Erneuerbare Energien:Landschaft oder Klima schützen

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Der erste Blick auf Icking und die Alpen, wenn man aus München auf der B11 Richtung Süden unterwegs ist. (Foto: Hartmut Pöstges)

In Icking schwelt ein Streit um eine geplante Photovoltaik-Freiflächenanlage - weil sie dort stehen soll, wo sich von München kommend erstmals der Blick aufs Isartal und die Alpenkette auftut. Die einen pochen auf die Notwendigkeit für Energieunabhängigkeit, die anderen sagen ja zu PV, aber nicht in ortsbildprägenden Landschaften und warnen vor schleichender Industrialisierung. Ein lokales Beispiel für ein generelles Entscheidungsproblem.

Von Claudia Koestler, Icking

Die Gemeinde Icking hoch über dem Isartal ist ein besonderes Fleckchen. Nicht nur sind die Häuser stattlich und die Grundstücke noch selten verdichtet, hier öffnet sich auch erstmals der Blick auf das Isartal und die Alpenkette, wenn man aus der Großstadt heraus in Richtung Süden fährt, sowohl als Autofahrer wie als S-Bahn-Nutzer. Die Immobilienpreise sind in urbaner Nähe hoch. Trotzdem prägt das Ländliche den Ort.

Die Natur blüht hier, doch es gedeiht noch etwas anderes: der Wille unter den Bewohnern, Vorreiter sein zu wollen. So hat Icking vor Jahren ein eigenes Glasfasernetz verlegt, bis zum Haus in jedem Weiler. Eine Energiegenossenschaft treibt die Unabhängigkeit der Bewohner bei ihrer Energieversorgung voran. Und die Gemeinde hat sich zum Grundsatzentschluss bekannt, energieunabhängig werden zu wollen. Doch ausgerechnet hierüber entbrennt gerade ein heftiger Streit in der Kommune. Denn Projekte für Photovoltaikanlagen stehen für die einen für genau diesen Grundsatz - für andere aber steht ein konkretes Projekt an der falschen Stelle -, nämlich dort, wo sich das Isartal für Anwohner und Durchreisende öffnet.

An der B 11 zwischen Icking und Ebenhausen sollte zwischen den Gleisen und der Bundesstraße eine Photovoltaikanlage entstehen. Viele Bürger wehrten sich aber dagegen. (Foto: Harry Wolfsbauer)

Letztlich geht es um die Frage: Was hat mehr Gewicht, die Notwendigkeit von regenerativen Anlagen zur Stromgewinnung oder das Landschaftsbild? Der Streit schlägt auch hohe Wellen, weil er von der Angst befeuert wird, dass die Anlagen nach und nach auch für gewerbliche oder gar industrielle Zwecke genutzt werden könnten - und somit aus der Landschaft in einer Art Salamitaktik ein Gewerbegebiet entstehen könnte. Proteste formieren sich, die Informationskanäle laufen heiß, gepaart von Bitten um Sachlichkeit statt Emotion. Also, worum geht es genau?

Eine große Anlage gibt es bereits auf Ickinger Flur

Ein Blick zurück zunächst: Photovoltaik ist kein neues Thema für die Gemeinde, im Gegenteil, auch nicht die Thematik der erneuerbaren Energien. Weil vor mehr als drei Jahren ein großes Geothermie-Projekt östlich der A 95 gescheitert ist, gibt es aktuell bereits einen großen Solarpark in der Kommune. Da der Boden, auf dem die Geothermie-Anlagen hätten stehen sollen, wegen der Messungen verdichtet und für die Landwirtschaft kaum mehr nutzbar gewesen sei, hatte die Eigentümerin eines der beiden Grundstücke die Idee der Umnutzung als Freiflächen-Photovoltaik-Anlage. Heute stehen 5523 Photovoltaik-Module auf der mehr als ein Hektar großen Fläche und produzieren bis zu 2,3 Millionen Kilowattstunden Strom im Jahr. 575 Vier-Personen-Haushalte können damit versorgt werden. Icking zählt etwa 3670 Einwohner, hat also rechnerisch 917,5 Haushalte mit je vier Personen. Damit wäre schon einmal - rein rechnerisch - mehr als die Hälfte geschafft auf dem Weg zur Kommune, die sich selbst mit Strom versorgt.

