SZ-Adventskalender:Als U-Bahn-Fahrer ins Glück

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Endlich wieder eine eigene Wohnung, nichts wünschen sich Lazhar B. und seine Familie mehr. (Foto: Florian Peljak)

Eine Reihe von Operationen hat Lazhar B. in eine Abwärtsspirale gebracht, die Familie musste auch ihre Wohnung aufgeben. Nun hofft er auf einen neuen Job - damit es wieder aufwärtsgeht.

Von Sabine Buchwald

Amin B. ist ein Linksfuß. Von denen gibt es nicht viele auf den Fußballplätzen dieser Welt. Und er ist einer, der kein Training auslässt. Die Motivation des Achtjährigen ist groß, er will richtig gut werden. Er ist ein quirliger Junge, seine Eltern sind stolz auf ihn und seine Disziplin. Auch sein Vater Lazhar B. hat als Kind mal Fußball gespielt, und auch noch vor 20 Jahren, als er wegen der Liebe zu einer Frau aus Tunesien nach Deutschland kam. "Kennen Sie die Spielvereinigung Greuther Fürth?", fragt er. Ist lange her, dass er selbst gekickt hat, das war vor seinem Kreuzbandriss, seinem Bandscheibenvorfall und seinen Hüft-Operationen.

Jetzt ist er 44 Jahre alt und steht nur noch am Spielfeldrand, meistens samstags, um seinen Sohn anzufeuern. Wenn der Ball über den Rasen rollt, kann er vergessen, dass er selbst im Leben seit einiger Zeit auf der Reservebank sitzt. Das muss nicht immer so bleiben, weiß auch Lazhar B. Die operierte rechte Hüfte tut ihm manchmal weh, aber mit Schmerzen kann er umgehen. Viel quälender ist für ihn, keine eigene Wohnung mehr zu haben für sich und seine Familie.

Gut elf Jahre hatten seine jetzige Frau und er in einer Drei-Zimmer-Wohnung gelebt. Sie bekamen drei Kinder, zwei Töchter und einen Sohn. Wie das in Deutschland so üblich ist, mussten sie sich damals eine neue Küche einrichten, einen Herd und einen Kühlschrank kaufen, einen Schrank für Kleider und ein großes Bett fürs Schlafzimmer. Noch immer zahlen sie für diese Anschaffungen die Raten ab, obwohl inzwischen alles weg ist. Der Vermieter hat die Familie vor die Tür gesetzt. Die Kündigung kam, während Lazhar B. mit den Folgen seiner Hüft-OP zu kämpfen hatte. Die erste Operation 2019 verlief nicht gut. Die Entzündungswerte stiegen, erst nach einer Weile wurde ein Keim entdeckt. Drei weitere Operationen folgten, die letzte im April 2020. Es sei ihm richtig schlecht gegangen, er sei froh, dass er noch lebe, sagt Lazhar B.

In jener Zeit konnte er nicht richtig arbeiten. Der Vertrag einer befristeten Arbeitsstelle bei BMW wurde nicht verlängert. Die Kosten aber liefen weiter. Die Familie kam mit den Mietzahlungen in Verzug. Mit etwas Verspätung habe er alles vollständig beglichen, erzählt Lazhar B. Dennoch hat die Familie vor zwei Jahren ihre Wohnung verloren. Seitdem wohnen sie zu fünft in zwei kleinen möblierten Zimmern in einem von der Stadt angemieteten mehrstöckigen Haus. Hinter jeder Tür lässt sich ein Schicksal vermuten. Man hört am frühen Abend viele Kinderfüße durchs Treppenhaus laufen. Richtig Platz zum Spielen ist nur draußen.

Die Tochter könnte ein bisschen Nachhilfe brauchen

Die Küchenzeile, die Möbel, alles ist weg. Die Sachen auf ungewisse Zeit einzulagern hätte sich die Familie nicht leisten können. Das tut Lazhar B. weh. Sehr sogar. Der Familienvater sucht nach einem Foto in seinem Handy aus besseren Tagen. "Es war schön dort, wir hatten ein eigenes Schlafzimmer, unsere Große konnte in Ruhe ihre Hausaufgaben machen." Seit dem Umzug hat das Mädchen zunehmend Probleme in der Schule. Sie kann sich schlecht konzentrieren. Sie geht nun in die vierte Klasse, da steigt der Druck bei vielen in der Klasse wegen des Übertritts aufs Gymnasium. Ein bisschen Nachhilfe wäre sinnvoll, aber das ist finanziell nicht drin. Alle drei Kinder sprechen akzentfrei Deutsch. Auch ihr Vater weiß, sich gut auszudrücken. Neben der Muttersprache Arabisch spricht er fließend Französisch. Seiner Tochter bei den Textaufgaben in Mathe zu helfen, fällt ihm dennoch schwer. "Schauen Sie selbst", sagt er, "wie soll man hier lernen?"

Der kleine Wohnraum, in dem zwei Betten und ein Esstisch stehen, ist ein Durchgangszimmer. Die Familie steht auf der Liste beim Wohnungsamt. Drei Zimmer, hat man ihnen dort erklärt, seien nicht ausreichend für eine fünfköpfige Familie. Besser als das, was sie jetzt ihr zu Hause nennen, wäre es allemal, sind sich die Eltern einig.

Armut kann krank machen, Krankheit aber auch arm. (Foto: Jessy Asmus)

Auch Lazhar B. muss büffeln. Er hat die Chance, U-Bahn-Fahrer bei der MVG zu werden. In einem zweimonatigen Praktikum hat er schon viel gelernt. Es hat ihm sehr viel Spaß gemacht. Seine Augen blitzen, als er davon erzählt. Die Technik der Züge, die vielen Ausdrücke und auch die Verantwortung, Menschen sicher und rechtzeitig an ihr Ziel zu bringen, all das gefällt ihm. Es wäre eine überwiegend sitzende Arbeit, mit seiner operierten Hüfte gut zu vereinbaren. Lange stehen oder schwer tragen, das geht nicht mehr so optimal.

Er hatte schon viele Jobs, seitdem er in Deutschland ist. Er war Paketbote und Staplerfahrer, stand am Fließband und im Zug-Bistro bei der Bundesbahn. Die theoretische Prüfung für die Ausbildung ist nicht ganz einfach, beim ersten Mal seien er und andere Kollegen aus dem Vorbereitungskurs, alle mit ausländischen Wurzeln, an einem Unfallbericht gescheitert. Er findet, dass sie darauf nicht richtig vorbereitet waren. Anfang nächsten Jahres wird er es nochmals versuchen. "Dann schaffe ich es." Für den Schichtdienst müsste allerdings der alte Opel wieder fahren. Der steht ohne TÜV vor der Tür, für die nötige Reparatur fehlt das Geld.

Unterdessen unterstützt Lazhar B. seine Frau nach dem Fachsprachenkurs im Haushalt. Seit einem Jahr arbeitet sie sechs Stunden täglich als Küchenhilfe in einem Kindergarten. Es gefällt ihr dort sehr. Doch eigentlich träumt sie von einer Ausbildung zur Konditorin. Drei Jahre Lehrzeit würde die 39-Jährige dafür gern in Kauf nehmen. Das gehe aber nur, wenn ihr Mann wieder verdiene, sagt sie.

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