Forschung:Die Maschinenintelligenz der Zukunft soll aus München kommen

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Sami Haddadin inmitten von Franka und ihren Klonen. Sie sind seine Erfindung. Die Frankas sind vielseitig einsetzbar, ahmen nach, was man ihnen vormacht, und lernen voneinander. (Foto: Catherina Hess)

Pflegeroboter, Flugtaxis oder schlaue Gehilfen für die Industrie: Das sind die Visionen des Ingenieurs und Informatikers Sami Haddadin. An der TU München arbeitet er daran, dass sie Wirklichkeit werden.

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Franka ist so feinfühlig, dass sie ein Smartphone bedienen kann. Sie lernt, verschiedene Schlüssel in die passenden Schlüssellöcher einzuführen - Fähigkeiten eines drei- bis vierjährigen Kindes. Sie merkt sich Abläufe und ahmt Bewegungen nach, die man ihr vormacht. Und ihr Bruder Emil lernt von Franka, indem er sich deren generierte Daten aus der Cloud holt. Franka und ihre Klone sind die Erfindung von Sami Haddadin. Zusammen mit seinem Bruder Simon und Sven Parusel hat er dafür 2017 den Deutschen Zukunftspreis erhalten. Jetzt soll der Ingenieur und Informatiker gemeinsam mit seinen Kollegen für die Technische Universität München ein führendes Zentrum für Robotik und Maschinenintelligenz aufbauen.

Im Frühjahr diesen Jahres ist Sami Haddadin dafür von der Uni Hannover nach München zurückgekehrt, wo er einst studiert hatte. Gleich neben der Reithalle in Schwabing - in den ehemaligen Gebäuden der Papiertechnischen Stiftung - entsteht der neue Campus der TU. Noch sieht es recht unfertig aus, es sind auch noch nicht alle Mitarbeiter eingezogen. Aber im Untergeschoß steht schon mal eine Reihe der Franka-Klone und wartet auf Beschäftigung. Die Firma "Franka Emika", die sie produziert, führt inzwischen Haddadins Bruder allein, sie hat ihren Sitz ebenfalls in Schwabing.

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Sami Haddadin gehört mit seinen 38 Jahren zu den international führenden Robotik-Forschern. Die Wände in seinem Büro sind flächendeckend mit Urkunden und Auszeichnungen dekoriert. Seine Promotion hatte er an der RWTH Aachen über Humanoide Roboter geschrieben. TU-Präsident Wolfgang Herrmann hat diesen Topwissenschaftler nach München geholt - und damit die Eliteuniversität Stanford und das MIT in Massachusetts ausgestochen -, um ihn zum Gründungsdirektor der "Munich School for Robotics and Machine Intelligence" (MSRM) zu machen. "Schon heute ist München das Silicon Valley Europas", sagt Haddadin, da fiel ihm die Entscheidung nicht schwer.

Die Verbindung von Spitzenwissenschaft, Ingenieurskunst, Industrie und Gründerszene an der Isar sei herausragend. "An der TU gibt es schon mehr als 30 Professoren, die sich in unterschiedlichen Disziplinen mit Maschinenintelligenz befassen", sagt er, "Mediziner, Physiker, Informatiker, Mechatroniker, Ingenieure, das ist ein einmaliges Potenzial." Mit all diese kreativen Menschen wird er seine Robotikforscher verbinden. Die Wissenschaftler kooperieren dabei eng mit der Wirtschaft - im Industriebeirat des MSRM sitzen Vorstandsmitglieder von Siemens, BMW, IBM, Airbus und anderen Konzernen.

Haddadin spricht von Maschinenintelligenz, weniger von Künstlicher Intelligenz (KI). Denn mit KI verbinden viele Menschen Horrorvisionen von Robotern, die alles über die Menschen wissen und sie sich eines Tages untertan machen. "Roboter sind aber Assistenten des Menschen", sagt Sami Haddadin, "und das wird noch sehr lange so bleiben. Alles andere ist Science Fiction."

