Release-Party der Münchner Bass-Meister:Das Labor Dancefloor

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Weltberühmt in ihrer Nische: Bene (vorne) und Jakob von der Schlachthofbronx. (Foto: Max Werdin)

Weltberühmt in ihrer Nische: Die "Schlachthofbronx" liefert auf dem neuen Album "More Rave And Romance" und etliche Subkultur-Clubstars. Viele der Ideen und Beats darauf entstanden beim Auflegen.

Von Michael Zirnstein

Zuhause ist, wo die Freunde sind. Freunde, die einem nachts um zwei Uhr an der Bar eines Elektro-Clubs eine Umarmung schenken, kurz vor dem Auftritt. Freunde, die Jakob auch mal Stammgäste nennt, und im Scherz so klassifiziert, dass sie "gar nicht in unsere Konzerte kämen, ohne auf der Gästeliste zu stehen". Das ginge ihm und seinem Partner Bene von der Schlachthofbronx wohl ähnlich. Sie sind nicht die klassische nachthyperaktive Zielgruppe des Blitz Clubs, dem Electro-Tempel Münchens, einquartiert im Deutschen Museum - für das wiederum hat Jakob eine Familienjahreskarte, wie er belustigt bemerkt. Ja, er fühlt sich durchaus zu Hause hier.

Natürlich behagt es ihm hier auch musikalisch, gerade an diesem Abend des "Ritournelle"-Festivals für avancierte Club-Musik. Der Veranstalter "Brane" hat vor 14 Jahren, damals in der Registratur, ein ganzes Festival um die noch junge Schlachthofbronx herum organisiert; sie erfuhren es von den Plakaten; so lernte man sich kennen. "Und jetzt kommt Moonchild Sanelly", ruft Jakob, ganz Bewunderer der südafrikanischen Future-Funk-Lady, und schlüpft unter im Gewühle vor der Bühne - das der Schlaks dennoch einen Kopf hoch überragt.

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Die beiden, die der Öffentlichkeit beharrlich ihre Nachnamen verweigern, brauchen sich nicht zu verstecken bei diesem Welt-Gipfeltreffen der heimlichen Club-Stars. Schlachthofbronx sind nicht nur daheim in München die Giganten der Wumms-Musik, ihr "Munich Bass" hinterlässt in Elektro-Katakomben und auf Freiluft-Feten rund um den Globus mächtig Eindruck.

Schon bald nach der Gründung 2008 nahm die britische Club-Heldin M.I.A. sie mit auf Europatour, weitere Sound-Fetischisten wie das Unikum Snoop Dogg und Major Lazer bestellten Tracks von den German Producer Geniuses. In Südafrika machte ein Star-DJ ihr durchdrehendes "That G-String" zum Megahit; 30000 Mexikaner feierten sie bei einem Open-Air-Festival; sie wurden für die Mailänder Modewoche, für Techno-Raves und das größte Europäische Hip-Hop-Festival gebucht; und sie zählen zu den ganz wenigen deutschen DJs, die beim Notting Hill Carnival in London auftreten dürfen, der zweitgrößten Straßen-Party der Welt. "Das ist unser jährlicher Betriebsausflug", sagt Jakob, sie sind dann mittendrin unter zwei Millionen Besuchern und in Steeldrum-Gruppen, Dancehall- und Techno-DJs, Bounce-Soundsystems, Reggaeton-Bands, Samba-Tänzern, auch stilistisch können sie sich da überall anschmiegen. "Es ist ein Riesenfestival für unsere Nische", sagt Jakob. Diese Nische könnte man unsexy als Party-Weltmusik bezeichnen.

Für BBC-Radio durften sie gerade eine Sendung kuratieren

Die Schlachthofbronx mag ein Nischenprodukt sein, aber darin sind die beiden weltberühmt. Stücke ihres neuen Albums "More Rave And Romance" laufen weltweit in mehreren Dutzend Radiostationen, hierzulande traut sich da höchstens mal der neugierige "Zündfunk" von Bayern 2 ran. Fürs britische Parade-Radio BBC durften sie in der "Ravers Hour" selbst 30 Minuten mit ihrer Musik kuratieren - was dann nicht viel anders klang als eines ihrer Karacho-DJ-Sets.

Im Blitzclub dengelt es aus dem Lautsprecher, als sei der "Crazy Frog" auf dem Friedhof der Klingeltontiere auferstanden: "Diggediggediggedigge - Drop!" Das scattet die Stimme von Nicky Da B, des queeren Twerk-Pioniers und New-Orleans-Bounce-Helden, der 2014 starb. Sie hatten noch Vokal-Spuren aus einer frühen Session mit ihm, fanden die stark, schraubten die mal bei einem Auftritt mit einem Rhythmus zusammen, kombinieren es mit einem Off-Beat und etwas Technoidem ... jedenfalls kam das prima an, bei den Tänzern, und auch bei ihnen, sie lassen sich ja gerne von sich selbst überraschen bei der Arbeit, daraus destillierten sie den Track "Drop" fürs Album (auch Nickys Familie sei happy, sagt Jakob).

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Viele Ideen entstehen so live: im Labor Dancefloor, wo es heiß und schwül ist und die Klang- und Beat-Keime wuchern. Wie ein Sauna-Meister gießt Bene ätherische Klangschwälle auf, manchmal wirbelt er mit einem Tuch die Stimmung auf. Als sei das nötig! "Dann können wir ja anfangen", ruft er, als sie nach "Drop" den Fun-Faden kurz abreißen lassen. Mögen sie auch noch so kunstvoll gegenläufige Bass-Spurts, Beat-Spuren, Sound-Flächen und Melodie-Schnipsel zu Tracks bändigen, die einzelnen Stücke mixen sie dann aber oft eben nicht ineinander. Das verstärkt den Lust-und-Laune-Charakter ihrer Arbeit - und steigert das Verlangen nach mehr Bass-Massage umso heftiger.

