Nachhaltigkeit:Schneidige Erfindung aus München

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Knapp 90 Gramm wiegt ein Rasierer von Shavent. Sie werden in München zusammengesetzt und verschickt. (Foto: Alessandra Schellnegger)

Romy Lindenberg und ihr Vater Armin Lutz Seidel haben einen Nassrasierer auf den Markt gebracht: nachhaltig, plastikfrei und unisex. Für die Entwicklung setzte der Tüftler einiges aufs Spiel - sogar seine eigenen Haare.

Von Sabine Buchwald, München

Plastik war gestern. Und Wegwerfen auch. So jedenfalls hätten es Romy Lindenberg und ihr Vater Armin Lutz Seidel gern, wenn es ums Rasieren geht. Die beiden sind die Köpfe hinter "Shavent", einer Münchner Firma, die einen komplett plastikfreien Nassrasierer auf den Markt gebracht hat. "So einen gibt es doch schon", sagt man den beiden bei einem Besuch in ihren Firmenräumen und denkt dabei an den aufdrehbaren Hobel, mit dem sich der Vater sein Kinn zerschrammte und man sich selbst die Waden bei den ersten ungeschickten Nassrasuren. Aber das ist ein Rückblick ins vergangene Jahrhundert, als die dazugehörigen Rasierklingen auch als Mode-Accessoires an Ohren baumelten. Jedenfalls bei Punks und ihren Fans. Der Rasierer von "Shavent" ist zwar in seiner Nachhaltigkeit vergleichbar mit Papas altem Rasierhobel aus Metall, aber in anderen Aspekten ist er doch ganz anders: weiterentwickelt und wertiger.

Die junge Firma hat ihren Sitz in einem der Gebäude auf dem ehemaligen Siemens-Gelände im Süden der Stadt. Der richtige Eingang ist in den verschachtelten Gebäuden leicht zu übersehen. Romy Lindenberg kommt zu Hilfe. Über lange Gänge, vorbei an weißen Türen, auf denen teilweise provisorische Namensschilder kleben, führt sie zu den Büroräumen, die Shavent angemietet hat. Hier in Mittersendling ist Start-up-Country. Manche Firmengründer beginnen in diesem Bürowirrwarr nur mit einem Schreibtisch und breiten sich mit jedem Erfolgsschritt sukzessive aus. Auch Lindenberg und ihr Vater haben schon Flächen dazu genommen. Es läuft ganz gut mit ihrem Rasierer. Sie haben schon mehr als 15 000 davon verkauft. Die meisten über Online-Bestellungen. Es gibt ihn derzeit nur in 20 Geschäften in Deutschland und der Schweiz zu kaufen. In Unverpackt-Läden zum Beispiel und in ausgesuchten Drogerien.

Die Firmengründer von Shavent, Romy Lindenberg und Armin Lutz Seidel. Vater und Tochter haben sich vorgenommen, die Welt ein bisschen plastikfreier und nachhaltiger zu machen. (Foto: Alessandra Schellnegger)

Die Idee zu dem Rasierer sei ihm unter der Dusche gekommen, erzählt Seidel bei einem Glas Wasser im Besprechungszimmer. Kreative Geistesblitze haben viele Leute in ihrer Nasszelle. Seidel aber ist jemand, der Gedanken auch schnell mal umsetzt. Nur einen Tag später sei ein erster Prototyp aus seinem 3-D-Drucker gekommen, erzählt er die Geschichte weiter. Den Drucker hatte ihm die Tochter zu Weihnachten geschenkt. 35 Modelle gingen dem Endprodukt voraus. "Mein Vater sah aus wie ein Nacktmull", sagt Romy Lindenberg. "Ich hatte keine Körperhaare mehr, weil ich mich so oft probehalber rasiert habe", sagt Armin Seidel.

Seidel, 65, ist der Daniel Düsentrieb der Familie. Er ist ein Tüftler und ein Macher, einer, der nicht eher Ruhe gibt, bis etwas so funktioniert, wie er es sich vorstellt. Er hat Maschinenbau in Chemnitz studiert, kurz vor dem Mauerfall zog er mit Frau und Tochter nach Augsburg. Dort gründete er eine Firma, verkaufte sie wieder, nahm eine Leitungsfunktion in Bergamo an. Seit 20 Jahren leben er und seine Frau nun schon dort. "Die alltäglich vorhandene Ästhetik in Italien ist sicher miteingeflossen in unseren Rasierer", sagt er.

