Wohnungsmarkt:Der Mietpreis-Schock

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Ein günstiger Altbau an der Agnesstraße - nun fürchten die Bewohner massive Kostensteigerungen, und sie können nicht einmal etwas dagegen unternehmen

Von Ellen Draxel, Schwabing

Die Agnesstraße 48 ist ein Kleinod. Im Sommer, wenn der Blauregen an der Fassade blüht, bleiben immer wieder Touristen stehen, um die malerische Optik des mehr als hundert Jahre alten Gebäudes zu fotografieren. Was sie nicht sehen, ist das reizvolle Innenleben des Altbaus. Die knarzende Holztreppe, die über fünf Stockwerke in 15 großräumig geschnittene, mit Stuck an der Decke verzierte Wohnungen führt. Die meisten Apartments haben etwas mehr als hundert Quadratmeter, aber jedes sieht anders aus. Die frühere Eigentümerin des Hauses ließ ihren Mietern in allem Gestaltungsfreiheit, bei Heizung, Böden, Badausstattung. Dafür blieb die Miete günstig, die Bewohner bezahlten Sanierungen und Verschönerungen aus eigener Tasche.

Jetzt allerdings fürchten die Mieter um ihr Zuhause. Die ehemalige Eigentümerin ist verstorben - ihre Tochter verkaufte das Anwesen an ein aus drei Gesellschaftern bestehendes Unternehmen, die Agnes 48 UG. "Ende Juli erhielten wir von der Agnes 48 ein Schreiben, in dem Modernisierungen angekündigt wurden", sagt Gabriele Niedermeier, die im dritten Stock wohnt. Für den Sommer 2018 sind der Einbau einer Zentralheizung und die Installation neuer Elektro-Steigstränge geplant. Sanierungsdauer: 15 Wochen. Im darauffolgenden Jahr sollen dann über einen Zeitraum von sieben Monaten die Fenster ausgetauscht, die Kellerdecke und das Dach gedämmt, Balkone vergrößert und neu errichtet sowie die Fassade energetisch modernisiert werden. Auch einen Aufzug wollen die neuen Eigentümer einbauen lassen. Vorgesehen ist außerdem eine Verschönerung des Hinterhofs: Statt Betonplatten soll es eine Kinderspielfläche, Beete, Bäume und Sträucher geben, dazu ein neues Müllhäuschen und einen überdachten Fahrradabstellplatz samt E-Bike-Ladestation. Eigentlich alles nachvollziehbare Optimierungen - wären da nicht die zu erwartenden Mietkosten und der monatelange Baustellenlärm.

620 Euro kalt zahlt einer der Mieter beispielsweise jetzt für seine 109 Quadratmeter - eine, wie er weiß, im Vergleich zum üblichen Münchner Mietniveau extrem niedrige Summe. Nach allen Sanierungs- und Modernisierungsetappen sollen es der Kalkulation der neuen Eigentümer zufolge aber in seinem Fall 2140 Euro monatlich sein - 1520 Euro mehr als bisher, die Nebenkosten noch nicht mitgerechnet. Eine Mietsteigerung um 245 Prozent - von knapp sechs auf 19,60 Euro pro Quadratmeter. Möglich dank einer Klausel im Paragrafen 559 des Baugesetzbuches, die es Vermietern erlaubt, elf Prozent der Modernisierungskosten auf die jährlichen Mieten umzulegen.

Blick zurück: Die Bewohner des Hauses an der Agnesstraße 48, die lange Zeit darum kämpften, ihre Wohnungen zu behalten, sind inzwischen ausgezogen. (Foto: Alessandra Schellnegger)

"Solche Erhöhungen", kritisieren Mieter, "können wir uns nicht leisten." Die Bewohner des Hauses an der Ecke Agnes- und Zentnerstraße gehören der oberen Mittelschicht an. "Aber bei so einer happigen Mieterhöhung bist du schnell weg, auch wenn du gut verdienst", weiß Anja Franz vom Münchner Mieterverein. Der Vermieter habe nach einigen Jahren seine Kosten wieder drin, plus Wertzuwachs der Immobilie. Die Mieter hingegen bekämen ihre günstigen Wohnungen nicht zurück. Der Mieterverein vertritt zwölf der 15 Mietparteien im Haus, er hat für sie Einspruch wegen wirtschaftlicher Härte eingelegt.

