Pläne für die S-Bahn:Wie die zweite Stammstrecke München spaltet

Lokführerstreik -– München

Signal auf Rot: Dass für die Münchner S-Bahn eine zweite Stammstrecke gebaut wird, ist am Montag mal wieder unwahrscheinlicher geworden.

(Foto: Sven Hoppe/dpa)

Es dauert länger und wird noch teurer: Braucht die Stadt einen neuen Tunnel für die S-Bahn? Das sagen Gegner und Befürworter.

Die geschätzten Baukosten liegen nun schon bei bis zu 3,1 Milliarden Euro und vor dem Jahr 2025 wird es ihn nicht geben: Mit dem geplanten zweiten S-Bahn-Tunnel für München geht es allenfalls schleppend voran. Endgültig entschieden werden soll nun erst Mitte des kommenden Jahres, wie Verkehrsminister Joachim Herrmann (CSU) am Montag sagte. Wird die zweite Stammstrecke also überhaupt kommen? Oder sollte man die Planungen nicht lieber gleich bleiben lassen?

Andreas Barth, Sprecher Fahrgastverband Pro Bahn: "Immer wieder neue Kostensteigerungen und immer wieder Vertröstungen beim Zeitplan und der Finanzierungsfrage. Der Umgang mit dem Projekt zeigt: Die Politik hat kein Interesse daran, die Situation der S-Bahn-Fahrgäste zu verbessern. Schlimmer noch: Ihr fehlt der Mumm, das Projekt endlich zu beerdigen und Alternativen anzugehen."

Maximilian Etzel, 29, aus Berg am Laim: "Die zweite Stammstrecke finde ich uncool. Man kann das doch auch anders hinbekommen, dass die S-Bahn pünktlich kommt, in anderen Ländern geht das auch. Das Geld sollte man lieber für sozialen Wohnungsbau ausgeben."

Rudolf Bachl, 60, aus Vaterstetten: "Die zweite Stammstrecke brauchen wir unbedingt, denn so, wie es zurzeit läuft, geht es gar nicht. Ich fahre erst seit einem Jahr S-Bahn, seit ich meinen Arbeitsplatz gewechselt habe. Wegen Problemen auf der Stammstrecke komme ich immer wieder zu spät - sowohl zur Arbeit als auch in den Feierabend."

Josef Hauner (CSU), Landrat von Freising: "In 15 Jahren werden 350 000 Menschen mehr in der Region wohnen - da kann der öffentliche Nahverkehr nur Bestand haben, wenn wir die Stammstrecke und Tangentialverbindungen bauen. Es ist bedauerlich, dass der Preis steigt, aber deshalb kann man doch nicht ein Projekt sein lassen, das wir alle für richtig halten. Ich wünsche es mir, von daher habe ich den Glauben daran noch nicht aufgeben."

Volker Kefer, Infrastrukturvorstand der Deutschen Bahn: "Es ist schlichtweg im Moment nicht vorstellbar, dass die Region München weiter wächst und die S-Bahn als umweltfreundliches Verkehrsmittel da nicht mitwachsen kann."

Ingeborg Michelfeit, Vorsitzende der Bürgerinitiative Haidhausen: "Die Finanzierung des viel zu teuren Tieftunnels ist noch immer nicht gesichert. Deshalb ist es fraglich, ob er überhaupt kommt. Und selbst wenn er käme, brächte er für viele Fahrgäste eine Verschlechterung gegenüber dem heutigen Stand. Wir fordern daher eine zweite Stammstrecke über den Bahn-Südring - die wäre günstiger und ließe sich auch noch sukzessive errichten."

Rui Marques, 40, Eisdiele "Il Gelato Italiano" am Orleansplatz: "Ich bin nicht gegen die Entwicklung der Stadt und finde den zweiten Tunnel in Ordnung, wenn die Baustelle am Orleansplatz so ruhig bleibt, wie sie ist. Aber ich habe auch Angst, dass ich meinen Laden nach 17 Jahren schließen muss. Denn noch weiß man ja nicht genau, wo das Loch entstehen wird."

Joachim Herrmann (CSU), Verkehrsminister: "Ohne die zweite Stammstrecke werden wir das beschleunigte Mobilitätswachstum nicht meistern können. Auch dichtere Takte und Express-Verbindungen in die Metropolregion gibt es nur mit ihr. Dringend notwendige Akzente bei der Wohnraumschaffung in der Region werden sich nur wirkungsvoll setzen lassen, wenn eine attraktive Erschließung im öffentlichen Verkehr gesichert ist."

