Emilia, Johannes und Simon lieben die in Hefeteig gebackenen Datteln und Nüsse, den intensiven Geschmack von Kardamom. Ihre Mama hat die Weihnachtsplätzchen ihrer irakischen Heimat für die Kinder diesmal nicht im eigenen Ofen der klitzekleinen Küche gebacken, weil der nicht mehr richtig heizt. Stattdessen durfte Veronika Hanna die Kekse bei einer Freundin ins Rohr schieben. So hat die Familie was zu naschen, vor dem Christbaum, an dem schon grüne und silberne Kugeln glitzern. Er steht in der Ecke des Raums und damit nicht im Weg, wenn die alleinerziehende Mutter jeden Abend die vier Schlafmatratzen in der 25 Quadratmeter kleinen Ein-Zimmer-Wohnung ausbreitet.
Die Enge ist eine tägliche Überforderung. Veronika Hanna formuliert es weniger urteilend: "Damit Emilia Ruhe zum Lernen hat, geht sie oft mit ihren Schulsachen ins Bad und nimmt dort die Waschmaschine als Tisch." Die Zehnjährige besucht seit diesem Jahr das Gymnasium, und die acht und sechs Jahre alten Brüder geben keine Ruhe. Der mittlere, Johannes, "ist immer so wütend". Seine vorherrschende Gemütslage, seit der zehrenden Trennung der Familie vom Vater vor fünf Jahren.
Die bekennende Christin aus dem irakischen Mossul lebte mit der Familie in Baden-Württemberg und zog mit den Kindern zu ihrem Bruder nach München, nachdem die Ehe in die Brüche gegangen ist. "Es war Gewalt im Spiel", sagt die Frau mit den braunen langen Haaren, die im Irak Informatik studiert hat, wegen des Krieges aber vor dem Abschluss ihrem Mann nach Deutschland gefolgt ist.

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Was Johannes auch wütend macht, ist das, was seine große Schwester Emilia zum Weinen bringt: "In der Schule haben sie gesagt, dass wir unser Geld vom Jobcenter kriegen und arm sind. Die Kinder schämen sich." Das Gefühl, mit den Klassenkameraden nicht mithalten zu können - eine Qual. Das sei auch der Grund, weswegen die vier in diesem Artikel einen anderen Namen tragen wollten, sagt Veronika Hanna.
Simon, den Jüngsten, plagt etwas anderes: Der Erstklässler leidet an einer chronischen Bronchitis, der Schleim auf seiner Lunge muss mehrmals am Tag abgesaugt werden, einmal die Woche hat er Physiotherapie und regelmäßig ist er zur Kontrolle im Krankenhaus. "Es ist alles ein Stress", sagt seine Mutter. Erst auf Nachfrage erzählt sie von ihren chronischen Knie- und Wirbelsäulenschmerzen, der Erkältung, die nach ihrer Corona-Erkrankung ein Jahr lang nicht mehr weggegangen ist.
Es raschelt am Telefon. Wegen der Schneemassen in München kann das Gespräch nicht in der Wohnung der Familie stattfinden, sondern nur fernmündlich. Veronika Hanna blättert durch Formulare, die dokumentieren, wovon sie mit ihren Kindern lebt: Bürgergeld vom Jobcenter, Kindergeld, der Vater zahlt keinen Unterhalt. Es fällt ihr schwer, alles zu sortieren. "Die Familie lebt in sehr bescheidenen Verhältnissen", hat ihre Betreuerin der städtischen Beratungsstelle für Eltern, Kinder und Jugendliche vorab wissen lassen. "Jede zusätzliche Zahlungsbelastung für Taschengeld für Schulausflüge und Material in der Schule, Bekleidung, zusätzliche Ausgaben für die Gesundheit und steigende Energiekosten belasten die Mutter sowie die Kinder." Alle zwei Wochen stellt sich die 43-Jährige bei der Tafel um Essen an.
Dringend, sagt die gebürtige Irakerin, bräuchte die Tochter einen Schreibtisch, einen Laptop für die Schule, die Jungs Winterkleider fürs Fußballtraining, beide sind seit Kurzem im Verein. Veronika Hanna kocht viel "aus der Heimat, das kann ich für die Kinder machen". Ein Gefrierschrank würde ihr helfen, Speisen in größeren Mengen frisch zu halten und schnell aufzuwärmen, wenn sie nach den vielen Arztterminen wieder heimkommt. Und bald vielleicht auch von der Arbeit - sie will eigenes Geld verdienen und hat gerade den erforderlichen Fortgeschrittenen-Sprachkurs erfolgreich abgeschlossen.
Und einen Backofen, den bräuchten sie auch. An Weihnachten gibt's nach dem Kirchgang traditionell Erbsen und Rindfleisch. Anschließend wird gesungen, in der Sprache Jesu, Hannas Muttersprache, Aramäisch. Die 43-Jährige lacht zum ersten Mal ins Telefon. Ein Mädchenlachen: "In Mossul war ich im Chor der Kirche."