Leistungssport:Trainieren jenseits der Binarität

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Vergangene Woche waren die Outfits für Amanda Reiter noch nicht ganz fertig. An diesem Donnerstag trägt die Leichtathletin sie auf dem roten Teppich in Venedig . (Foto: Hartmut Pöstges)

Seit beinahe 20 Jahren läuft Amanda Reiter aus Lenggries Marathons. Eine Dokumentation mit der Transathletin feiert nun auf der Biennale Weltpremiere.

Von Veronika Ellecosta, Lenggries/Venedig

Das Kleid mit dem Rockteil in Mintfarben, die sattgelbe Palazzohose aus Cord und die perlenbestickten Träger: Winardi Reiter habe in den vergangenen Wochen Tag und Nacht an den Entwürfen gesessen, um rechtzeitig fertig zu werden, erzählt Amanda Reiter. Das war auch wichtig, denn diese Woche läuft im Rahmen der Filmfestspiele Venedig die "Settimana internazionale della Critica" mit aufstrebenden Filmschaffenden. Die 56-jährige Amanda Reiter wird in den Kleidern ihres Partners über den roten Teppich laufen. Der Dokumentarfilm "Life is not a Competition, but I'm winning" über Queerness im Leistungssport, in dem sie eine tragende Rolle spielt, feiert dort Weltpremiere.

Regisseurin Julia Fuhr Mann holt darin Menschen aus dem Leistungssport vor die Linse, die wie Amanda Reiter jenseits der binären Geschlechterordnung trainieren. Die Transathletin aus Lenggries läuft Marathons und andere Langstrecken. Sie trainiere neun Mal in der Woche, zwei Morgeneinheiten, die anderen nach der Arbeit, weil sie ein Morgenmuffel sei, erzählt sie.

Seit 2005 macht Amanda Reiter das, und sie hat nie damit aufgehört. 2014 nicht, als sie sich einer Hormonbehandlung unterzog. Und 2015 nicht, nach ihrer geschlechtsangleichenden Operation. Damals sei sie im Schritttempo vor sich hin gejoggt, sagt sie. Aber aufgehört mit dem Laufen habe sie nie, es sei Bestandteil ihres Lebens.

Kritik ernte sie nur, sobald sie gewinne

Seit beinahe zehn Jahren startet Reiter in der Damenkategorie. "Ich bin die einzige Transathletin dort", sagt sie. Dass es keine anderen transgeschlechtlichen Frauen in ihrer Kategorie gebe, liege daran, dass die meisten sich nicht der Öffentlichkeit preisgeben wollen, und ja, auch an der Hetze. "Die verschwinden dann in der Unsichtbarkeit", sagt Reiter. Sie selbst hat einen anderen Weg beschritten und ist mit ihrer Transidentität an die Öffentlichkeit gegangen.

Die Dokumentation von Fuhr Mann begleitet Reiter bei ihren Trainingseinheiten im Isarwinkel und bei Wettkämpfen in München und Frankfurt. Und sie wirft Fragen auf über den Umgang mit Menschen im Sport, die bestimmten Normen nicht entsprechen. "Ohne Bewertung", sagt Reiter. Der Film beginne mit einer Rückblende zu frühen Olympischen Spielen. Frauen wurden ausgeschlossen, weil man ihnen keine körperliche Leistungen zumutete. Die Geschichte des Sports sei eben eine lange Geschichte der Vorurteile, sagt Reiter.

Auch auf ihrem eigenen Weg als Sportlerin haben Vorurteile sie begleitet. Man sagte, dass sie immer gewinnen würde, dass sie körperlich überlegen sei. "Aber ich hab noch keinen Rekord bei den Damen gebrochen, außergewöhnliche Zeiten geschafft oder ständig gewonnen", betont sie. Die Kritik ernte sie auch nur, wenn sie dann mal siege.

Unter welchen Bedingungen transgeschlechtliche Athletinnen in der Frauen-Kategorie starten dürfen, darüber ist sich die Sportwelt noch uneins. So beschloss etwa der Leichtathletik-Weltverband in diesem Jahr, dass Athletinnen mit Varianten der Geschlechtsentwicklung einen gewissen Testosteronwert im Blut zwei Jahre lang unterschreiten müssen. Unabhängig davon dürfen sie nicht mehr an Weltranglistenwettkämpfen bei den Frauen teilnehmen, wenn sie die männliche Pubertät durchlaufen haben. Das Internationale Olympische Komitee verabschiedete sich hingegen von allgemeingültigen Vorgaben zum Testosteronwert. Seitdem soll in jeder Sportart entschieden werden, wann ein unfairer Vorteil vorliegt.

Auch Sozialisation spielt eine Rolle, sagt Reiter

Es gibt einen anderen Aspekt im Leistungssport, den Amanda Reiter hervorhebt: Ihre Sozialisation als Mann. Sie selbst sei mit Männern aufgewachsen und als Mann erzogen worden, habe ihren Dienst bei der Bundeswehr absolviert. Dort habe sie auch das Laufen entdeckt. "Ich habe vielleicht mehr Härte als andere Frauen und bin weniger vorsichtig", sagt sie. Jemand habe ihr einmal gesagt, sie habe das Durchsetzungsvermögen eines Mannes und die Empathie einer Frau. Bei den ersten Rennen bei den Damen sei sie ganz vorne gestartet, die anderen Frauen hätten sich weit hinten aufgereiht. "Die waren es so gewohnt, hinter den Männern zu stehen." Da sei sie aber Pionierin gewesen: Im Landkreis würden sich die Athletinnen heute auch nach vorne drängen. "Sie sind auch von den Zeiten schneller geworden", sagt Reiter stolz.

"Life is not a Competition, but I'm winning" wird am Donnerstag, 31. August, und am Freitag, 1. September, bei den Filmfestspielen gezeigt, am Samstag werden die Auszeichnungen der Critic's Week verliehen. Für Amanda und Winardi Reiter ist es eine großartige Gelegenheit, Venedig zu besuchen - und die Outfits auszuführen. "Alle Stars der Welt sind da", sagt Reiter. "Und wir auch."

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