Die Münchner Kriminalpolizei legt den Fall Sonja Engelbrecht nicht zu den Akten. Im Gegenteil: 29 Jahre nach dem zunächst spurlosen Verschwinden und - wie man heute weiß - der Ermordung der damals 19 Jahre alten Münchner Schülerin sind erneut mehr als 80 Männer aus dem Raum Kipfenberg gebeten worden, freiwillig DNA-Proben abzugeben. Der Reihentest und die Befragungen sollen nach Polizeiangaben am Mittwoch stattfinden.
Nahe Kipfenberg waren vor zwei Jahren in einer Felsspalte hoch über dem Altmühltal die sterblichen Überreste der ermordeten Münchner Schülerin gefunden worden. Und dazu Gegenstände, die den Ermittlern mögliche Hinweise auf die Identität des Mörders geben: Plastikfolie, Müllsäcke und Klebestreifen, an denen noch weiße Malerfarbe klebte, und eine blau-schwarze Kunstfaser-Decke, die das Motiv eines Liebespaares zeigte.
An diesen Relikten konnte DNA gesichert werden, die nicht von Sonja Engelbrecht stammt. Also der genetische Fingerabdruck des Täters. "Ja, wir haben eine DNA-Spurenlage", bestätigte der Münchner Kriminalhauptkommissar Roland Baader vor einem Jahr in der ZDF-Sendung "Aktenzeichen XY ... ungelöst".
Bereits im Herbst 2022 wurden die Speichelproben von rund 50 Personen aus dem Raum Kipfenberg genommen und weitere Personen erneut überprüft, die schon früher als Zeugen vernommen worden waren. Doch den einen entscheidenden "Spur-Personen-Treffer" gab es damals nicht. Ebenso wenig bei einer weiteren Typisierungsaktion der Polizei vor einem Jahr.
In der 6000-Einwohner-Gemeinde lösen die Ermittlungen regelmäßig aufgeregte Diskussionen aus. Sogar über eine "heiße Spur", gar über eine angebliche Festnahme wurde spekuliert. Beides falsch. Doch Sonja Engelbrechts Mörder muss sich im Altmühltal ungewöhnlich gut ausgekannt haben. Der Ablageort der Leiche in einem Wald bei Grösdorf ist viel zu abgelegen, um zufällig von einem Ortsunkundigen ausgewählt worden zu sein. Haare eines Wildtiers hingen an der Decke. Ehemalige Jäger, Forstleute und Waldbesitzer aus dem Raum Kipfenberg wurden danach ergebnislos überprüft.
Die weiße Wandfarbe an der Plastikfolie könnte auf Bau- oder Renovierungsarbeiten hindeuten, die der Täter im Frühjahr 1995 durchführte, entweder privat oder beruflich. In den Tagen vor Sonja Engelbrechts Verschwinden am frühen Morgen des 11. April 1995 hatte auf der Münchner Theresienwiese die Baumesse "Bauma" stattgefunden.
Einen vergleichbaren Fall kennen Ermittler aus dem Raum Freiburg. Auch dort ist der Mord an einer jungen Frau noch immer nicht aufgeklärt - es scheint Parallelen zum Fall Engelbrecht zu geben. Völlig offen ist, ob das Zufälle sind oder ob tatsächlich Zusammenhänge bestehen. Dass ein Serientäter für den Sexualmord an der jungen Münchnerin verantwortlich sein könnte, ist nicht ausgeschlossen.
Jetzt wurden erneut Personen angeschrieben, die 1995 einen Bezug zu Kipfenberg hatten und die sich häufiger in den umliegenden Wäldern aufhielten. Spannend wird für die Ermittler sein, wer von den 80 Männern freiwillig in Kipfenberg eine Speichelprobe abgibt - und wer nicht.