Stadtentwicklung in Wolfratshausen:"Wir haben nichts bereut"

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Nicht so leicht zu vertreiben: Mit 18 hat Claudia Baran (r.) das Geschäft von ihren Eltern übernommen, heute ist sie 63. (Foto: Hartmut Pöstges)

Eigentlich sollte das Blumen- und Fruchthaus Bartl einem Bauprojekt auf dem ehemaligen Kraft-Areal weichen. Aber die Inhaberinnen Claudia und Alex Baran sind geblieben - und mit ihnen ihr Laden.

Von Veronika Ellecosta, Wolfratshausen

Aus dem Ladeninneren tritt ein Kunde in Hemd und Anzughose, er eilt durch die Blumenreihen wohl zurück ins Büro, eine Grapefruit führt er mit. Obst und Gemüse stehen drinnen im Blumen- und Fruchthaus Bartl zum Verkauf, draußen hängen Petunien in Violett aus ihren Körben unter den Sonnenschirmen, an der Wand steht ein einzelnes Olivenbäumchen. Weiter vorne recken sich Fuchsien nach dem Wasserschlauch, den eine Verkäuferin über die Pflanzen führt. Die sommerliche Wärme wird hier auch vom versiegelten Boden um den Laden herum verstärkt. Vier Bäume am Straßenrand seien während des Baus weggekommen, stattdessen: Asphalt. "Es wäre schön, wenn hier wieder ein paar Bäume hinkämen", sagt Ladeninhaberin Claudia Baran.

In der Nachbarschaft liegt das 10 000 Quadratmeter große ehemalige Lager der Kraft Baustoffe GmbH. In den vergangenen Jahren ist hier, in der Sauerlacher Straße in Wolfratshausen, ein weißer Gebäudekomplex entstanden: 117 Wohnungen hat die zur Grünwalder Unternehmensgruppe Scherbaum gehörende Loisachquartier GmbH & Co KG auf dem Areal hinter dem Bahnhof hochgezogen, dazu auch eine Edeka-Filiale. Der Edeka soll demnächst öffnen, die Wohnungen - 47 im Südbau, 70 im dahinter liegenden Nordbau- werden von der Bartsch Immobilien GmbH schon vermietet. Es gibt Ein- bis Vierzimmerwohnungen, der Quadratmeterpreis liegt meist bei um die 17 Euro. Daneben steht das Bartl-Haus, klitzeklein.

"Ich hänge ja an dem Haus"

Claudia Baran hat beinahe ihr ganzes Leben im Blumen- und Fruchthaus Bartl verbracht. Mit 18 hat sie das Geschäft von den Eltern übernommen, heute ist sie 63. Oder in anderen Worten: Seit 1960 gibt es den Laden, seit 1977 mit Claudia Baran hinter der Kasse, im darüberliegenden Stockwerk wohnt sie. Baran, kurze Haare, getönte Brille, buchstabiert: Baran, wie der Baron, nur mit zwei a. Bartl ist ihr Mädchenname. Im Ladeninneren hängt der Blumenduft schwer in der Luft, im hinteren Teil sortiert Tochter Alex, blonde Cornrows, Gemüse in die Kisten ein. "Wie lange hab ich den Laden schon?", ruft Claudia Bartl ihrer Tochter zu. "Sehr, sehr lange", antwortet die.

Das Loisachquartier auf dem ehemaligen Kraft-Areal ist beinahe fertig. Daneben steht das kleine Blumen- und Fruchthaus Bartl. (Foto: Hartmut Pöstges)

2016 ist viel passiert bei den Barans, zuallererst eine Tragödie: Claudia Barans Mann ist überraschend gestorben. Sie sagt: "In der Woche hatten wir Blumenbestellungen für eine Hochzeit am Wochenende. Wenn man selbständig ist, muss man auch im Trauerfall weiterarbeiten." Also haben die Barans weitergearbeitet. Nach dem Tod des Vaters hat Tochter Alex den Laden übernommen, aber ihre Mutter steht nach wie vor hinter der Theke.

Kurz darauf schickte Scherbaum einen Makler vorbei, der das Grundstück der Barans zu einem "sehr niedrigen Preis" kaufen wollte, wie Claudia Baran erzählt. Zunächst plante der Investor nämlich ein Einkaufszentrum mit dem Namen "Loisachcenter", mit Lebensmittel-Vollsortimenter, Discounter, Elektrofachmarkt, einem Sport- und einem Textilmarkt sowie einer Bäckerei und einem Zeitungskiosk. Die Kraft Baustoffe GmbH, der das Grundstück gehört, nannte die Summe gegenüber der Süddeutschen Zeitung 2019 ein "außerordentlich großzügiges Angebot." Sie habe sofort abgelehnt, sagt Claudia Baran. "Ich hänge ja an dem Haus." Und Alex Baran betont nochmals: "Außerdem war der Preis zu niedrig." Also blieb das Fruchthaus Bartl - und mit ihm die Barans.

