SZ-Gespräch mit "Buidl"-Sammler Claus Eder:"Wir können uns das nicht mehr vorstellen"

Lesezeit: 4 min

Sehnsucht nach einem Leben auf der Alm? Die meisten Leute würden sich nach einem Tag krankschreiben lassen, schätzt Claus Eder

Interview von Stephanie Schwaderer

Claus Eder vom Buidleck Lenggries ist Fotograf, Bild-Restaurator und ein leidenschaftlicher Hüter der Vergangenheit. Um die 500 000 Fotografien umfasst sein Archiv, das er in Teilen von seinem Urgroßvater und Großvater übernommen und über die Jahre immer weiter ausgebaut hat. In den vergangenen Monaten hat der 57-Jährige wieder tief in die Schubladen gegriffen und zwei neue Fotobände zusammengestellt: "Auf der Alm - Wia's früher war" und "Lenggries Band 1 - Wia's früher war".

SZ: Herr Eder, auf welcher Alm hätten Sie gerne vor 100 Jahren Käse gerührt?

Claus Eder: Vielleicht auf der Tiefentalalm unterhalb der Probstenwand. Ich mag die Gegend da, und die Alm liegt schön geschützt und zugleich abgelegen. Auf den Rauh- oder den Rosssteinalmen war es bestimmt nicht so gemütlich. Da hat's sicher ganz schön gezogen.

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In Ihrem Vorwort schreiben Sie, dass das Leben auf der Alm hart und entbehrungsreich war. Zugleich scheint in vielen Fotografien so etwas wie Hüttenromantik auf. Wie erklären Sie diesen Widerspruch?

Ich kenne viele Leute, die sich wünschen, einmal einen Sommer auf der Alm zu leben, fern der ganzen Hektik, im Einklang mit sich und der Natur. Die Wahrheit ist: Es würde nicht funktionieren. Die wenigsten könnten auf die ganze Elektronik verzichten - Handy, Laptop, Fernseher. Die meisten könnten auch keine 14 Tage alleine sein. Und sie wären sicherlich mit den täglich anfallenden Arbeiten überfordert.

Claus Eder begann im Alter von 15 Jahren eine Fotografenlehre. Wenn er heute mit der Kamera loszieht, geht es meist um Landschaftsaufnahmen, die er auch in seinem Lenggrieser Laden Buidleck verkauft. (Foto: Claus Eder)

Könnten Sie es?

Nein. Wenn man das bäuerliche Leben nicht gewohnt ist, würde man sich vermutlich nach dem ersten Tag krankschreiben lassen. Das ist vergleichbar zum Spargelstechen. Vier Stunden würde ich das durchhalten, länger nicht. Stellen Sie sich vor, Sie müssten eine Herde Kühe von Hand melken! Oder alle Tiere vom Berg runterholen! Da müssen Sie jede Kuh kennen, zu jeder eine Beziehung aufbauen. Und dann verunglückt ein Tier. . . Wir können uns das alles gar nicht mehr vorstellen.

Auch die Bilder vom Sensen im steilen Gelände sind beeindruckend.

Manche Männer haben das nicht überlebt. Du rutschst ab, und es geht dahin. Solche Unfälle hat es immer wieder gegeben. Dann die Hitze in der Erntezeit, die Fliegen und Bremsen. Die Senner haben versucht, sie mit Feuern zu vertreiben. Auch das zeige ich in meinem Buch. Es ist eine Zusammenfassung von einzigartigen Aufnahmen, die einen Überblick davon geben, was die Leute auf der Alm geleistet haben.

Man begegnet dabei auch vielen Frauen: der Stie Urschel beim Wetzen der Sense zum Beispiel oder der Waldherrn Lisl mit einem Stoz'n Kas. Wissen Sie mehr von diesen Frauen, als Sie in den knappen Bildunterschriften verraten?

Von vielen weiß ich mehr. Für meine Chronik übers Brauneckgebiet, die 2008 erschienen ist, habe ich damals mit einigen Almbäuerinnen gesprochen. Sie haben mir Fotos gegeben und mir vom Leben in den Bergen erzählt. Ich hab das alles aufgeschrieben und in Teilen für die Brauneck-Chronik verwertet. Bei den aktuellen Buchprojekten geht es mir vorrangig ums Bildmaterial. Es ist eine Nachlese zum gesamten Isarwinkel, wobei ich die besten und zum Großteil bislang unveröffentlichte Aufnahmen präsentiere.

Zugleich werfen manche Fotografien Schlaglichter aufs politische Zeitgeschehen. Wenn Franziskanermönche der Oswald Mare bei der Heuernte helfen, steckt der Krieg dahinter, oder?