Doch schon bei diesem Bau war der Gemeinderat zwiegespalten. Schließlich hatte man den Bürgerinnen und Bürgern versprochen, das Grundstück, wenn dann nur und ausschließlich für Geothermie zu nutzen oder aber rückzubauen. Dass aber ein Zurück zur Nutzung als landwirtschaftlicher Grund dann nicht mehr möglich war, empfanden manche Gemeinderäte als Grundstückswandlung, die man eigentlich ja hatte vermeiden wollen. Mit einer knappen Mehrheit votierte der Rat letztlich dann doch für das Vorhaben.

Grundsatzbeschluss zur Energieunabhängigkeit

Rechnerisch gelingt Icking durch diese Unternehmung einer Einwohnerin bereits ein großer Sprung nach vorne, was die Erzeugung von regenerativen Strom innerhalb der Kommune betrifft. Nach dem Grundsatzentschluss der Gemeinde zur Energieunabhängigkeit im vergangenen Jahr ist Icking zudem auf Eigentümer landwirtschaftlicher Flächen nahe der A 95 zugegangen, denn der Korridor von 200 Metern entlang der Autobahn gilt als besonders geeignet. Der Gedanke: Noch so ein Projekt, und die Isartalkommune würde mehr als den aktuellen Strombedarf ihrer Bürger aus lokaler Produktion decken. In der Folge kam es tatsächlich zu gleich drei Anträgen - und mit ihnen aber auch zu Protesten. Inzwischen ist eines der Projekte, nämlich die Anlage "Kaltenbrunn" in Attenhausen, wieder ad acta gelegt - auch wegen des Widerstands der Anwohner. Dafür aber gärt es nun umso heftiger bei einem verbliebenen Vorhaben, und zwar bei jenem, das eben gar nicht an der Autobahn liegen soll, sondern zwischen der B 11 und der Bahnlinie. Und damit auf jenen Wiesen, die hinter Ebenhausen und vor Icking den Blick auf die Alpenkette freigeben.

Zwei Simulationen der inzwischen vom Gemeinderat abgelehnten Photovoltaik-Anlage an der B11. (Foto: oh)

Die geplante PV-Anlagenfläche beträgt laut Antrag etwa 5,7 Hektar, sie wäre maximal 3,3 Meter hoch und brächte eine Leistung von rund 5000 Kilowattpeak, was ungefähr fünf Millionen Kilowattstunden Strom erbringt. Geht man von einem Verbrauch von etwa 4000 Kilowattstunden Strom pro Haushalt pro Jahr aus, könnte die geplante Anlage - wieder rein rechnerisch - etwa 1300 Haushalte versorgen. In Icking würde damit mehr Energie produziert denn verbraucht. Die Grünen allerdings geben zu bedenken, dass der Stromverbrauch durch Elektroautos und Wärmepumpen signifikant steigen werde, weshalb nach 2030 "durch die Anlage eher deutlich unter 1000 Haushalte versorgt werden können."

Der Bund Naturschutz sieht die Notwendigkeit nicht

Der Bund Naturschutz allerdings kommt zu einem anderen Fazit: "Die PV-Freiflächenanlage an der B11 brauchen wir nicht für die Energie-Autarkie Ickings", sagt die Vorsitzende Beatrice Wagner. Inklusive der bereits bestehenden Freiflächenanlage gebe es in Icking aktuell 250 Solaranlagen. Um den aktuellen Strombedarf vollständig zu decken, würde es ausreichen, wenn auch auf dem zweiten Areal der Geothermie-Anlage ein Solarpark entsteht und dann alle weiteren geeigneten Dächer mit einer PV-Anlage bestückt würden. Ein Blick ins Solarkataster Bayern zeige: "Es gibt in Icking noch jede Menge freie Dächer, bestens geeignet für den Betrieb einer Solaranlage. Und zudem gibt es weitere regenerative Stromerzeugungsmöglichkeiten", so Wagner.