Am schwierigsten sei die Aufweitung der Sauerlacher Straße gewesen

Im Februar 2019 hat die Loisachquartier GmbH & Co KG sich dann umentschieden: Aus dem Plan fürs Einkaufscenter wurde ein Wohnquartier mit Supermarkt. Das sogenannte "Loisachquartier" wurde am Ende ohne die Barans realisiert. Hin und wieder habe es Behinderungen bei der Zufahrt zu ihrem Laden gegeben, einige Risse in der Wand, die der Bauherr aber kitten werde. "Lärm und Krach ist klar bei so einer großen Baustelle, mein Auto war voller Verputz. Solche Sachen halt", zählt Claudia Baran auf. Aber die Bauarbeiter seien sehr fleißig und hilfsbereit gewesen, hätten ihren Kunden beim Parken geholfen: "Die ham schon auf uns g'schaut." Ein Mann betritt den Laden, er möchte einen bestellten Sommerstrauß abholen. Claudia Baran begrüßt den Mann mit Namen, die Tochter reicht ihm den eingewickelten Strauß. "Schräg anschneiden und in handwarmes Wasser geben", weist sie ihn an.

Am schwierigsten haben die Barans die Vergrößerung der Sauerlacher Straße vor ihrem Haus empfunden. Sechs Wochen lang, zwischen März und Mai dieses Jahres, war die Straße zwischen Bahnübergang und den Einmündungen zur Gebhardstraße und Auf der Haid gegenüber halbseitig gesperrt. Die Straße wurde vom Bahngleis kommend mit einer Linksabbiegespur für Loisachquartier und Edeka erweitert, auch in der Gegenrichtung wurde die Spur vergrößert. "Das war eine Katastrophe. Wir hatten 50 Prozent Umsatzrückgang", sagt Claudia Baran.

Das Blumen- und Fruchthaus Bartl gibt es seit 1960. Claudia Baran übernahm es in dritter Generation, seit 2016 leitet Tochter Alex das Geschäft. (Foto: Hartmut Pöstges)

Konkurrenz durch die Edeka-Filiale fürchten die Barans nicht

Seit Kurzem ist die Aufweitung abgeschlossen. Parkplätze an der Sauerlacher Straße gibt es nun keine mehr. Die Barans haben die Mauer vor ihrem Haus zurückverlegen lassen, damit die Kundschaft dort parken kann, zwei bis drei Autos kommen dort nun unter. Die Edeka-Filiale hat eine eigene zweigeschossige Tiefgarage. Sie ist mit Absperrgittern versperrt, den Asphalt haben Sonne und Luft noch nicht ausgebleicht. Dass der Supermarkt zur Konkurrenz für ihren Laden wird, fürchtet Claudia Baran nicht. "Ich glaube, meine Kunden sind mir treu. Die meisten sind seit vielen Jahren Stammkunden. Wenn der Kunde Qualität will, kommt er zu mir." Die meisten seien froh, nach der halbseitigen Sperrung der Straße wieder zum Laden hinfahren zu können, sagt sie. Die Barans haben aber auch ein Lieferauto und beliefern vor allem die ältere Kundschaft. Von Egling bis Dietramszell und zur Ostseite des Starnberger Sees seien sie unterwegs.

"Man kann nicht alles negativ sehen, Wohnungen braucht's", sagt Claudia Baran über das neue Quartier in ihrer Nachbarschaft. Mit ihrem Blumen- und Fruchthaus zu bleiben, sei aber die richtige Entscheidung gewesen. Und auch Alex Baran sagt: "Wir haben nichts bereut." Dann kommt auch schon die nächste Kundin, sie kauft ebenfalls Blumen, grüßt die Barans freundlich. "Ich empfinde dieses Projekt als hässlich, es schaut aus wie ein Bunker. Und manches im Vorfeld ist nicht gut gelaufen. Aber ich habe keinen Groll", sagt Claudia Baran. Die Frau mit dem Blumenstrauß nickt kurz und lacht. Und wünscht Claudia Baran zum Abschied noch alles Gute mit dem neuen Nachbarn.

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