Uli Ernst betrachtet die kümmerlichen Reste, die ihm der Hagel gelassen hat. Die Rebstöcke, die bereits zwei Meter in die Höhe reichten, musste er nach dem Bombardement an Pfingsten auf Knie- bis Hüfthöhe stutzen. Ein Rückschlag im wahrsten Sinnes des Wortes. Doch Ernst wirkt kein bisschen geknickt: "Wir werden vielleicht ein Jahr verlieren und heuer nur Traubensaft machen."
Ein Jahr, das ist nichts im Vergleich zu den Jahrzehnten, in denen der Uttinger Allround-Landwirt darauf warten musste, dass sich sein Traum realisieren lässt: Uli Ernst ist der erste Winzer am Ammersee seit Jahrhunderten. Lange schienen vor allem die behördlichen Hindernisse unüberwindbar. Und schließlich ermöglicht erst die Klimaerwärmung im Fünfseenland wieder kommerziellen Weinbau, weil sich mit ihr die Vegetationsperiode um vier Wochen verlängert hat. Nun sollen eben im kommenden Jahr ausreichend Trauben der Rebsorte Sauvignac reifen, um daraus Weißwein mit Aromen von Aprikose und reifem Apfel zu keltern.
Auf dem nach seinem ehemaligen Besitzer benannten Klopfer-Berg zwischen Utting und Schondorf sind mit hoher Wahrscheinlichkeit schon vor 1700 Jahren einmal Reben gewachsen. Jetzt sitzt dort Tomasz Kowalski auf dem Mini-Traktor und mulcht den Boden zwischen den Rebstöcken. Ihn und seinen Bruder Adam hat Ernst eingestellt, weil die beiden im Rheingau viel Erfahrungen im Weinbau sammeln konnten. Kowalski fräst jede zweite Reihe zwischen den Reben, damit das Unkraut dort den Trauben nicht zu viele Nährstoffe aus dem Boden wegnimmt. Die übrigen Reihen bleiben vorerst grün, um den Zugang zu den Stöcken zu erleichtern, denn die nackte, durch die Arbeiten verdichtete Erde würde sich am Hang sonst nach jedem stärkerem Niederschlag in eine Schlammpiste verwandeln - dazu bedarf es gar nicht so verheerender Unwetter, wie dem Starkregen vom 21. Mai oder dem verheerenden Hagel an Pfingsten.
Danach musste praktisch jede Rebe zurückgeschnitten werden: "Am Weinstock ist vieles Handarbeit", erklärt Ernst. "Zum Beispiel muss man die Veredelungsstelle immer von Erde freihalten." Um die Pflanzen in den Hang zu setzen, war freilich Maschineneinsatz nötig. "Am 5. Mai 2018 rückte Martin Fischborn mit seiner Familie, zwei Traktoren und einer Pflanzmaschine aus Rheinhessen an", erzählt Ernst. Den Jungwinzer aus Dexheim hatte er im Rahmen seines Unternehmertrainings für Landwirte kennengelernt. Für den dreitägigen Einsatz im Freundschaftsdienst in Utting ist Ernst den Pfälzern sehr dankbar: "Eigentlich könnte ich mir das überhaupt nicht leisten."
Seit gut einem Jahr wachsen die 3000 Pflanzen aus der Rebschule Freytag an der Weinstraße auf zwei Hängen bei Utting heran: Außer auf dem gepachteten Hang am Klopfer-Berg kultiviert Ernst noch auf einer eigenen Fläche westlich des Gewerbegebiets Reben. Dort macht ihm der Verbiss durch Rehe zu schaffen, er wird das Areal wohl einzäunen müssen. Lange hat er seine Weinbau-Pläne so gut es ging verheimlicht: "Das Flop-Risiko war extrem hoch", sagt Ernst und lacht, "heuer habe ich ja wenigstens schon das Spätfrostrisiko und den Hagel hinter mir." Seit vier Jahren experimentiert er mit Rebstöcken, bis zu 99 davon darf man ohne Genehmigung aufziehen. Nur der Anbau zum Eigenverbrauch auf bis zu 1000 Quadratmetern Grund ist erlaubt.
Wollte man jedoch im kommerziellen Ausmaß Wein anbauen, setzte das deutsche Pflanzrecht enge Grenzen, das einem Kartell gleichkam und die Erweiterung von Anbauflächen praktisch ausschloss. In Bayern waren ausschließlich Franken, das Bodenseegebiet und eine nur vier Hektar große Fläche bei Regensburg als Weinbaugebiete ausgewiesen. Auf Druck der EU wurde das deutsche Weinrecht 2015 minimal liberalisiert: Man beschloss, dass künftig 300 Hektar pro Jahr im Bundesgebiet für Neuanpflanzungen zur Verfügung gestellt werden und dass die Beschränkung auf die klassischen Weinbaugebiete aufgehoben wird.