Johannes Volkmann:Mit Verkehrsschildern die Welt gerechter machen

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"Krieg" als Einbahnstraße: Johannes Volkmann mit Verkehrsschildern, aus aktuellem Anlass auch auf Chinesisch und Taiwanesisch, Russisch und Ukrainisch. (Foto: Stephan Rumpf)

Der Konzeptkünstler Johannes Volkmann, Initiator ungewöhnlicher Gesellschaftsinszenierungen, erhält den Kulturpreis der Stadt Nürnberg. Ein Porträt.

Von Barbara Hordych, Nürnberg

Besucher sind bei seinen ungewöhnlichen Sozialkunstinstallationen immer auch potenziell Mitwirkende - einerlei ob in Nürnberg, München oder in Ägypten, Israel und Indien. Nicht von ungefähr wählt Johannes Volkmann für die Urheberschaft seiner Gesellschaftsinszenierungen den Begriff "Zusammenkunst". "Ich will weg von dem großen, individuellen Künstlerbegriff, weil ich der Ansicht bin, dass zentrale Themen gemeinsam aufgegriffen, diskutiert und gestaltet werden müssen", sagt der 54-jährige Leiter des 1995 gegründeten Nürnberger Papiertheaters.

Als "Konzeptkünstler" bezeichnete ihn jetzt die Jury des Kulturpreises der Stadt Nürnberg, die ihn mit 10000 Euro und damit dem Hauptpreis würdigte. Ein treffender Oberbegriff für das vielseitige Schaffen des Künstlers, der in Oberammergau das Holzbildhauerhandwerk erlernte, in Bochum eine Figurentheaterausbildung und an der Akademie der Bildenden Künste Nürnberg den Studiengang "Kunst & Öffentlicher Raum" absolviert hat.

Passanten lud er an Tische, sie sollten auf Pappteller schreiben, was "unbezahlbar" ist

"Das ist schon eine tolle Anerkennung", freut sich der Papier-Philosoph, der seine Theaterinszenierungen in den vergangenen Jahren immer stärker als Kunstaktionen in den öffentlichen Raum verlegte. Darunter seine Aktion "Unbezahlbar", für die er vier Jahre lang von Deutschland über Spanien, Irland, Ägypten, Israel und Palästina bis nach Indien und China unterwegs war. Auf zentralen Plätzen tischte er Passanten auf, lud oder vielmehr lockte sie an mit Papier weiß umwickelte Tische, ließ sie Pappteller mit dem beschreiben, was für sie "unbezahlbar" ist.

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Auf der Durchreise von Nürnberg - dort liegt sein Atelier - zu seinem Haus nach Riegsee macht er jetzt einen Zwischenhalt in München. Und erzählt von den neun Bürgermeistern und Bürgermeisterinnen im "Blauen Land" - Murnau, Seehausen, Ohlstadt, Uffing, Spatzenhausen, Großweil, Schwaigen-Grafenaschau, Eglfing und eben Riegsee - die seine sechste und jüngste "Gesellschaftsinszenierung" aufgegriffen haben: Nach der temporären Aufstellung von 200 Schildern - als politisches Statement parallel zum G7-Gipfel - "haben Sie einzelne oder mehrere meiner "Verkehrsschilder der Gerechtigkeit" erworben und an zentralen Plätzen ihrer Gemeinden aufgestellt."

Sollen auf dem Land, in der Stadt und demnächst auch international für ein gerechteres Miteinander stehen: Acht Straßenverkehrsschilder mit neuer Botschaft. (Foto: Johannes Volkmann)

Anhand dieses Ausstellungsprojekts lässt sich der komplexe Kosmos seiner Gesellschaftsinszenierungen recht gut erschließen - und ja, "sicherlich hat mich auch Joseph Beuys' Idee der Sozialen Skulptur inspiriert". Hervorgegangen sind die "Verkehrsschilder der Gerechtigkeit" aus einem anderen Projekt, der "Konferenz der Kinder", für die der Initiator zwischen 2014 und 2018 mit seinem Team um die ganze Welt gereist ist, nach Oslo, Bukarest, Kuala Lumpur und Ouagadougou.

Sie forderten Kinder auf, ihre Antworten auf Fragen wie "Das bereitet mir Sorgen, wenn ich an die Welt denke" in ein Buch zu schreiben und den Satz "Wenn ich Präsident wäre, würde ich ..." mit eigenen Forderungen zu vervollständigen. Die bemalten und beschrifteten Bücher wurden 2018 bei der "Gipfelkonferenz der Kinder" an der Straße der Menschenrechte in Nürnberg ausgestellt.