Er klappt seinen Laptop auf und öffnet ein Video. Hauptdarsteller darin ist Garmi, ein intelligenter Haushaltshelfer für Senioren. Garmi ist ein rollendes Universalgenie. Er soll Essen warm machen, beim Aufstehen helfen, den Tisch abräumen, die Zeitung vorlesen oder mit alten Leuten Schach spielen. Aber er kann noch viel mehr. Eine Hausärztin kann sich mit ihm aus der Ferne verbinden, sie spricht dann durch einen Bildschirm in seinem Kopf mit dem Patienten. In ihrem Auftrag macht Garmi Ultraschall-Aufnahmen, die sie sofort bewertet und gegebenenfalls ein Medikament verordnet, das Garmi dann dem Patienten reicht.

Politiker sind meist beeindruckt, wenn sie solche Roboter vorgeführt bekommen. Vor Kurzem hat Haddadin in Garmisch-Partenkirchen ein Geriatronik-Zentrum der TU München eröffnet. In fünf bis zehn Jahren, so hofft Haddadin, könnten dort Feldstudien mit Garmi und seinen Brüdern beginnen. "Roboter können einen wichtigen Beitrag leisten, dass Senioren so lange wie möglich zu Hause bleiben können", sagt er. Sein eigener Vater ist Arzt, er hat in dem Video mitgespielt, "und war von der Idee begeistert".

Schöne neue Welt: Ein Pflegeroboter soll Senioren beim Anziehen helfen, Essen aufwärmen und für Unterhaltung sorgen. (Foto: TUM/MSRM)

Bis es zur Anwendung kommt, sind allerdings nicht nur technische, sondern auch eine ganze Menge ethischer, sozialer und rechtlicher Fragen zu klären. Haddadin sagt, das sei ihm besonders wichtig, deshalb werden soziale Einrichtungen wie Caritas und Diakonie, aber auch Ethikwissenschaftler die Entwicklung begleiten.

Auch in der Medizin wird fieberhaft an Möglichkeiten für den Einsatz von Maschinenintelligenz geforscht. So sollen Querschnittgelähmte wieder gehen können, indem sie ein künstliches Skelett mit Gedanken bewegen. Biochemiker wollen Krebsmedikamente per Nanotechnologie gezielt in einzelne Tumorzellen schicken.

Ob Pflege, autonomes Fahren oder Industrieproduktion: Intelligente Maschinen könnten die Menschen von lästigen Tätigkeiten befreien, sagt Haddadin. "Pflegekräfte können sich dann der wirklichen Pflege widmen, Arbeiter können sinnstiftende statt monotoner Tätigkeiten übernehmen." Das Argument, dann fielen Millionen Arbeitsplätze weg, lässt er nicht gelten. "Dafür entstehen Millionen neuer Jobs." Die Menschen müssten nur entsprechenden Zugang zu Bildung haben. "Jeder muss programmieren lernen, wir müssen unsere Jugend zu Robo-Natives machen."

Seine Franka sei so leicht per App zu programmieren, dass Lehrlinge in Hannover das schon als Teil ihrer Ausbildung lernten. Leben und Arbeiten leichter machen, das ist Haddadins Vision. "Nicht nur in Europa, auch in Asien etwa, wo Menschen unter unerträglichen Bedingungen unsere Handys zusammenschrauben oder Turnschuhe nähen - das können eines Tages Roboter übernehmen." Voraussetzung sei natürlich, dass die Leute auch dort für höhere Aufgaben qualifiziert würden.

