Reaktionen aus der Politik zur S-Bahn:"Das lässt sich niemandem mehr erklären"

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Das bleibt vorerst ein Traum: Nach Geretsried wird so bald keine Bahn fahren. (Foto: Hartmut Pöstges)

Nach der Absage der Bahn an einen Ausbau der S 7 bis Ende der Zwanzigerjahre wollen die einen Druck machen, die anderen fordern Alternativen.

Von Felicitas Amler und Konstantin Kaip, Geretsried

Die Hoffnung auf einen S-Bahn-Anschluss der Stadt Geretsried wenigstens bis Ende der Zwanzigerjahre sind dahin. Seit Dienstag ist es offiziell: Der zuletzt von der Bahn angekündigte Baubeginn im Jahr 2024 ist "auf unbestimmte Zeit" verschoben. Nach dieser Antwort, die der CSU-Landtagsabgeordnete Martin Bachhuber aus Bad Heilbrunn vom bayerischen Verkehrsminister Christian Bernreiter (CSU) erhalten hat, herrscht absolute Ungewissheit, wie es weitergeht. Geretsrieds Bürgermeister Michael Müller (CSU) hat die Fassungslosigkeit so benannt: "Das lässt sich niemandem mehr erklären. Wir verstehen es ja selbst kaum." Die SZ hat Politiker gefragt, wie es nun weitergehen kann und soll.

Alexander Radwan

Der CSU-Bundestagsabgeordnete Alexander Radwan. (Foto: Claudia Koestler/oh)

Der CSU-Bundestagsabgeordnete im Wahlkreis Bad Tölz-Wolfratshausen und Miesbach, Alexander Radwan, macht es kurz: "Die S-Bahn nach Geretsried muss gebaut werden, und zwar schnellstens." Er verspricht, alles daran zu setzen, um "den Druck aufrechtzuerhalten". Die S7-Verlängerung nach Geretsried dürfe "keine Zweite Stammstrecke werden". Er werde auch kritisch auf die Bundesregierung zugehen, da im Verkehrshaushalt die Ansätze reduziert würden. "Der Verteilungsspielraum wird immer kleiner." Die Frage, auf wen er Druck ausüben wolle, beantwortet Radwan so: "Auf die Bundesebene, die Bahn und den Freistaat." Hauptanteilseigner der Bahn sei der Bund, weswegen er sich auch direkt an Bundesverkehrsminister Volker Wissing wenden wolle. Radwan sagt, er habe auch immer bei den Behörden angesprochen, dass die beiden Ausbau-Vorhaben B 11 und S-Bahn miteinander koordiniert werden müssten. Es sei aber alles "sehr, sehr mühsam, weil es die Behörden nicht schaffen, ressortübergreifend pragmatisch zu Lösungen zu kommen".

Cornelia Irmer

Cornelia Irmer spricht von einem Trauerspiel. (Foto: Manfred Neubauer)

Die Geretsrieder Altbürgermeisterin Cornelia Irmer (Freie Wähler), hat sich zwar vor Kurzem ganz aus der Politik zurückgezogen, bleibt aber ein politisch denkender Mensch: "Mir fehlt jegliches Verständnis", sagt sie zu den Verzögerungen der S7. "Man kann nicht alles immer auf Corona schieben." Wenn bei den Vorhabensträgern wirklich ein fester Wille vorhanden wäre, so Irmer, dann wäre das Ziel auch zu erreichen. Sie nennt es "ein Trauerspiel", dass die S-Bahn seit Jahrzehnten im Gespräch ist und nun noch nicht einmal die Planfeststellung abgeschlossen ist. "Das war schon angekündigt, als ich in Ruhestand gegangen bin - und das ist über acht Jahre her." Geretsried brauche die S-Bahn wegen der steigenden Einwohnerzahlen, wegen des Klimaschutzes und der Energiewende unbedingt.

