Fünfseenfestival Starnberg:Zwei Leben, eine Wahrheit

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Das tragische Schicksal der Deutschenkinder und skrupellose Spionage - der Film von Georg Maas zeigt die schwierige Geschichte zwischen Norwegern und Deutschen

Gerhard Fischer

Seefeld Fünf Seen Filmfestival 2013 Seefeld, Kino Breitwand, 7. Fünf Seen Filmfestival 2013, Juliane Köhler. Foto: Georgine Treybal (Foto: Georgine Treybal)

SeefeldNorwegen im Zweiten Weltkrieg: Das Land ist besetzt, deutsche Soldaten und norwegische Frauen kommen sich näher. Die SS findet das gut, denn die Frauen sind groß, blond, arisch. Kinder werden gezeugt, es sind Tausende. Die Norweger nennen sie Tyskerbarn. Deutschenkinder.

Nach dem Krieg müssen die Mütter und die Kinder büßen. Norwegische Behörden stecken sie in Heime - sie seien geisteskrank. Die Mütter, weil man irre sein müsse, wenn man sich mit Nazis einlasse; und die Kinder, weil sie von Irren gezeugt worden seien. Viele Tyskerbarn werden vergewaltigt, viele begehen Selbstmord. Es ist traurig, tragisch, schrecklich.

Aber es gibt noch eine zweite Ebene von deutsch-norwegischen Beziehungen im 20. Jahrhundert, eine fast ebenso schreckliche, aber weniger bekannte: die skrupellose Spionage der DDR in Norwegen. Von beidem erzählt der Film "Zwei Leben".

November 1990: Katrine Evensen Myrdal (Juliane Köhler), eine lebenstüchtige, liebevolle Frau lebt mit ihrer Familie in Bergen, das ist eine kleine Stadt im Westen Norwegens. Sie ist mit dem verständnisvollen Bjarte verheiratet, einem bärtigen Bären von Mann; ihre Tochter Anne hat ein Baby. Und dann gibt es da noch Ase Evensen (Liv Ullmann), Katrines Mutter. Ase hatte im Zweiten Weltkrieg ein Verhältnis mit dem deutschen Soldaten Kurt. Katrine ist Kurts Kind. Sie ist also ein Tyskerbarn. Bisher galt in der Familie diese Geschichte: Kurt fiel an der Ostfront, die kleine Katrine wurde der Mutter weggenommen und kam in ein Kinderheim in Sachsen. Als sie erwachsen war, erfuhr sie, dass sie eine Mutter in Norwegen habe. Katrine durfte die DDR verlassen und traf Ase wieder.

So war es aber nicht.

Im November 1990, ein Jahr nach dem Mauerfall, wollen norwegische Anwälte in Straßburg klagen - auf Wiedergutmachung für die Tyskerbarn. Ein junger Anwalt recherchiert in Deutschland, und Katrine kommt in Bedrängnis.

Katrine ist nämlich nicht Katrine.

Sie heißt Vera Freund und hat für die Stasi in Norwegen spioniert, hat in ihrer Firma Pläne fotografiert, vertrauliche Gespräche belauscht, solche Sachen. Tatsächlich hatte die DDR in den 1960er Jahren Spione nach Norwegen geschickt, manche sogar in Familien geschleust. Katrines Liebe zu Bjarte ist echt, fast alles andere ist Lüge. Irgendwann fragt sie sich: "Ist es immer besser, die Wahrheit zu sagen - oder lieber Dinge auf sich beruhen zu lassen, damit keine Katastrophe ausgelöst wird, die niemandem nutzt." Noch zögert sie.

Aber der Anwalt recherchiert gut, alte Stasileute setzen Katrine unter Druck, und schließlich kann sie nicht mehr anders: Sie gesteht alles. Die Wahrheit lähmt die Familie. Es ist, als ob der Boden, auf dem sie stehen, Bjarte, Anne und Ase, jeden Moment unter ihnen zusammenkrachen kann. Sie ist da: die Katastrophe.

Katrine, oder Vera, bezahlt mit ihrem Leben. Die alten Stasileute haben ihre Bremsen manipuliert.

Juliane Köhler sitzt im Kino in Seefeld und schaut sich an, wie Vera im Auto verunglückt. Neben ihr hockt Christoph Tölle, Co-Autor des Drehbuchs, noch einen Sitz weiter ihre beste Freundin. Nach dem Abspann treten Köhler und Tölle vors Publikum, Juliane Köhler trägt ein langes Kleid, sie ist sehr schmal und sehr freundlich und sie spricht begeistert von den Dreharbeiten mit Liv Ullmann: "Sie ist nett, professionell und eine wahnsinnig lustige Person."

Und was wurde aus Katrine Evensen, an deren Stelle Vera Freund getreten war? Die Stasi erschoss sie in Norwegen und verbrannte ihre Leiche. Nicht weit vom Haus ihrer Mutter entfernt.

© SZ vom 30.07.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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