Die Grünen verweisen darauf, dass etwaige Nebengebäude aktuell nicht Gegenstand der Diskussion sind

Gerade die Frage nach einer eventuellen Überversorgung an Strom durch die geplante Anlage schürt die Angst vor dessen möglicher Nutzung: Denn im Zuge der Planungen wurden eventuelle Nebengebäude erwähnt. Der Antrag sprach von der Idee, Kühlhäuser direkt an der Anlage anzusiedeln, die mit dem dort gewonnenen Strom versorgt werden könnten. Kolportiert wird, dass diese Kühlhäuser auch für Produkte der Pharmaindustrie nutzbar wären. Sogar von der Produktion von Wasserstoff war die Rede - kurzum, alles Ideen für die Verwendung des produzierten Stroms. Die Grünen wiederum betonen, dass Nebengebäude zwar erwähnt wurden, aber aktuell in keiner Planung enthalten seien und somit nicht Gegenstand der Diskussion im Gemeinderat wären. Die im Antrag beschriebene Idee der Kühlhäuser sehe der gesamte Gemeinderat an dieser Stelle indes extrem kritisch, "auch wir von den Grünen", erklären die Gemeinderäte. Nebengebäude müssten eigens beantragt und genehmigt werden. Batteriespeicher seien indes sinnvoll, könnten aber auch dezentral stehen. Grundsätzlich sei aber auch das noch unbekannt und müsste erst in einer Planung vorkommen, über die dann zu entscheiden sei.

Bleibt also die Grundsatzfrage nach der Eignung des Standorts. Hier betonen Teile der Bürgerschaft und des Gemeinderats dessen ortsbildprägenden Charakter mit überregionaler Wirkung. Die Grünen indes sagen: "Es gibt nur eine sehr geringe Anzahl an Einwohnern, die von ihrem Haus aus in Richtung der Anlage sehen." Zudem habe das Grundstück eine Neigung und falle in Richtung Süd-Ost ab, "so dass es vor allem aus Icking bei der Fahrt in Richtung Norden sichtbar ist. Bei der Vorbeifahrt auf der B11 in Richtung Süden sieht man die Anlage allerdings auch erst nach dem Parkplatz mit seinen hohen, die Anlage verdeckenden Bäumen, also für einen kurzen Moment." Die Grünen argumentieren mit der grundsätzlichen Notwendigkeit von PV-Anlagen - die auch von den Kritikern nicht infrage gestellt wird. Ihr Protest sei kein Floriansprinzip, betonen diese, sondern Kritik am spezifischen Standort, der für viele mehr Bedeutung habe als nur eine Wiese. Dieser Wert, betonen sie, müsste in der Diskussion eine Berechtigung haben.

Es mangelt noch an detaillierten Informationen

Noch einmal ein Blick zurück, für Ickings Zukunft: Der Münchner Bauunternehmer Jakob Heilmann wollte zur Jahrhundertwende zwischen Ebenhausen und Icking eine Gartenstadt errichten. Geplant waren Hunderte Parzellen mit Villen, Alleen und internationale Kongresszentren. Mit mancher heute noch sichtbaren Allee legte er das Fundament dazu, doch der Erste Weltkrieg stoppte das ehrgeizige Projekt. "Es bleibt den Nachfolgern, auf dem Begonnenen weiterzubauen", ist von Heilmann überliefert. Oder eben das Erhaltene wertzuschätzen. In Sachen Photovoltaik-Freifläche an der B11 liegt der Ball aktuell wieder beim Investor. Der Antrag sei zwar eingereicht, werde aber nicht in der nächsten Gemeinderatssitzung behandelt - mangels detaillierter Informationen, wie es aus Ratskreisen heißt.

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