Karl Bär

Der Grünen-Bundestagsabgeordnete Karl Bär. (Foto: Manfred Neubauer)

Der Wahlkreis-Bundestagsabgeordnete der Grünen Karl Bär sieht die Ursachen für die erneute Verzögerung im S7-Ausbau in der massiven Verteuerung der Zweiten Stammstrecke in München. "Ich ärgere mich fürchterlich, dass man so einen offensichtlichen Unsinn jetzt durchziehen muss", sagt er. Schon bei den anfänglich - aus heutiger Sicht viel zu niedrig - angesetzten Kosten sei das Projekt unverhältnismäßig gewesen, kritisiert Bär. Nun gehe es um Mehrkosten von fast fünf Milliarden Euro. Sollte dafür der Bund zur Kasse gebeten werden, "frisst das die bundesweiten Mittel für Mobilität auf". Diese könne man aber "nicht allein in den Stuttgarter Bahnhof und die Münchner Tunnel stecken", sagt Bär, wenn die "Bahninfrastruktur in weiten Teilen Bayerns vollkommen veraltet" sei. Der Grüne, dessen Partei der Regierung angehört, will sich weiterhin für den S7-Ausbau einsetzen. Bei Versprechungen, nun im Bund deutlich mehr Mittel für den ÖPNV-Ausbau freizugeben, ist er aber vorsichtig. "Sinnvoll wäre es auf jeden Fall", sagt er mit Blick auf die anvisierte Mobilitätswende. Angesichts der Haushaltslage mit Schuldenbremse, ohne Steuererhöhungen und der Auswirkungen des Ukraine-Kriegs sei das aber vermutlich schwer durchzusetzen. "Eigentlich bräuchten wir für die Bahninfrastruktur ein Sondervermögen, ähnlich wie bei der Bundeswehr", findet Bär - zig Milliarden Euro. Auch die Bahn sei schließlich "kaputtgespart" worden und könne ihre Aufgaben nicht mehr erfüllen.

Josef Niedermaier

Landrat Josef Niedermaier will sich "markige Worte" sparen. (Foto: Harry Wolfsbauer)

"Erfreulich ist diese weitere Verzögerung natürlich nicht", sagt Landrat Josef Niedermaier (Freie Wähler). "Man könnte das ja jetzt mit markigen Worten kommentieren." Aber auch dann werde die S-Bahn nicht früher kommen. Er versuche die positiven Seiten herauszustellen. Es habe Gerüchte gegeben, dass der Freistaat und auch der Bund nicht mehr zur S-Bahn-Erweiterung stünden, dem trete der bayerische Verkehrsminister entschieden entgegen. "Gut!", schreibt der Landrat. Es müsse eine neue Nutzen-Kosten- Bewertung nach aktuell dafür geltenden Regeln vorgenommen werden. Hier gebe es einen klaren Termin bis zum Ende des Jahres. "Die neuen Regeln helfen unserem Projekt zu einer voraussichtlich günstigeren Bewertung." Dann folge der Planfeststellungsbeschluss. "Und dann werden wir über die neuen Kosten reden müssen." Zur S-Bahn-Verlängerung gebe es aber in seinen Augen für die Mobilität in der Region keine Alternative, so Niedermaier.

Andreas Wagner

Andreas Wagner fordert Alternativen zur S-Bahn und setzt auf Expressbusse. (Foto: Harry Wolfsbauer)

Als Bundestagsabgeordneter der Linken, aus der er inzwischen ausgetreten ist, war Andreas Wagner Obmann für Verkehr. Als Geretsrieder war und ist er ein Befürworter der S-Bahn bis in die größte Stadt des Landkreises. Aber nach den neuesten Erkenntnissen sagt er: "Man kann sich als Landkreis nicht darauf verlassen, dass Bund und Land das Projekt realisieren." Alternativen seien nötig. Die sieht Wagner in Expressbussen "mit einer guten Taktung und einer Anbindung an München". Das sei relativ leicht realisierbar, da keine Trassen gebaut werden müssten. Expressbusse seien schnell und könnten flexibel auf das Fahrgastaufkommen reagieren, zudem ließen sie sich noch mit technischer Ausstattung "aufpimpen". Dafür hat Wagner sich bereits vor Jahren ausgesprochen: Busse mit Wlan-Anschluss und ausklappbaren Tischchen, um am Laptop zu arbeiten; außerdem eine App für Sitzplatz-Reservierungen. Die Schwierigkeiten für den S-Bahn-Ausbau bis Geretsried sieht Wagner noch durch die aktuelle Krise mit der Zweiten Stammstrecke in München verstärkt. Dazu kämen die weltpolitische Lage und eine drohende Rezession. "Wir müssen damit rechnen, dass die S7 bis Geretsried auf absehbare Zeit nicht realisiert wird." Die Zweite Stammstrecke nennt er ein Prestigeobjekt, das er nicht befürworte. "Es würde sehr viel mehr Sinn machen, einen S-Bahn-Ring rund um München zu legen." Dies würde die Stammstrecke entlasten und Querverbindungen schaffen.