Romy war Kindergartenkind, als sie nach Augsburg kam. Heute ist sie 37 und hat ein BWL-Studium in Koblenz hinter sich. München gehört zu ihren Lieblingsstädten. Doch erst machte sie einen Abstecher nach Berlin, wo sie als Geschäftsführerin für das Start-up "Hello Fresh" arbeitete. Sie sah das Unternehmen wachsen und begann, von einem eigenen zu träumen. Eine Firma hochzuziehen, ist ihr so wenig fremd wie ihrem Vater. Sie vertraut seinem technischen Können, er ihrem Gespür für Marketing und Trends. Die beiden verstehen sich offensichtlich gut. Sie lassen einander aussprechen, schauen sich in die Augen, lachen sich zu, wirken vertraut. Wenn sie streiten, dann um die Sache, sagen Vater und Tochter und erzählen von der Namensfindung, die über die Ländergrenzen hinweg online ziemlich gut funktionierte. So warfen sie sich die Wörter zu, befragten die Mutter und den Partner von Romy, bis schließlich Shavent daraus wurde: shave für rasieren, invent für erfinden und event für Ereignis.

Lindenberg und Seidel wirken begeisterungsfähig und absolut überzeugt von ihrem Produkt. "Wir wollen nachhaltig sein und etwas Dauerhaftes verkaufen", sagt Lindenberg. Ziel wäre es für sie, dass jeder einen Rasierer von ihnen im Badezimmer stehen hat, so wie eine Uhr am Handgelenk oder ein Handy in der Hosentasche. Er sollte zur Grundausstattung gehören, sobald die Körperbehaarung sprießt. Für Jungs genauso wie für Mädchen, für Männer wie für Frauen. Der Rasierer ist geschlechtsneutral, das ist unbedingt gewollt. Die Farben Rosa oder Blau, die eine Zugehörigkeit implizieren? Gibt es nicht. Der Rasierer ist aus silberfarbenem, rostfreiem Metall gegossen und hat drei austauschbare Klingen. Diese Klingen sind die Hälfte der Punker-Munition, sogenannte Half-Blades. Sie sind von verschiedenen Firmen erhältlich und kosten nur einen Klacks im Vergleich zum Rasier selbst. Dessen Preis liegt derzeit bei etwas mehr als 100 Euro. Dafür bekommt man knapp 90 Gramm formschönes, kühles Metall mit einem langen Stiel, der sich in drei Arme teilt, auf denen der klappbare Rasierkopf sitzt.

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Er ist schwerer als herkömmliche Nassrasierer. Das ist erst einmal ungewohnt. Auch dass es keine rutschsichere Gummierung am Griff gibt. Immerhin ist er an einer Stelle etwas geriffelt, so dass nasse Finger Halt finden. "Gib Dir etwas Zeit, um Dich an das Gewicht zu gewöhnen", empfiehlt eine Karte, die der Verpackung beiliegt. Und ferner ist darauf zu lesen: "Rasiere zu Beginn mit viel weniger Druck als bisher." Der durch kleine Sprungfedern beweglich gehaltene Kopf passt sich im Selbstversuch tatsächlich jeder Körperform an. Er gleitet über Rundungen, auch ohne Gelpads bei den Klingen. Seidel und Lindenberg wollen Mikroplastik verhindern, das sich sich sonst bei jeder Rasur löst und ins Abwasser gespült wird.

Früher sei Plastik ein Symbol für Fortschritt gewesen, dafür stehe es aber schon längst nicht mehr, findet Seidel. Wie viel Plastik, vor allem bei den Verpackungen in den Drogeriemärkten zu sehen sei, schockiere ihn immer wieder. "Massenweise Wegwerfware." Im Sinne der Nachhaltigkeit müsse man versuchen, davon wegzukommen, jedenfalls wo es gehe. Der Rasierer soll einen Beitrag dazu leisten. Er kommt in Pappe und Papier verpackt beim Kunden an.

Romy Lindenberg träumt von plastikfreien Badezimmern. "Wir möchten schöne Dinge produzieren, die man gerne außerhalb eines Schrankes aufbewahrt." Für den Rasierer gibt es einen kleinen metallenen Fuß. Den haut so schnell nichts um. Vater und Tochter anscheinend auch nicht. Ihre Firma steht nach eigenen Angaben auf soliden Füßen. Im vergangenen Oktober waren die beiden mit ihrem Produkt in der Fernsehsendung "Die Höhle der Löwen" zu Gast. Sie überzeugten die Business-Angels Judith Williams und Nico Rosberg. Gleich beide Investoren stiegen bei dem Start-up mit ein.

Inzwischen arbeiten etwa 20 Leute bei Shavent in Sendling. Seidel hat die Maschinen selbst entworfen und gebaut, an denen die Rasierer dort zusammengesetzt werden. Falls mal etwas am Rasierkopf kaputt gehen sollte, dann lasse sich das problemlos reparieren, versichert Seidel. Die nächsten Schritte waren eine Rasierseife und ein Gel, die gerade erst vor ein paar Tagen auf den Markt gekommen sind. Plastikfrei und unisex, frisch, aber weder stereotyp männlich noch weiblich duftend.

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