Sie bekommen das alles mit, hören die Kommentare, bekommen Blicke, sehen Mundwinkel zucken (meist nach oben), spüren das Stampfen - denn sie haben ihr Pult direkt bei den Tanzenden aufgebaut. "Gerne immer auf der Tanzfläche!" sagt Bene. Die Technik macht's möglich, sie brauchen keine Platten mehr, haben alle Elementarteilchen für ihren Zaubertrank auf Festplatte, da kratzt keine Nadel übers Vinyl, wenn einer auf ihrem Tisch tanzt.

Sie spüren gerne mit: "Was ist schön laut, was ist unangenehm laut", erklärt Bene, der Chefproduzent der beiden. Bass ist bei der Schlachthofbronx eine körperliche Extremerfahrung. Gerade bei ihren "Blurred Vision"-Sets, bei denen ihr eigenes 60000-Watt-Soundsystem den Sehsinn verschwimmen lässt. Aber nicht jeder Verstärker holt alles heraus aus ihren Stücken, wie etwa dem neuen "Bergkönig". In seiner Höhlen- oder Kathedralen-artigen, ächzenden, leiernden Synthesizer-Erhabenheit erinnert das Instrumental an Peer Gynts "Halle des Bergkönig". Eine "Fingerübung", nennt Bene das, und auch "eine 50-50-Nummer". Das heißt: "Auf 50 Prozent der Anlagen ist das der Wahnsinn, die anderen 50 Prozent röcheln da nur noch."

"Mann mit Stil und Mann mit Schiel" nennt sich das Duo "Schlachthofbronx" selbst. (Foto: Max Werdin)

Da seien sie schon "Sound-Nerds", entschuldigt Bene: "In unserer punkig schrabbeligen Attitüde sind wir sehr perfektionistisch." Logisch, dass sie da dem Konzept "Heim-Stereoanlage" eher skeptisch gegenüberstehen. Aber: Album muss sein. Eine eigene Disziplin. Zwei Stücke auf "More Rave And Romance" hören mit einem Schlagzeugbeckenschlag auf, als sei man in einem Jazz-Keller - etwas romantisch halt. Und dann raved es. "Bei uns geht der Sound immer extrem auseinander", erklärt Bene das Anti-Konzept. Kunstvolle Intelligenz aus dem Bauch heraus: mal Techno, mal Pop, mal Bounce, Ghetto-Groove, mal zerhäckselt, mal blubbernd, mal fließend. Was es verbindet, sind die vielen Stimmen darauf von Kolleginnen aus den Subkultur-Ruhmeshallen der Welt. Etwa Eliza Legzdina aus Lettland, "eine Internetbekanntschaft", die schrieb sie an, bat um einen Beat, sie schickten ihr was dreckig Swingendes aus ihrem turmhohen Bastellager, sie rappte was Prickelndes drauf: "Sway".

Am liebsten ist es ihnen wie bei "Warrior Queen". Die Dubstep-Legende aus Jamaika, eine alte Weggefährtin, mailte ihnen mal wieder eine Vocal-Spur auf einen Behelfs-Beat, sie durften das komplett zerlegen und völlig neu zusammenstückeln: "Tempting". Bei "Ready And Bad" sprudelt es nur so aus Flowdan raus: Easy, squeezy, ease of, heat up - "Isar" gar? Könnte sein, der Erfinder des Grime-Genres aus London war schon in München, trat beim von Schlachthofbronx kuratierten Festival 2022 im Olympiapark auf und bei ihrem legendären Rumms 2014 im Kesselhaus. Gerade ist Flowdan neben Aphex Twin und James Blake für einen Grammy nominiert. "Da ist es für uns C-Promi-Germans schon gut, wenn man mal ein Bier zusammen getrunken hat", sagt Bene.

Watt wollt Ihr? Die Schlachthofbronx vor ihrem eigenen Soundsystem für volle Dröhnung auf den "Blurred Vision"-Partys. (Foto: Kevin Riedl)

Die Vielfalt der Stimmen - auch wenn man oft nicht versteht, was Lady Lykez, Ten Gs oder Lady Smita da in ihren Slangs rausfeuern - spornt die beiden an: mal ist der Sound rau, schmutzig, rülpst sogar, mal sind das feine Pop-Hits. Sie seien "sehr breit aufgestellt, aber mit eigener Ästhetik", sagt Bene und nennt ihren Stil: "einsamer Eklektizismus". Für sie zählt: "Man will immer, dass es knallt und fett ist. Aber man darf das nicht verfolgen, sonst wird das nichts."

Es ist geworden, mit dem Radioplay weltweit sind sie "happy", mit den Bookings für die Festival-Saison 2024 sieht es auch gut aus. Aber klar ist: Die Releaseparty steigt wie 2008 in der Roten Sonne (passenderweise bei einer Party gegen das bayerische Tanzverbot an den Stillen Tagen), dem Club von Peter Wacha alias DJ Upstart, auf dessen Label sie einst ihr erstes Album rausbrachten. Die Vinyl-Alben haben sie ihm persönlich in seinem Plattenladen Optimal Records vorbeigeradelt. Sie wissen, wo sie zu Hause sind.

Schlachthofbronx, Sa., 25. Nov., 23 Uhr, München, Rote Sonne

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