Johannes Schneider

Lang ist's her: Im Jahr 2008 forderte eine Initiative "S7-Verlängerung Jetzt" (von links): Christian von Stülpnagel, Johannes Schneider, Wolfgang Schumann und Reinhold Krämmel. (Foto: Manfred Neubauer)

Offiziell, sagt Johannes Schneider, habe er keine Meinung mehr zur neuerlichen Verzögerung der S-Bahn-Verlängerung. Schließlich hat sich der Verein "S7-Verlängerung jetzt", dessen Vorsitzender er war, schon vor zwei Jahren aufgelöst - nach Beginn des Planfeststellungsverfahrens, für das sich Schneider und seine Mitstreiter lange vehement eingesetzt hatten. "Aber als Wolfratshauser Bürger, der seit 1946 hier lebt und die ganzen Entwicklungen mitbekommen hat, interessiert mich das natürlich schon." Als solcher ist Schneider zwar enttäuscht - den Starttermin 2024 hätte er bis vor einem Jahr für durchaus realistisch gehalten, wie er sagt. Aber er ist nicht mehr der Kämpfer, der er einst war. Bei der letzten verkündeten Verzögerung 2017 - damals wurde ein Baubeginn für 2020 avisiert - hatte Schneider für seinen Verein noch erklärt, man werde "unbequem" sein. Heute nimmt er die Sache aber gelassen. "Das liegt auch an meinem Alter", sagt der 79-Jährige. "Ich bin nach wie vor der Meinung, dass die S-Bahn-Verlängerung ein Muss ist", stellt Schneider klar. Wenn der Zug nicht nach Geretsried komme, versinke die größte Stadt des Landkreises im Verkehrschaos, ist er überzeugt. Doch durch die finanziellen Probleme des Staates angesichts der überraschenden Kostenexplosion bei der Zweiten Stammstrecke und des "riesigen Nachholbedarfs" bei der Deutschen Bahn, der in den vergangenen Jahren ans Licht gekommen sei, glaube er, "dass der S-7-Ausbau nicht mehr ganz oben auf der Liste steht". Überregionale Projekte hätten mehr Priorität, auch dringende Investitionen auf dem Land müssten zurückstecken, "so bedauerlich das auch ist". Die S-Bahn-Verlängerung nach Geretsried, die schon 1976 vom damaligen Landtagsabgeordneten Edmund Stoiber gefordert wurde, werde er "wohl nicht mehr erleben", sagt Schneider.

Martina Raschke

Martina Raschke wünscht sich "ein deutliches Signal" für die S-Bahn. (Foto: Hartmut Pöstges)

"Ich bin sehr, sehr enttäuscht", sagt die Geretsrieder Stadträtin Martina Raschke, ehemals Bürgermeisterkandidatin der Grünen, über die Verzögerung bei der S7-Verlängerung. "Ich hätte wie alle anderen gehofft, dass wir jetzt langsam mal weiterkommen." Stattdessen aber ziehe sich die Planung des Ausbaus weiter hin, die Umsetzung rücke "in weite Ferne". "Man wird hingehalten und vertröstet auf nichts", sagt Raschke. "Das ist eigentlich unmöglich in heutigen Zeiten. Und dramatisch. Denn wir brauchen dringend die Verkehrs- und Energiewende. Aber das reicht anscheinend nicht aus, um eine reale Planung zu machen." Daher findet Raschke es gut, dass sich die Abgeordneten aus dem Landkreis "da jetzt reinhängen und Druck machen". Sie wünsche sich "ein deutliches Signal, dass alle Beteiligten daran festhalten". Die Gefahr, dass die S7-Verlängerung ganz aus der Planung fällt, sehe sie nicht - auch wenn die noch für dieses Jahr angekündigte Kostenschätzung deutlich über den 164 Millionen Euro liegen dürfte, die 2012 ermittelt wurden. "Wenn so lange gebraucht wird, weiß jeder, dass sich die Kosten verdoppeln oder verdreifachen." Die Beteiligten - Freistaat, Bahn, Landkreis und Kommunen - hätten "ein Versprechen abgegeben, und das müssen sie halten".

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