Genau, der Zweite Weltkrieg. Alle Männer mussten einrücken, und die Frauen und Kinder waren auf sich gestellt und hatten die Almen zu bewirtschaften. Die Franziskanermönche aus Tölz haben ihnen geholfen - auf den Rauhalmen wie auf den Siebenhüttenalmen. Wenn sie später wieder einmal zu Besuch kamen, haben die Frauen aus Dank die Fahnen gehisst, das sieht man auf vielen Bildern.

Bauern auf dem Weg zu Reparaturarbeiten: In seinem neuen Bildband "Auf der Alm - Wia's früher war" zeigt Claus Eder bislang unveröffentlichte Aufnahmen. (Foto: Claus Eder)

Sie zeigen auch ein Foto des zehn Meter hohen Hakenkreuzes, das Wackersberger 1933 auf dem Heiglkopf errichteten. Lässt sich diese Geschichte so einfach ins Kapitel Gipfelkreuze einreihen?

Ja, ich finde schon. Das gehört einfach zu unserer Vergangenheit. Die meisten Wackersberger haben sich damals wie der Großteil des Isarwinkels zum Nazitum bekannt. Später haben sie erkannt, dass sie einen Fehler gemacht hatten. Und so wurde zum Kriegsende das Hakenkreuz entfernt und mit großer Beteiligung der Bevölkerung ein neues Bergkreuz aufgestellt.

Sie schreiben: "Für die Ehrung der damaligen größten Deutschen, Hitler und Hindenburg, hat der Gemeinderat eine nicht alltägliche Form gewählt. Es wurde beschlossen, den Heiglkopf und die benachbarte Wackersberger Höhe umzutaufen in Hitlerberg und Hindenburghöhe." Wären da nicht deutlichere Worte nötig gewesen?

Ich bemühe mich immer um größtmögliche Neutralität. Das mache ich, um niemanden zu verprellen.

Auch in Ihrem neuen Lenggries-Band blitzt die NS-Zeit auf - mit einem Farbfoto von der winterlichen Marktstraße mit knallroten Hakenkreuz-Fahnen, wie man es selten zu sehen bekommt.

Ja, ich kann die Marktstraße ja nicht schön schreiben. Ich muss die Geschichte, die Vergangenheit sichtbar machen.

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Ihr Archiv umfasst eine halbe Million Bilder. Wie finden Sie sich darin zurecht?

Seit ich mit 15 meine Fotografenlehre begonnen habe, beschäftige ich mich mit dem Archivieren. Ich habe ein digitales und ein analoges Archiv aufgebaut. Lenggries habe ich zum Beispiel nach Straßen aufgeteilt, darunter die Marktstraße mit den Häusern 1 bis 14, dann gibt es noch die Plätze oder die Brücken. Wenn Sie sagen, Sie brauchen die Isarbrücke aus Holz, weiß ich, wo ich hingreifen muss. Und wenn Sie sagen, Sie wollen sie in Beton, zeige ich Ihnen, was ich da habe.

Der neue Lenggries-Band dürfte vor allem für Ortskundige eine Freude sein. Sie dokumentieren die Entwicklung der Dorfstraße in den vergangenen 150 Jahren. Gibt es Aufnahmen, auf die Sie besonders stolz sind?

Aus 3000 Bildern habe ich 150 ausgewählt und versucht, eine möglichst große Vielfältigkeit hineinzubringen, nichts Langweiliges, nichts, was man schon kennt - abgesehen von ein paar Raritäten, die in einem solchen Buch nicht fehlen dürfen.

Ein paar Farbaufnahmen stechen ins Auge, etwa die Ankunft von Touristen 1959.

Ja, das ist ein besonderes Bild aus der Anfangszeit des Tourismus. Es zeigt, wie geschätzt die Gäste damals waren. Sie wurden von den Vermietern vom Bus abgeholt - mit dem Leiterwagen oder mit dem Muli.

Sie haben den Verkauf der beiden Bücher mit einer Spendenaktion verknüpft, warum?

Damit wollen wir den 42 Intensiv-Pflegern, Ärzten und Hilfskräften auf der Intensivstation der Asklepiosklinik in Bad Tölz etwas Gutes tun . Es ist eine kleine Anerkennung für ihre Leistung. Je ein Euro pro verkauftem Buch fließt in diese Aktion. Zudem haben wir einen Sockelbetrag von 840 Euro gespendet. Vor dem Buidleck haben wir eine Geldbüchse installiert, wer mag, kann auch da etwas hineinwerfen.

Die Bildbände kosten je 25 Euro, erhältlich im Lenggrieser Buidleck (Marktstraße 5) sowie unter www.buidleck.de.

© SZ vom 09.12.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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