2015 präsentierte Johannes Volkmann Bücher seiner weltweiten Aktion "Konferenz der Kinder" in einer Ausstellung in der Pasinger Fabrik. (Foto: Catherina Hess)

"Ganz obenan stand für die Kinder der Wunsch nach Frieden", erzählt Volkmann. Also suchte er nach einem künstlerischen Mittel, diesem Wunsch in einem Projekt Ausdruck zu verleihen. Am symbolträchtigen Ort des ehemaligen NS-Reichsparteitagsgeländes entstand 2019 die erste "Skulptur des Friedens" aus geschätzt 1000 eingeschmolzenen Plastikspielzeugwaffen, die Kinder aus aller Welt zuvor abgegeben hatten.

Die Gesellschaftsinszenierung mit der Botschaft "Entwaffne dich!" ist auf mehrere Friedenssäulen und Jahre angelegt - in den vergangenen Wochen konnte man etwa in Höhenkirchen-Siegertsbrunn die Spielzeugwaffen niederlegen und einschmelzen. Das so entstandene Kunstwerk soll dort nun ein Jahr lang zum Frieden mahnen. "Es geht mir darum, diesen gesellschaftlichen Widerspruch aufzuzeigen: Eigentlich wollen alle Kinder wie auch viele Erwachsene den Frieden, trotzdem werden immer mehr Waffen produziert und auf politischer Ebene mit ihnen gedroht", sagt Volkmann.

Vor dem Einschmelzen: Von Kindern abgegebene Plastikspielzeugwaffen auf dem NS-Reichsparteitagsgelände. (Foto: Johannes Volkmann)

Nun zum zweiten Wunsch, der sehr dringlich in den Fragebüchern formuliert wurde: der nach Gerechtigkeit. "Für die Kinder umfasst das ein gerechten Verhältnis nicht nur zu Menschen, sondern auch zu Tieren und ihrer Umwelt", erzählt Volkmann. Erneut machte er sich auf die Suche nach einem passenden künstlerischen Ausdrucksmittel, kreierte schließlich einen ganz besonderen Schilderwald: "Ich habe nach einer universellen Sprache gesucht, und da fiel mir auf, dass es im Straßenverkehr die Schilder mit ihren Piktogrammen wie ,Stop' oder ,Einbahnstraße' sind, die weltweit akzeptiert und verstanden werden", sagt Volkmann über den Entstehungsprozess.

Ein Schilderwald mit einer Bildsymbolik, selbsterklärend und einprägsam

Gemeinsam mit Kindern aus vielen verschiedenen Ländern entwickelte er die Verkehrsschilder der Gerechtigkeit, deren Bildsymbole selbsterklärend und einprägsam ein gerechteres Zusammenleben zwischen den Menschen und auch der Umwelt fordern. Auf den ersten Blick sind es acht gewöhnliche Verkehrsschilder, deren Symbole aber variiert wurden: Das rote Stop-Schild hat einen schwarzen Fleck mit dem Zusatz "Umweltverschmutzung" erhalten, das dreieckige Gefahrenzeichen warnt mit der Aufforderung "Schau hin!" vor einer Figur, die eine andere mit Füßen tritt. "Krieg" schließlich steht am Ende des Symbols für "Einbahnstraße".

Die erste Realisierung des Kunstprojekts fand in Zusammenarbeit mit dem Staatstheater Nürnberg, dem Menschenrechtsbüro Nürnberg und dem Goethe Institut im März diesen Jahres in der Nürnberger Altstadt statt. Auf sieben Plätzen wurden jeweils 21 seiner Verkehrsschilder zwei Wochen lang aufgestellt. Doch stille Installationen sind nicht Volkmanns Sache, er sucht das lebendige Stadtgespräch, wählte verschiedene Schulklassen als Partner. "Sie zeigten jeden Tag zur Eröffnung Performances auf den Plätzen zu den jeweiligen Schildern, die Passanten blieben stehen, stellten Fragen, wollten mehr erfahren."

Daraus sind Patenschaften mit Privatpersonen, Firmen, Schulen und Institutionen entstanden, die die temporären Schilder für 180 Euro das Stück einzeln oder zu mehreren erworben haben. Die stehen jetzt in privaten Innenhöfen, vor einer Autowerkstatt, vor Kiosken und Museen. "Die Ohm Hochschule Nürnberg hat 16 Schilder auf ihrem Campus aufgestellt, und der Bürgermeister von Berlin-Mitte hat gleich einen ganzen Schilderwald vor seinem Amtssitz montiert", sagt Volkmann. Es schaut demnach vielversprechend aus für seinen ganz persönlichen Drei-Schritte-Plan: "Die Installation ist auf dem Land vertreten, in der Stadt - jetzt kann sie international werden." Am 31. Januar und am 3. Februar 2023 bietet Volkmann zwei kostenlose Online-Workshops für Lehrerinnen und Lehrer in den Sprachen Deutsch, Englisch und Spanisch an, in denen er künstlerische Möglichkeiten aufzeigt, wie man in Schulen mit den Verkehrsschildern der Gerechtigkeit arbeiten kann - Anmeldung unter Volkmann@dasPapiertheater.de

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