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Prognosen, wann das alles Realität sein wird, will er nicht geben. Aber sein eigenes Leben, sagt er, sei durch die smarte Technologie schon sehr viel angenehmer geworden. "Ich diktiere meine E-Mails meist und bin das lästige Tippen los." Sein Rasenmäher-Roboter sei "das sechste Familienmitglied", und wenn er neue Songs mit den Kollegen seiner ehemaligen Hardrock-Band komponiere, "dann müssen wir nicht mehr wie früher mit Tape-Rekorder hin- und herkopieren, da leistet mir mein Computer großartige Dienste".

Haddadin stammt aus einer multikulturellen Familie, der Vater kam aus Jordanien, die Mutter aus Finnland nach Deutschland. "Ich wäre früher froh gewesen, hätte ich meine Großeltern nicht nur am Telefon gehört, sondern auch gesehen und gefühlt", sagt er. Heute gibt es das: Händedruck per Roboterhand in Echtzeit, "ist doch toll".

In der Nähe von Hannover geboren, hat Haddadin an der TU München seine Abschlüsse in Elektrotechnik und Informatik gemacht. Er war immer unter den Besten. "Ich durfte beim großen Hirzinger lernen", sagt er. Gerd Hirzinger, der TU-Professor und Direktor am Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt, war einer der Pioniere der Künstlichen Intelligenz. Bis heute entwickelt er neue Systeme oder Virtual-Reality-Anwendungen, etwa auch für das Deutsche Museum. Dessen Chef wiederum, Wolfgang Heckl, ist Robotikfan. "Und er weiß, wie man Themen in die Öffentlichkeit bringt", sagt Haddadin. Dass Heckl in Garmisch-Partenkirchen wohnt, kommt der Entwicklung von Garmi sicher zugute.

In Verkehr und Transportwesen sollen autonome Autos oder Drohnen eine Rolle spielen. (Foto: TUM/MSRM)

Haddadin spricht schnell, immer wieder klickt er ein Video an, er will, dass sein Tun mit positiven Bildern verknüpft wird. "Mich treibt immer die Frage an: Was tue ich da, und wem nützt es?". Seine Förderer und Auftraggeber wähle er kritisch aus. Sexroboter, Kriegsroboter, "mit so etwas möchte ich mich nicht beschäftigen", sagt er. Auch das Thema Datenschutz nehme er sehr ernst. Die Kamera an seinem Laptop hat er selbstverständlich zugeklebt.

"Ein Handwerker nutzt den Hammer, und künftig nutzt er eben auch den Roboter, so sehe ich das", sagt Haddadin. Visionen von einer Superintelligenz, die Menschen austrickst und übertrumpft, hält er für Unsinn. "Roboter werden noch sehr lange nicht über die Fähigkeiten eines vierjährigen Kindes hinauskommen." Und wenn doch? "Dann müssen wir das kontrollieren. Bis jetzt können wir noch relativ gut beurteilen, in welchem Rahmen sich die bisher entwickelten Systeme bewegen."

Lange hat er sich Zeit genommen für das Gespräch. Nur eine letzte Frage noch. Wenn seine drei kleinen Kinder in etwa 20 Jahren ihr Studium beendet haben werden - wie wird die Welt dann aussehen?

Da stockt der eloquente Forscher plötzlich. "Ich glaube," sagt er und streicht sich über seinen Bart, "ich hoffe jedenfalls, dass wir in einer guten ... - nein, wie sage ich das jetzt ... Im Positiven hoffe ich, dass wir viel enger mit der Technologie leben werden als heute, aber sie viel weniger spüren werden, weil wir intuitiver damit umgehen. Und dass die großen Probleme der Gegenwart bis dahin aktiv angegangen sind. Vor allem die Umweltzerstörung."

Dass ihm solche Fragen wichtig sind, glaubt man ihm gerne. Er sucht das Gespräch mit Sozialwissenschaftlern und Philosophen. Schließlich könne seine Forschung auch bei der Lösung der Zukunftsfragen helfen. "Die Leute haben so viel Angst vor Science-Fiction-Visionen, aber die Realität ist doch viel schöner."

© SZ vom 26.10.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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