Typisch deutsch:Josef öffnet Mohamad die Tür

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Mohamad Alkhalaf und seine Begegnung mit dem Schaf von Landwirt Josef Huber aus Tulling im Landkreis Ebersberg. (Foto: Privat)

Als Neuling fühlt man sich im Münchner Umland erstmal als Fremdkörper. Wie ein Landwirt und seine Schafe unserem Autor beim Ankommen halfen.

Kolumne von Mohamad Alkhalaf

Es begann mit einer Begegnung. Ein stattlicher Mann mit einem noch stattlicheren Schnurrbart. Wie ein Syrer aus der Stadt Suweida. Nur die Stadtbewohner in Suweida tragen so einen Schnurrbart, sonst niemand in Syrien. Ich kam mit dem Mann ins Gespräch, verstand aber nicht alle Wörter, da er sehr stark bairisch redete. Eine Sache wurde aber sehr schnell klar: Er war nicht aus Suweida.

Ich kenne das Landleben seit meiner Kindheit. Und doch lernte ich es nach meiner Flucht nach Bayern noch einmal neu kennen. Bei der Annäherung half mir Josef, ein Landwirt aus dem Ort Tulling im Kreis Ebersberg. Er erzählte mir von seinem "Bauernhof" - womit ich zunächst nicht so viel anfangen konnte. Aber es klang so ähnlich wie Hofbräuhaus, also musste es etwas Bayerisches sein.

So betrat ich sein Haus. Bilder hingen an der Wand, alles war aus Holz: Musikinstrumente, bäuerlicher Schmuck - eine vergangene Zeit wurde hier lebendig. Der Bauer begann, Hackbrett zu spielen. Ich fühlte mich wohl und betrachtete die Inneneinrichtung: tönerne Bierkrüge, bemalte Schränke und Gemälde in verzierten Bilderrahmen.

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Daumendrücken ist in Syrien eine Beschimpfung und bedeutet soviel wie "Geizhals". Wie Fingersprache zu interkulturellen Missverständnissen führen kann.

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Als ich ein Grundschüler in Syrien war, passte ich manchmal auf die Ziegen meines Großvaters auf. Bei 40 Grad mussten wir Hirten kilometerweit laufen, um Holz und Nahrung zu sammeln. Ich erinnere mich noch an das Gefühl von Hunger und Durst. Und als ich in der Ferne einen Traktor sah, dachte ich, es sei ein Panzer und lief schnell weg.

Mein Gastgeber hat keinen Traktor im klassischen Sinn, sondern einen Unimog - der Stolz des Bauernhofs. Wenn er mit ihm ausfährt, zieht der Unimog alle Blicke auf sich. Ich selbst habe in Kirchseeon auch Blicke gespürt. In den Anfangsmonaten in meiner neuen Heimat war ich ein Fremder. Man muss das gar nicht den Einheimischen anlasten. Nach meiner langen Flucht über die Türkei strahlte ich das Fremdsein schlichtweg aus. Dass ich kein Wort Deutsch konnte, machte es nicht besser. Geholfen haben Menschen, die ihre Tür öffneten, so wie Josef.

Im Schafstall gab es Heu und es roch frisch, ein guter Geruch. Wobei er mich an eine Szene aus Syrien erinnerte, als ich mich im Heu versteckte, um nicht von IS-Soldaten gefasst zu werden. Momente später aber kam es zu einem Déjà-vu der schönen Sorte: Ich sah Ziegen und Schafe. Eines der Schafe war neugierig, kam zu mir und begutachtete mich, bevor es sich von mir streicheln ließ. Das Schaf sah wohl zum ersten Mal einen Syrer mit dunklem Gesicht, braunen Augen und schwarzen Haaren. Das Schaf hatte dicke Wangen, also ein echt bayerisches Gesicht. Eigentlich fehlte nur noch der Schnurrbart. Ich umarmte es und freute mich. Es war ein pfundiges Erlebnis.

© SZ vom 09.04.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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