Schwabing:"Erfolgreich rausgeekelt"

Lesezeit: 3 min

  • Abreißen oder modernisieren? Der Eigentümer ließ lange offen, wie es mit dem Haus Agnesstraße 48 in Schwabing weitergeht.
  • Die erste Variante scheidet nun aus: Seit Dienstag steht das Anwesen völlig überraschend unter Denkmalschutz.
  • Die Bewohner sind bereits alle ausgezogen - ihnen waren Mieterhöhungen nach einer Modernisierung um bis zu 245 Prozent angekündigt worden.
  • Die Polizei soll nun sicherstellen, dass sich ein illegaler Abriss wie beim Uhrmacherhäusl in Giesing nicht wiederholt.

Von Ellen Draxel, Schwabing

Im Haus an der Agnesstraße 48 wurde Ende Oktober noch einmal richtig gefeiert. Mit Feuerschale im Garten, mit Leckereien, die Nachbarn und ehemalige Mieter mitgebracht hatten. Die Stimmung war fröhlich, aber leicht gedämpft, vielleicht war ein bisschen Frust und Verärgerung dabei. Der Grund: Zum Ende Oktober stand auch der Auszug des letzten noch verbliebenen Mieters an. Das vormals malerische, mehr als 100 Jahre alte Gebäude mit Blauregen an der Fassade, knarzender Holztreppe im Inneren und stuckverzierten Decken in den Wohnungen sollte abgerissen werden und einem Neubau mit zweigeschossiger Tiefgarage Platz machen - zumindest machte dieses Gerücht in der versammelten Festgemeinschaft die Runde.

Dass es nun zu diesem "Frevel", wie Nachbarn finden, wohl gar nicht kommt, kristallisierte sich erst am Dienstag heraus: Denn exakt da trug das Landesamt für Denkmalpflege das Gebäude in die bayerische Denkmalliste ein. "Das bedeutet, jegliche bauliche Veränderung bedarf der Zustimmung der Unteren Denkmalschutzbehörde", erläutert die städtische Planungssprecherin Birgit Schöppl und fügt hinzu: "Ein Abbruch ist aus Gründen des Denkmalschutzes nicht möglich." Zudem sei nun für bauliche Veränderungen eine denkmalrechtliche Erlaubnis des Referates erforderlich, hieß es.

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Unter den ehemaligen Mietern und den Nachbarn war die Entwicklung in dem Haus noch ganz anders diskutiert worden. "Wir hatten hier vor Kurzem eine Firma, die machte Bohrungen, um zu eruieren, wie hoch der Grundwasserspiegel in der Gegend ist", berichtet Lorenz Sajko, der mit seiner fünfköpfigen Familie in dritter Generation als letzte Mietpartei noch bis Ende Oktober im vierten Stock wohnte. Der Vorarbeiter habe "definitiv" von einem bevorstehenden Abriss der Agnesstraße 48 gesprochen. "Auch Vermessungsarbeiten an der Straße sind schon durchgeführt worden." Also organisierte die Familie für den 26. Oktober eine Art Totenparty für das Haus - und für die ehemaligen Mieter einen persönlichen Abschied "nach langen Jahren aus dem geliebten Viertel".

Eine, die Sajkos Einladung gefolgt ist, ist Henriette Schult. Die 75-Jährige wohnte fast ihr Leben lang in der Agnesstraße 48, sie war sechs, als sie hier einzog, und 74, als sie vergangenen Sommer ihre alte Wohnung verlassen musste. Das Apartment, in dem sie jetzt lebe, sei zwar schön, betont sie. "Ich bezahle aber das Doppelte wie früher. Ob ich mir das auf Dauer leisten kann, weiß ich nicht."

