Prozess in München:S-Bahn-Unglück von Schäftlarn: Bewährungsstrafe für Lokführer

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Bei dem Frontalzusammenstoß zweier S-Bahnen bei Schäftlarn sind vor gut zwei Jahren ein Mensch getötet und Dutzende weitere verletzt worden. (Foto: Matthias Balk/dpa)

Beim Zusammenstoß zweier S-Bahnen bei München starb ein junger Mann, Dutzende Menschen wurden verletzt. Nun ist das Urteil gefallen: Richard Z. habe "grob pflichtwidrig gehandelt", ins Gefängnis muss er aber nicht.

Von Susi Wimmer

Das Urteil im Prozess um das tödliche S-Bahn-Unglück von Schäftlarn ist gefallen: Lokführer Richard Z. wird zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren auf Bewährung verurteilt. Zudem muss er binnen eineinhalb Jahren 180 Stunden gemeinnützige Arbeit ableisten. An drei Verhandlungstagen vor dem Amtsgericht München hatte der Mann unter Tränen immer wieder sein Bedauern ausgedrückt - und erklärt, er habe keinerlei Erinnerung an die Geschehnisse des 14. Februar 2022. An jenem Tag hatte der Führer der S7 Signale und Vorschriften mehrfach missachtet, war in eine eingleisige Strecke eingefahren und mit einer entgegenkommenden S-Bahn kollidiert. Ein junger Mann starb, 51 Passagieren erlitten teils schwere Verletzungen.

Das Schöffengericht unter dem Vorsitz von Amtsrichterin Nesrin Reichle hatten sich Zeit genommen, um die Geschehnisse rund um das verheerende Unglück aufzuklären. Am Ende war zweifelsfrei klar, dass Richard Z. gravierende Fehler gemacht hatte. Aber warum? Er stand weder unter Drogen noch unter Alkohol, er galt als äußerst pflichtbewusst, kannte alle Vorschriften in- und auswendig. Hatte er psychische Probleme? Die Frage nach dem Warum blieb im Prozess ungeklärt.

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Es sei ein schöner Tag gewesen, berichtete Richard Z. in seiner Aussage vor Gericht. Er habe nachmittags in Wolfratshausen noch eine Brezn gegessen, habe sich gut gefühlt, dann sei er - zum dritten Mal an diesem Tag - auf die Strecke gen München gestartet. Schon vor dem Bahnhof Ebenhausen-Schäftlarn war Richard Z. zu schnell unterwegs und erhielt eine automatische Zwangsbremsung. Nun hätte er sich beim Fahrdienstleiter melden sollen. Das tat er nicht.

Am Bahnhof Ebenhausen-Schäftlarn stand das Ausfahrtsignal auf Rot. Trotzdem fuhr Z. an, wurde erneut zwangsgebremst. Jetzt hätte er eine schriftliche Genehmigung des Fahrdienstleiters einholen müssen, um weiterfahren zu dürfen. Auch das tat er nicht. Stattdessen befreite er sich selbst aus der Zwangsbremsung und gab Gas. Auf der eingleisigen Strecke muss er die S-Bahn in Richtung Wolfratshausen gesehen haben. Zumindest bremste er und rannte dann aus dem Führerhaus nach hinten in den Waggon.

Bei der Kollision der beiden Züge erlitt ein 24 Jahre alter Mann tödliche Verletzungen. Er war nach Deutschland geflüchtet, wollte studieren, "er war sehr bildungshungrig", erzählt eine Freundin. Dass sein Aufenthalt genehmigt worden war, erfuhr er nicht mehr.

51 Fahrgäste erlitten teils schwere Verletzungen. Der Lokführer der anderen S-Bahn überlebte wie durch ein Wunder: Er wurde beim Aufprall in eine Nische des Führerhauses geschleudert. Insgesamt entstand ein Sachschaden in Höhe von sieben Millionen Euro.

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Vor Gericht sagte der angeklagte Lokführer, er könne sich an nichts erinnern - doch Rechtsmediziner Matthias Eppler stellte diese Amnesie infrage. Organische Ursachen sah der Experte nicht. Der Sachverständige im Eisenbahnwesen Martin Will fand keine technischen Fehler im System, rügte aber den "laxen Umgang der Bahn mit Tempoverstößen" der Fahrer.

In ihrem Plädoyer beantragte die Staatsanwältin am Donnerstag eine Freiheitsstrafe von zwei Jahren und neun Monaten. Sie warf dem Angeklagten fahrlässige Tötung und fahrlässige Körperverletzung in 51 Fällen sowie vorsätzliche Gefährdung des Bahnverkehrs vor. In ihrem Vortrag hielt sie Richard Z. zugute, dass er mit einer Traumatherapie und durch Ablaufen der Strecke versucht habe, seine Erinnerung wieder zu aktivieren. Ob er sich letztlich nicht erinnern könne oder wolle, ließ sie dahingestellt.

Für einen Suizidversuch gebe es keine Anhaltspunkte, erklärte die Staatsanwältin. Richard Z. stand weder unter Alkohol- noch Drogeneinfluss, seine Einsicht- und Steuerungsfähigkeit sei nicht beeinträchtigt gewesen. Der Angeklagte habe kein klassisches Geständnis abgelegt, "aber er hat alle Gutachten und sein Fehlverhalten anerkannt". Er bereue das Geschehen zutiefst und leide bis heute unter psychischen Folgen. Die Staatsanwältin sah einen "gravierenden Sorgfaltspflichtverstoß". Das Vertrauen der Bevölkerung in die öffentlichen Verkehrsmittel sei erschüttert worden.

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Verteidiger Stephan Beukelmann sprach sich für eine Bewährungsstrafe von einem Jahr und neun Monaten aus. Sein Mandant habe geglaubt, dass er nach dem Bahnhof Ebenhausen-Schäftlarn zwangsgebremst worden sei, weil er zu schnell angefahren sei - und nicht, weil er das Halte-Signal missachtet hatte. Er sei in der Ausbildung "einer der Klassenbesten gewesen, ein Halte-Signal überfahren, so etwas macht er nicht". Deshalb gehe er von Fahrlässigkeit aus. Es sei ein "offenkundiges Augenblicksversagen" gewesen, erklärte der Verteidiger.

Diese Meinung teilte das Gericht nicht. Richard Z. habe "grob pflichtwidrig gehandelt", so die Richterin. Und er hatte den "entsprechenden Handlungsvorsatz", nach der Zwangsbremsung die nötigen Knöpfe zu drücken und weiterzufahren. Gleichwohl merkte sie an, dass die Folgen den Angeklagten in seelischer wie auch finanzieller Hinsicht "ein Leben lang belasten werden". Zurzeit arbeitet Richard Z. als Briefzusteller.

Der gelernte Dreher-Meister war 2015 mit seiner Firma insolvent gegangen, geschäftlich sowie privat. Im Mai 2020 begann er in München mit seiner Umschulung zum Triebwagenführer, "mein Traumberuf, dass das so schnell endet, ist sehr schwer für mich", sagte er und brach erneut in Tränen aus. Auch bei seinem letzten Wort schluchzte er: "Es tut mir alles so wahnsinnig leid, ich würde es am liebsten ungeschehen machen. Ich kann mich nur entschuldigen bei allen, die durch mich zu Schaden gekommen sind."

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