Vor einem halben Jahr hatten sich die Mieter der Agnesstraße 48 noch an die leise Hoffnung geklammert, es könnte sich vielleicht doch alles zum Guten wenden. Trotz der Modernisierungsankündigungen, die ihnen im Juli 2017 ins Haus geflattert waren. Inzwischen ist dem Traum Ernüchterung gefolgt. Die meisten der 15 Mietparteien haben aufgegeben, sie ziehen aus.
"Es ist sehr, sehr traurig", sagt der Sprecher der einstigen Mietergemeinschaft. "Aber wir wollten uns die zwei Jahre Baustelle nicht antun, um dann letztlich doch aufgrund unbezahlbarer Mieterhöhungen ausziehen zu müssen." Deshalb geht auch er. Einige Mieter haben mit den Eigentümern Abfindungen ausgehandelt - in welcher Höhe, darüber wurde Stillschweigen vereinbart. "Gemauschel" nennt das eine Mieterin, die noch nicht unterschrieben hat. Drei Wohnungen stehen bereits leer.
Wohnen in München:Mietsteigerung um 273 Prozent
Mieter müssen sich per Gesetz an Sanierungskosten beteiligen. Das nutzen Eigentümer in München inzwischen für eine "rigorose Entmietung auf legalem Weg", kritisiert der Mieterverein.
Die Agnesstraße 48 ist ein inzwischen bundesweit bekannter Fall. Das Haus an der Ecke zur Zentnerstraße, mehr als hundert Jahre alt und ein Schmuckstück innen wie außen, soll nach einem Eigentümerwechsel saniert und modernisiert werden. Geplant sind der Einbau einer Zentralheizung und die Installation neuer Elektro-Steigstränge, der Austausch der Fenster, die Dämmung der Kellerdecke und des Daches. Außerdem sollen die Balkone vergrößert und neu errichtet sowie die Fassade energetisch modernisiert werden. Auch einen Aufzug wollen die neuen Eigentümer, ein aus drei Gesellschaftern bestehendes Unternehmen namens Agnes 48 UG, einbauen lassen. Vorgesehen ist zudem eine Verschönerung des Hinterhofs.
Geschäftsführer Michael F. weist aber auch darauf hin, dass sich der Instandsetzungsanteil, der auf den Vermieter entfällt, nach genauerer Untersuchung "deutlich höher als ursprünglich angenommen" entwickelt habe. "Es stellten sich insbesondere im Dach- und Kellerbereich unter anderem Feuchtigkeit in Wänden und anderen Bauteilen sowie großflächiger Schimmel- und Pilzbefall heraus." Weitere Klärung sei notwendig.
So nachvollziehbar die Optimierungen klingen, so teuer ist der Modernisierungsanteil, der von den Mietern mitgetragen werden muss. Eine Bewohnerin etwa, die jetzt 500 Euro kalt bezahlt, soll der Auflistung ihres Vermieters zufolge künftig für rund 1800 Euro monatlich aufkommen. Ihre Miete würde sich damit auf gut das Dreieinhalbfache erhöhen.
Auch Gutverdiener können sich die Kosten nicht leisten
Oder ihr Nachbar: Seine Miete beläuft sich derzeit auf 620 Euro. Nach allen Sanierungs- und Modernisierungsetappen aber sollen es laut der Kalkulation der neuen Eigentümer 2140 Euro monatlich sein - 1520 Euro mehr als bisher, die Nebenkosten noch nicht mitgerechnet. Auch dies eine Mietsteigerung um 245 Prozent. Die Bewohner der Agnesstraße 48 verdienen gut, sie gehören der oberen Mittelschicht an. Aber solche Erhöhungen können selbst sie sich nicht leisten.
Möglich sind diese Forderungen dank einer Klausel im Paragrafen 559 des Bürgerlichen Gesetzbuches, die es Vermietern erlaubt, elf Prozent der Modernisierungskosten auf die jährlichen Mieten umzulegen. Vermieter, kritisieren Experten, hätten nach einigen Jahren ihre Kosten wieder drin, plus Wertzuwachs der Immobilie. Die Mieter hingegen bekämen ihre günstigen Wohnungen nicht zurück. Und eine Kappungsgrenze oder eine Miethöhenbegrenzung durch einen Mietspiegel gilt bei dieser Form der Mietsteigerung durch Modernisierungen bislang nicht.
Andrea Nahles, die SPD-Fraktions-Chefin im Deutschen Bundestag, will das nun nicht länger hinnehmen. Bei ihrer Antrittsrede im Bundestag am vergangenen Dienstag zitierte sie die Schwabinger Agnesstraße 48 als Extrembeispiel dafür, wie Heimat im 21. Jahrhundert in Ballungszentren zunehmend unter Druck gerät. "Bürger", kritisierte sie, "werden mit Luxussanierungen und explodierenden Mieten aus ihrem angestammten Quartier gedrängt." Das sei "absolut nicht akzeptabel". Ziel der Bundespolitik müsse es daher sein, "extreme Mieterhöhungen nach Modernisierungen oder Sanierungen zu stoppen" und zugleich bezahlbaren Wohnraum zu schaffen.
Lokalpolitiker haben kaum Spielraum
Westschwabings Lokalpolitiker haben im Rahmen ihrer begrenzten rechtlichen Möglichkeiten zumindest einen ersten Schritt in diese Richtung getan: Sie haben in ihrer jüngsten Sitzung den Vorbescheidsantrag des Bauherrn, das Gebäude der Agnesstraße 48 aufzustocken und mit laut Bezirksausschuss "übergroßen" Balkonen auszustatten, mit Verweis auf die Bayerische Bauordnung einstimmig abgelehnt. Denn die beantragten Maße überschritten Abstandsflächen und Baulinien. "Das ganze Vorhaben ist nur darauf ausgelegt, die Mieter zu vergraulen und zu vertreiben, um die Wohnungen später teurer neu vermieten zu können", sagt der Vorsitzende des Unterausschusses Planen und Wohnen, Oskar Haider (CSU). "Und das geht gar nicht."
Eine 80-Quadratmeter-Wohnung etwa brauche keine zwei großen Balkone. Damit werde lediglich die Wohnfläche zugunsten einer höheren Miete vergrößert. Dass bei diesem Vorbescheidsantrag der Bauherrn nur ein Teil der geplanten Modernisierungsmaßnahmen aufgeführt ist, liegt daran, dass alle anderen nicht genehmigungspflichtig sind. Auf die Mieter umgelegt werden dürfen sie dennoch. Die endgültige Entscheidung zum Antrag obliegt nun der Lokalbaukommission im städtischen Planungsreferat.