauchdiebe bereits "behördliche Maßnahmen eingeleitet". Zumindest in der Theorie erwarten die illegalen Sammler hohe Strafen, 2500 Euro nach dem Sächsischen Waldgesetz. Das Bundesnaturschutzgesetz regelt, dass es verboten ist, "wild lebende Pflanzen" ohne vernünftigen Grund von ihrem Standort zu entnehmen. 2018 etwa mussten zwei Rentner in Bayern 1700 Euro Strafe zahlen, weil sie 19 Kilogramm Pilze gesammelt hatten - 17 Kilogramm mehr als erlaubt.

Womit man bei der Ausnahme wäre, die umgangssprachlich als "Handstraußregel" bekannt ist. Demnach dürfen Blumen, Gräser, Farne, Mose, Flechten, Früchte, Pilze, Tee- und Heilkräuter entnommen werden, sofern sie dem persönlichen Bedarf entsprechen und nicht auf Privatgrund oder einem Naturschutzgebiet stehen. Wie viele Blätter oder Kilogramm das im Einzelfall sind, ist Auslegungssache: 40 Säcke Bärlauch sind es jedenfalls eher nicht. Basierend auf der Handstraußregel kartografiert das Portal "Mundraub" bereits seit 2009 Hunderte Orte, an denen öffentlich zugängliche Obststräucher und Nussbäume zu finden sind, und natürlich auch Bärlauch.

Bleibt die Frage, was mit dem gehamsterten Bärlauch passiert. Den Leipziger Behörden liegen zu den Motiven der Diebe "keine Erkenntnisse vor". Gleichwohl heißt es, dass er weiterverkauft werden könnte - auch wenn man mit dem Kraut, anders als beim echten Goldrausch, wohl kaum reich werden kann. In Supermärkten kostet ein Strauß nur 99 Cent. Fragt man bei einem Leipziger Gemüsegroßhändler nach, woher seine Ware stammt, klingt die Antwort entschlossen bis empört: "Nüschd aus'm Auwald."

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