Die Eigentümer dagegen betonen, sie seien "keine Durchentwickler", sondern Privatpersonen. Die Agnesstraße 48 sehen sie als "Langzeitinvestition": Wenn das Haus erhalten werden soll, müsse es saniert werden. "Wir machen das, was uns der Gesetzgeber vorgibt", verspricht Geschäftsführer Michael F., man werde dabei "auf das beste Preis-Leistungs-Verhältnis achten". Und wenn das Gesetz für die Mieter spreche, dann werde man "Regelungen finden". Im Übrigen aber liege die neue Miete im Durchschnitt nur etwas über der ortsüblichen Vergleichsmiete. "Wir kommen ja von einem Mietzins, der ist eine Insel der Glückseligkeit."

Eine Kappungsgrenze oder eine Miethöhenbegrenzung durch einen Mietspiegel, das ist die Krux für die Mieter der Agnesstraße 48, gilt bei dieser Form der Mietsteigerung durch Modernisierungen nicht. Justizminister Heiko Maas (SPD) hat deshalb schon vor anderthalb Jahren eine zweite Mietrechtsnovelle angekündigt. Mit ihr sollten Modernisierungskosten künftig jährlich nur noch zu acht Prozent auf die Mieter umgelegt werden können. Doch das Gesetzgebungsverfahren stockt - zumal die bisherige Regierung nur mehr geschäftsführend im Amt ist.

Die Mieter fürchten um ihr Zuhause. Die ehemalige Eigentümerin ist verstorben - ihre Tochter verkaufte das Anwesen an ein aus drei Gesellschaftern bestehendes Unternehmen, die Agnes 48 UG. (Foto: Alessandra Schellnegger)

Dass "vieles von dem, was geplant ist, gar nicht nötig ist", davon sind die Mieter überzeugt. Die Fassadendämmung etwa, für die bereits in einigen Tagen der Efeu und der Blauregen weichen sollen. "Wir haben wirklich einen geringen Energieverbrauch, da muss nichts gemacht werden", meint Gabriele Niedermeier. Ist das frühe Entfernen der Kletterpflanzen als Heimat vieler Bienen, Hornissen, Käfer und Eichhörnchen demnach bereits der "erste Nadelstich" der neuen Eigentümer mit dem Ziel, die Mieter loszuwerden? Rolf Haberkorn ist sich sicher. Er wohnt mit seiner Partnerin im Erdgeschoss, und "uns hat man die fristlose Kündigung angedroht, wenn wir den Urzustand der Wohnung nicht wieder herstellen". Mit der Begründung, die Mieter hätten die Wohnung ohne Genehmigung umgebaut. "Die Forderung der neuen Vermieter ist absurd", sagt Haberkorn. "Unsere Wohnung war ein Dreckloch. Wir haben in den vergangenen 50 Jahren an die 250 000 Euro da reingesteckt."

Man wolle, widerspricht der Geschäftsführer der Agnes 48, niemanden loswerden. Die Agnes 48 UG bewege sich ausschließlich im rechtlich vorgegebenen Rahmen, betont Michael F. Sie habe "weder im Kontext der Modernisierungsankündigung noch in anderen Zusammenhängen Mobbing betrieben". Man stehe mit den Mietern im Dialog, um Lösungen zu finden. Richtig sei, dass in drei von 15 Fällen Abmahnungen angedroht worden seien - aber nur wegen unerlaubten Umbaus und ungeklärter Mietverhältnisse. Für eine Wohnung habe es zwei Mietverträge gegeben, das sei nicht zulässig. Und Zwischendecken einzuziehen oder die Bodenplatte aufzubrechen, um ein Tauchbecken im Keller einzubauen, wie es geschehen sei, ebenso wenig. "Wenn die Küche jetzt woanders ist, als in den Plänen eingezeichnet, oder wenn Bäder erneuert wurden - alles in Ordnung. Das stört uns nicht." Aber sobald es um Fluchtwege, um den Brandschutz oder um die Statik gehe, sagt Geschäftsführer F., müssten sie als Eigentümer handeln. "Wir haften ja dafür."

© SZ vom 11.11.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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