Anonym, Fahrkartenkontrolleur der DB Sicherheit: "Den Frust der Fahrgäste bekomme ich immer als erster ab. Ich bin auf jeden Fall für die zweite Strecke, denn wenn hier irgendwelche Störungen in der Röhre sind, geht gar nichts mehr. Es wäre doch im Interesse der Fahrgäste, wenn sie auf der anderen Seite einfach in die nächste Bahn einsteigen können. Stoppen kann man das Projekt ohnehin nicht mehr."

"Dieser Tunnel ist nicht nur für die Münchner wichtig"

Markus Rinderspacher (SPD), Fraktionsvorsitzender im Landtag: "Dieser Tunnel ist nicht nur für die Münchner und das S-Bahn-Einzugsgebiet wichtig, sondern für den gesamten Regionalverkehr in Südbayern. Wir müssen das derzeitige Nadelöhr beseitigen. Die von Verspätungen und Zugausfällen geplagten Pendler und weiteren Bahnfahrgäste dürfen nicht noch länger vertröstet werden."

Margot Blankenhagen aus Röhrmoos: "Die Stammstrecke ist teuer, aber sie ist eine sinnvolle Investition, denn München braucht ein gutes Bahnnetz. Ich bin für die zweite Stammstrecke. Eigentlich habe ich ein Jahresticket für die S-Bahn. Wenn ich aber morgens sehe, dass die Bahn Verspätung hat, dann gehe ich zurück nach Hause und fahre dann doch mit dem Auto."

Peter Driessen, Industrie- und Handelskammer für München und Oberbayern: "Aus Sicht der oberbayerischen Wirtschaft gibt es keine Alternative. Münchens ÖPNV-System hat seine Belastungsgrenze längst überschritten. Mehr Individualverkehr kann die Stadt auch angesichts der Umweltgrenzwerte nicht mehr verkraften. Wieder bei Null anzufangen, können wir uns nicht leisten. Konkrete Finanzierungsvereinbarungen sind schnell nötig, damit die Kosten nicht noch weiter steigen."

Markus Ganserer, Grünen-Landtagsabgeordneter: "Das sture Festhalten an den Planungen zur zweiten Röhre ist sinnlose Zeitverschwendung. Die CSU-Regierung muss deshalb endlich die Reißleine ziehen. Stattdessen brauchen wir mittelfristig einen Ausbau der Außenäste sowie einen Teilausbau des Bahn-Südrings."

Michael Piazolo (Freie Wähler), Landtagsabgeordneter: "Wer weiß, wie weit der Termin im Laufe der kommenden Jahre noch nach hinten geschoben wird? Schon jetzt könnten die Unzulänglichkeiten der S-Bahn-Außenäste angegangen und eine professionellere Betriebsführung sichergestellt werden. Die Staatsregierung will dagegen die Menschen weitere zehn Jahre mit ihren Problemen alleine lassen."

Peter Falk, Sprecher der SPD-Kreistagsfraktion in Fürstenfeldbruck: "Die Kostensteigerung erschüttert mich nicht. Die Kosten für Projekte wachsen eben, wenn man die Umsetzung ständig hinausschiebt. Deshalb tragen die Gegner der zweiten Stammstrecke für die Mehrkosten Verantwortung, sowie die Staatsregierung, die das Projekt nicht entschlossen genug verfolgt. Wir können den Individualverkehr nur zurückdrängen, wenn wir Schienen bauen, in Städten wie München geht das heutzutage nur noch unter der Erde."

Christian Hierneis, Bund Naturschutz München: "Wäre die Staatsregierung an einem funktionierenden Nahverkehr interessiert und nähme sie die Wünsche der Fahrgäste nach einer attraktiven und störungsfreien S-Bahn ernst, so stiege sie aus dem Projekt aus. Das Festhalten am Tieftunnel ist ein Nackenschlag für die geplagten S-Bahn-Pendler."

Togan Tan, 55, betreibt einen Dönerladen in der Orleansstraße: "Ich habe noch immer kein Problem mit dem Projekt, denn man muss in die Zukunft denken, die Stadt wächst ja. Das Loch am Orleansplatz ist notwendig, aber irgendwann werden die Bauarbeiten ja vorbei sein."

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