Gegangen ist Schult damals, wie fast alle der 15 Mietparteien, weil der fünfstöckige Altbau nach einem Eigentümerwechsel modernisiert werden sollte und die Mieter mit Mietsteigerungen von bis zu 245 Prozent und monatelangem Baustellenlärm zu rechnen gehabt hätten. Außerdem hatte es Abmahnungen gegeben, da die Wohnungen im Laufe der Jahrzehnte umgebaut worden waren. Dabei sei es, betonen die Ex-Mieter, der ausdrückliche Wunsch der früheren Eigentümerin gewesen, dass sich die Bewohner selbst einrichteten. Sie seien, konstatieren die Partygänger heute, "erfolgreich rausgeekelt" worden.

Die Bewohner des Hauses (hier ein Bild vom Oktober 2017), die lange Zeit darum kämpften, ihre Wohnungen zu behalten, sind inzwischen ausgezogen. (Foto: Alessandra Schellnegger)

2017, als die damaligen Mieter die Modernisierungsankündigungen erhielten, galt noch die Regelung, dass Modernisierungskosten zu elf Prozent auf die Mieter umgelegt werden dürfen, ohne Kappungsgrenze. Der Fall Agnesstraße 48 hatte deshalb als Beispiel dafür, was Luxussanierungen anrichten können, bundesweit für Aufsehen gesorgt. Heute wären Forderungen in dieser Höhe nicht mehr möglich dank einer seit Januar gültigen Rechtsanpassung.

Modernisierungskosten können inzwischen nur noch zu acht Prozent auf die Mieter übertragen werden, sie dürfen generell jedoch nicht höher als drei Euro pro Quadratmeter ausfallen. Und das auch nur maximal sechs Jahre lang. Für die Agnesstraße 48 aber kam diese Novellierung zu spät: Die besondere Mietergemeinschaft, in der viele sich jahrzehntelang kannten, einander duzten und jeder dem anderen half, ist inzwischen zerbrochen. Auch Familie Sajko ist ausgezogen, sie wohnt jetzt in Milbertshofen.

Bislang plante der neue Eigentümer eine Sanierung oder einen Neubau mit bis zu 24 Wohnungen

Nun ist die Frage, wie es mit dem Haus weitergeht. Im März haben die drei Gesellschafter der Agnes 48 UG ihre Anteile und damit das Gebäude veräußert. Geschäftsführer der Agnes 48 UG ist seitdem Stefan Mayr, der auch die Unternehmensgruppe M-Concept leitet. "Dass das Haus abgerissen wird, ist noch nicht sicher", erklärte Mayr noch Anfang der Woche auf Anfrage. Da das Gebäude nicht unter Denkmalschutz stehe, gebe es zwei Möglichkeiten: Abriss und Neubau - oder Sanierung. "Sollte es wirtschaftlich und technisch sinnvoller sein, mit dem Bestand zu arbeiten, wird das Gebäude entkernt, saniert und aufgestockt", erläuterte der Geschäftsführer damals. Ansonsten werde das Haus abgebrochen, zugunsten eines neuen Gebäudes mit 20 bis 24 Wohneinheiten plus Tiefgarage. "Über beide Varianten sind wir im Austausch mit der Stadt."

Bis vor wenigen Tagen wusste das Planungsreferat noch nichts von einer Abbruchabsicht, inzwischen hat ein entsprechender Antrag die Behörde erreicht. Die Entwicklung vom Dienstag hat die Sachlage nun grundlegend geändert. Das Bayerische Landesamt begründet seine Entscheidung, das Gebäude in die Denkmalliste einzutragen, mit dessen geschichtlicher, künstlerischer und städtebaulicher Bedeutung. "Mit dem Erhalt des Literatenhauses bleibt uns ein Stück Schwabinger Geschichte erhalten", freut sich OB Dieter Reiter (SPD). Damit es - wie im Falle des Giesinger Uhrmacherhäusls - nicht zu vollendeten Tatsachen kommt, hat das Planungsreferat jedenfalls sofort reagiert, wie Planungssprecherin Birgit Schöppl bestätigt: "Um ungenehmigte Abbrucharbeiten zu verhindern, wurde bereits die örtliche Polizeidienststelle um Amtshilfe gebeten."

© SZ vom 07.11.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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