Ruhig sitzt Hanna Zimmermann auf dem Podium in der Evangelischen Stadtakademie. Eine attraktive alte Dame mit Baskenmütze, Seidentuch, weißer Bluse und beigefarbener Strickjacke. Anderthalb Stunden wird sie an diesem Sonntagmittag, einen Tag nach dem Holocaust-Gedenktag am 27. Januar, von der Hölle erzählen. Sie hat sie als junge Frau erlebt, von den Nazis um ihre Heimat, ihre Jugend und Familie gebracht. Sie wird um Worte ringen, wenn die Erinnerungen sie zu sehr schmerzen, ihre Hände kneten. Es ist sehr viel, was ihr bis zum heutigen Tag Pein bereitet, wenn sie an die Zeit im Ghetto Lodsch (auch Ghetto Litzmannstadt, späterer Name des polnischen Łódź während der deutschen Besatzung) denkt und an die Deportierung in die Lager nach Auschwitz, nach Bergen-Belsen und Salzwedel. Aber sie setzt sich diesen Erinnerungsschmerzen aus, um zu warnen und zu mahnen.
"Nie wieder dürfen wir Verbrechen zulassen, wie Sie sie erlebt haben", sagt Diakon Matthias Peterhoff, Studienleiter der Evangelischen Stadtakademie zur Begrüßung mit Blick auf Zimmermann. Seit 2008 veranstaltet die liberale jüdische Gemeinde Beth Shalom Zeitzeugen-Abende normalerweise im Jüdischen Museum. Ausnahmsweise ist man in der Stadtakademie zu Gast. Höflich bedankt sich Hanna Zimmermann bei den 150 Zuhörern, dass sie an "dieser traurigen Stunde Interesse haben". Sie ist eine der wenigen Überlebenden, die noch berichten können, was Menschen anderen Menschen antun können. Im November wird sie 100 Jahre alt.
Am 27. Januar 1945 wurde das KZ Auschwitz befreit. Zu dieser Zeit war Hanna Zimmermann schon in Salzwedel. An ihrer Seite sitzt Andreas Heusler vom Münchner Stadtarchiv. Die beiden kennen sich schon von anderen Veranstaltungen. Doch Heusler betont: "Noch nie war unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung so sehr in Gefahr." Geschichte sei zwar nie vorhersehbar, aber Menschen könnten den geschichtlichen Verlauf beeinflussen. Dem Historiker ist es ein Anliegen, darauf hinzuweisen, wie wichtig es sei, zu vermitteln, worauf sich die gut gemeinten Worte "nie wieder" letztlich beziehen.
Das Leid der Kinder war schlimmer als Heimweh und Hunger
Hanna Zimmermann wurde 1924 in Aussig geboren. Deutsch war dort ihre Muttersprache, doch sie musste mit ihrer Familie nach Prag umziehen. Im November 1941 wurde sie mit den Eltern in das Ghetto Lodsch deportiert. Die Zugfahrt dorthin beschreibt Zimmermann als "furchtbar". Sie erlebte ihre erste willkürliche Erschießung, es war ihr Zugnachbar. Der Anblick von Leichen gehörte bald zu ihrem Alltag, erzählt sie. Drei Jahre war Hanna Zimmermann in Lodsch. Dort wurde sie zur Arbeit in den Textilfabriken gezwungen. Hier wurden Uniformen und Schuhe für die Wehrmacht gefertigt. Eine sehr schwere Arbeit sei das gewesen, betont Zimmermann immer wieder. Zehn Stunden im Stehen, bei Kälte und Hitze. Es habe weder schützende Fensterscheiben noch eine Heizung in den Gebäuden gegeben.
Noch schlimmer als ihr Heimweh und ihr eigener Hunger aber empfindet Zimmermann bis heute das Leid der Kinder dort. Sie mussten sich in den Kellern verstecken, das quält sie bis heute. "Es kann sich niemand vorstellen, was diese Kinder mitgemacht haben", sagt Zimmermann. "Sie hatten ja noch nie richtig gelebt. Sie wussten nicht, warum sie überhaupt da waren." Sie selbst aber wusste es: weil sie Jüdin war. Nur deshalb.
Hanna Zimmermann wird gefragt, woher sie die Kraft nahm zu überleben. "Für meine Mutter", sagt sie. Zusammen mit ihrer Mutter und ihrer Schwester ist sie der Hölle entkommen. Die Jahrzehnte danach aber waren "ein steiler, steiniger Weg." Am Ende bittet Hanna Zimmermann nicht für sich: "Denken Sie an all die unschuldigen Seelen. Es muss eine Wahrheit bleiben für immer."