Neun-Euro-Ticket:"Ich hätte die Fahrt ohne das Ticket wahrscheinlich nicht gemacht"

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Ohne das Neun-Euro-Ticket wären Heike Metz und ihre Söhne Milan und Oskar nicht mit dem Zug von Schondorf nach Dießen gefahren. (Foto: Nila Thiel)

Mit der vergünstigten Fahrkarte können Fahrgäste von nun an besonders günstig den ÖPNV und Nahverkehr nutzen. Vor allem in touristischen Regionen wie dem Raum Starnberg werden überfüllte Züge befürchtet. Zurecht? Unterwegs im Fünfseenland.

Von Linus Freymark und Simon Sales Prado, Starnberg

Und dann schießt doch eine kleine Ladung Adrenalin durch den Körper. "Guten Morgen, die Fahrscheine bitte!", tönt es durch den Waggon. Der Zugbegleiter nähert sich, und mit jedem seiner Schritte werden die Restzweifel größer. Ist wirklich alles in Ordnung? Hat man nicht vielleicht doch einen Zug erwischt, in dem das Ticket wegen irgendwelcher Bestimmungen nicht gilt? Weiß der gute Mann überhaupt davon? Es hilft ja nichts, Handy hinhalten und hoffen. Der Schaffner scannt das Ticket. "Ausweis?" Im Geldbeutel. "Alles klar!" Die erste Fahrscheinkontrolle mit Neun-Euro-Ticket - kein Problem.

Das Ticket, mit dem Fahrgäste bis Ende August für neun Euro pro Monat den ÖPNV sowie den Regionalverkehr nutzen können, ist zu diesem Zeitpunkt noch keine zwölf Stunden alt. Im Vorfeld befürchteten manche ein Desaster mit Ansage: überfüllte Züge und Busse, Pannen, Chaos. Etwa 180 000 Tickets sind nach Angaben des Münchner Verkehrs- und Tarifverbunds (MVV) allein im Raum München verkauft worden. Es ist davon auszugehen, dass es in den kommenden drei Monaten aufgrund der steigenden Nachfrage zu sehr vollen Zügen, Bussen oder Bahnen kommen wird - erst recht in Ausflugsregionen wie dem Landkreis Starnberg. "Es wird im Juni, Juli und August Strecken geben, auf denen es richtig voll wird", sagt Ingo Wortmann, der Präsident des Verbands Deutscher Verkehrsunternehmen. "Auch wenn das Neun-Euro-Ticket eigentlich nicht als touristisches Angebot gedacht war, sondern als Entlastung für die Menschen aufgrund der gestiegenen Energiepreise, werden viele Fahrgäste damit in den Sommermonaten zu Ausflugs- und Urlaubszielen fahren."

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Doch am ersten Tag ist davon wenig zu spüren. Die Deutsche Bahn meldet einen ruhigen Start im Münchner Raum. Auch im Fünfseenland sind an diesem ersten Junitag keine Besonderheiten festzustellen. Auf der Bahnlinie RB 6 zuckelt der Zug wie sonst auch von München über Starnberg und Tutzing weiter nach Weilheim. Der Zug ist an diesem Vormittag nicht voller als sonst.

Niemand hat Fragen zum neuen Ticket, tatsächlich scheinen die Diskussionen im Vorfeld viele Fragen geklärt zu haben

Zwei Stunden später, die Regionalbahn 67 fährt mittlerweile von Weilheim an der Raistinger Satellitenschüssel vorbei über Dießen nach Schondorf am Ammersee. Niemand hier hat Fragen zum neuen Ticket, tatsächlich scheinen die Diskussionen im Vorfeld viele Fragen geklärt zu haben. Ein Schaffner lässt sich hier gar nicht erst blicken. Schade eigentlich, diesmal hätte man ihm das eigene Ticket deutlich gelassener unter die Nase halten können.

An den Bahnsteigen im Landkreis fehlt von Werbung für das Neun-Euro-Angebot jede Spur, auch hier ist also alles wie immer. Wobei: Heike Metz wäre ohne das Neun-Euro-Ticket an diesem Tag nicht hier. Metz ist mit ihren beiden kleinen Kindern von Schondorf nach Dießen gefahren. Weil der Sohn erkältet ist und nicht in die Kindertagesstätte darf, ist sie am Vormittag spontan mit der Regionalbahn nach Dießen gefahren, um dort mit ihren zwei Kindern für ein paar Stunden auf den Spielplatz am See zu gehen. Normalerweise fahren sie kaum mit dem Zug dort hin. 8,40 Euro kostet die Fahrkarte hin und zurück für sie und ihre Kinder in der Regel. "Das ist ganz schön teuer", sagt Metz.

Jetzt, wo sie mit dem Neun-Euro-Ticket den ganzen Monat fahren kann, will sie die Bahn aber häufiger nehmen - und zwar auch für kurze Strecken. Ausflüge wie diese habe sie in den kommenden Wochen häufiger vor, sagt Metz. "Für uns macht das Ticket einen Unterschied", erklärt sie. "Ich habe uns gleich auch für den Juli die Fahrkarte gekauft." Sie möchte in diesem Sommer aber auch längere Strecken fahren. Mit der Regionalbahn weiter nach Augsburg zum Beispiel, um ihre Verwandtschaft zu besuchen.

John Wilkinson aus München ist mit seiner Partnerin Danielle Willkinson mit dem Neun-Euro-Ticket über Starnberg nach Andechs und Herrsching gefahren. (Foto: Nila Thiel)

Während die einen mit dem Angebot aus dem Landkreis heraus fahren, lockt das Ticket andere in den Landkreis. Einer von ihnen ist John Wilkinson. Der gebürtige Australier wohnt in München, durch das attraktive Angebot hat er sich dazu entschlossen, die Region um seinen Wohnort herum kennenzulernen. Aus München ist er über Starnberg nach Andechs gefahren, von dort über Herrsching zurück in die Landeshauptstadt. "Ich hätte die Fahrt ohne das Ticket wahrscheinlich nicht gemacht", erklärt er. Er werde das Ticket von nun an vor allem im Münchner Nahverkehr nutzen, der Ausflug in das Fünfseenland habe ihm aber gefallen - er geht davon aus, dass auch einige Personen in seinem Freundeskreis mit dem neuen Ticket die Region erkunden werden.

Ein Vorteil ist Wilkinson zufolge auch, wie unkompliziert der Kauf und die Fahrt verlaufen sind. Einfach einsteigen und losfahren ohne Ärger über das Ticketsystem, die MVV-App oder das tückische Münchner Zonensystem, das hat schon was. Erst recht, wenn die Züge im Fünfseenland auch in Zukunft so leer bleiben wie zum Auftakt.

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