Verkehr:Was Dobrindts Stammstrecken-Versprechen wert ist

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Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt: "Ich kenne kein Limit bei der Stammstrecke." (Foto: Frank Leonhardt/dpa)
  • Verkehrsminister Alexander Dobrindt hat die Bereitschaft des Bundes bekräftigt, sich an möglichen Mehrkosten einer zweiten Münchner S-Bahn-Stammstrecke zu beteiligen - "ohne Wenn und Aber".
  • Gegner des Tunnelprojekts kritisieren dagegen, dass Dobrindts Zusage zu unkonkret sei. Tatsächlich hatte der Minister ähnliche Aussagen bereits im Mai 2014 getätigt.

Von Heiner Effern und Marco Völklein, München

Fast schon beseelt reiste am Mittwoch eine Politikerdelegation aus München und der Region zurück aus Berlin. Denn dort hatten die Stadträte, Bürgermeister und Landräte genau das gehört, was sie sich von Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) erhofft hatten: Er stehe klar zum Bau eines zweiten S-Bahn-Tunnels durch die Innenstadt, und zwar "ohne Wenn und Aber", sagte der Minister am Dienstagabend. Auch wenn die Baukosten weiter steigen sollten, "wird sich der Bund beteiligen", versprach Dobrindt. "Ich kenne kein Limit bei der Stammstrecke." Münchens Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) zeigte sich "extrem froh" darüber. Doch bereits am Mittwoch keimten Zweifel, wie viel Dobrindts Aussage tatsächlich wert ist.

Die Gegner des Tunnelprojekts bezweifelten, dass sich irgendetwas geändert hat. "Ist das nicht der Minister, der uns auch die Maut versprochen hat?", ätzte beispielsweise der Landtagsabgeordnete Michael Piazolo von den Freien Wählern. Grünen-Stadtrat Paul Bickelbacher urteilte, die nach Berlin entsandte Delegation habe "nichts erreicht außer der bemerkenswert unkonkreten Zusage des Ministers, dass der Bund sich an eventuellen Mehrkosten beteiligen will". Und der Landtagsabgeordnete Markus Ganserer (Grüne) ergänzte, der Bundesverkehrsminister hätte "mit konkreten Haushaltszahlen erklären" sollen, "wie er das Projekt finanzieren will".

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Was sich seit 2014 getan hat

Tatsächlich hatte Dobrindt die Aussagen mit ähnlichem Wortlaut bereits im Mai 2014 getätigt. Auch damals hatte er erklärt, die zweite Röhre habe "hohe Priorität bei mir", und den Satz gesagt, den er am Dienstagabend in Berlin wiederholte: "Ein Limit kenne ich bisher nicht." Seither allerdings ist in der Sache so gut wie nichts passiert - außer, dass die Kosten für das Projekt ausweislich interner Unterlagen der Deutschen Bahn weiter gestiegen sind, auf aktuell bis zu 3,1 Milliarden Euro. Und dass sich die geplante Inbetriebnahme bis in das Jahr 2025 verschoben hat. Die Finanzierungsfrage indes ist nach wie vor ungeklärt, weshalb Piazolo die Worte Dobrindts als "recht kühne Ansage" wertete.

In der Tat ist der Geldtopf, aus dem der etwa 50-prozentige Anteil des Bundes an dem Tunnelprojekt bezahlt werden soll, nicht gerade üppig gefüllt. Dieser Topf nennt sich "Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz", kurz GVFG. Aus ihm fließen pro Jahr insgesamt 333 Millionen Euro für kommunale Verkehrsprojekte an die Länder.

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Wie es um die Finanzierung steht

Bislang war unklar, ob diese Mittel über das Jahr 2019 hinaus weiter zur Verfügung stehen werden. Ende September einigten sich Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und Vertreter der Länder darauf, dass das GVFG auch über 2019 hinaus verlängert wird. Somit ist zumindest eine Forderung der Berlin-Fahrer aus München bereits erfüllt: Das GVFG-Geld wird auch im kommenden Jahrzehnt fließen. Das Problem ist nur: Es reicht bei Weitem nicht aus, um all die vielen geplanten Verkehrsprojekte in den Kommunen zu realisieren.

Denn seit Jahren schon ist das GVFG um das 20-Fache "überzeichnet", wie das bei den Fachleuten heißt. Die Kommunen haben deutlich mehr Verkehrsprojekte beim Bund angemeldet, als dieser je wird finanzieren können. Und anders als bei anderen Töpfen aus Dobrindts Verkehrsetat haben Merkel und die Länderchefs im September beim GVFG auch keine "Dynamisierung" vereinbart, also ein regelmäßiges Aufstocken der Finanzmittel.

Welche Befürchtungen die Tunnelskeptiker hegen

Nach Angaben des Grünen-Abgeordneten Ganserer würden allein die Anmeldungen aus dem Großraum München für hiesige S- und U-Bahn-Projekte etwa ein Fünftel des bis 2019 veranschlagten GVFG-Budgets verschlingen. Die Tunnelskeptiker befürchten: Angesichts dieses Volumens wird sich kein Haushaltspolitiker im Bund hinstellen und GVFG-Geld dieser Größenordnung nach München leiten. Das würde in den anderen Bundesländern zu einem Aufschrei führen.

Befürworter der zweiten Röhre fordern daher seit Langem mögliche "Sondertöpfe", um die Finanzierungslücke zu schließen - zuletzt wurde gehofft, mit den Bewerbungen für Olympische Spiele täten sich solche Töpfe auf. Aber woher soll das Geld kommen? "Es gibt schlicht keinen Topf, auf dem draufsteht: ,Dieses Geld ist für die zweite Stammstrecke'", sagt Ganserer. Und selbst wenn der Bundesfinanzminister eine solche Schatulle einrichten würde, "dann würde das sofort Begehrlichkeiten bei anderen Ländern wecken", sagt Ganserer.

Die Befürworter des Tunnels bauen trotzdem auf Dobrindts Worte. Deutlichere Aussagen könne man sich nicht wünschen, erklärte Oberbürgermeister Dieter Reiter: "Der Bau sollte jetzt nicht mehr scheitern." Und Bayerns SPD-Chef Florian Pronold wertete die Aussage als "Riesenerfolg für die Region München". Sollte das Projekt gebaut werden, "strahlt das auf ganz Bayern aus".

© SZ vom 26.11.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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