Fußball-Geschichte:Engpass auf der Via Triumphalis

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Petra Leufstedt leitet das Museum seit 2013. Ihre Vorgängerin war Sabine Hoeneß, die Tochter von Uli Hoeneß. Das Bild zeigt Leufstedt neben den Meisterschalen des FC Bayern. (Foto: Florian Peljak)

Petra Leufstedt leitet das Museum des FC Bayern, das nun zehn Jahre alt ist. Ein Gespräch über Sepp Maiers Tischtennisschläger, ein Porzellan-Service für die Fußballerinnen und darüber, warum die Fans für den Aufbau der Ausstellung so wichtig waren.

Von Gerhard Fischer, München

Da sind zum Beispiel die - ziemlich lädierten - Fußballschuhe von Sepp Maier aus den 1960er Jahren. Da ist die Quittung über 5000 Mark, die der FC Bayern für den Transfer von Gerd Müller an den TSV Nördlingen zahlen musste. Solche Sachen findet man im Museum des FC Bayern in der Allianz Arena, das in diesem Jahr sein Zehnjähriges feiert. "Wir haben über 350 000 Besucher jährlich und sind damit unter den Top Five der Münchner Museen", sagt Petra Leufstedt, die das Museum seit 2013 leitet. Die Exponate werden auf 3500 Quadratmetern gezeigt. "Wir haben das größte Vereinsmuseum Deutschlands", sagt Leufstedt.

SZ: Frau Leufstedt, das Museum gibt es seit zehn Jahren - was war denn Ihr Highlight in dieser Zeit?

Petra Leufstedt: Uschi Müller, Gerd Müllers Frau, und Robert Lewandowski trafen sich hier im Museum unter den 101 Bällen (blickt zur Decke, wo weiß-rote und weiß-schwarze Bälle hängen), nachdem Lewandowski Müllers Torrekord von 40 Toren überboten hatte.

Für alle, die es nicht mehr parat haben: Bayern-Stürmer Lewandowski schoss in der Saison 2020/2021 41 Tore.

Ja, und zuvor hatte Gerd Müller 49 Jahre lang den Rekord.

Und was hat es mit den 101 Bällen an der Decke auf sich?

Der FC Bayern schoss in der Saison 1971/72 101 Tore. 40 Bälle sind rot, das sind Müllers Treffer, die restlichen sind schwarz. Der Vorstand hatte Uschi Müller im Mai 2021 zum Spiel gegen Augsburg eingeladen, weil Lewandowski an diesem Tag den Rekord brechen konnte. Danach trafen sich Uschi Müller und Lewandowski bei uns im Museum, und das war unheimlich bewegend. Sie stand 50 Jahre lang immer an der Seite von ihrem Gerd und war dann im Stadion live dabei, als dieser Rekord für die Ewigkeit überboten wurde - und danach stand Robert Lewandowski vor ihr und drückte sie. Das war eine große Ehrerbietung beiderseits.

1965 stieg der FC Bayern in die Bundesliga auf. In der Aufstiegsrunde besiegten die Münchner Tennis Borussia (TeBe) Berlin. Das Museum zeigt unter anderem die Eintrittskarte (oben im Bild) und den damaligen Titel der Zeitschrift "Fußball". (Foto: Stephan Rumpf)

Für Leserinnen und Leser, die noch nie hier waren: Was kann man im FC-Bayern-Museum überhaupt sehen?

Wir wollen die Vereinsgeschichte auf eine emotionale Weise darstellen - von der Gründung im Jahr 1900 bis in die Gegenwart. Wir haben die Geschichte in Zeitabschnitte eingeteilt: 1900 bis 1933, 1933 bis 1965, als der FC Bayern in die Bundesliga aufstieg ...

Gehen wir bitte kurz zurück zu 1933. Es wurde heuer eine Studie publiziert, die sich mit den Bayern während der Zeit des Nationalsozialismus befasste. Heraus kam, dass sich der sogenannte Judenverein FC Bayern doch nicht besser verhalten hatte als andere Sportklubs, sondern, nun ja, ähnlich schlecht.

Diese unabhängige Studie wurde von uns in Auftrag gegeben, um Aufklärungsarbeit zu leisten. Die Rolle des FC Bayern wurde anhand von über 100 Biografien von Spielern, Trainern und Vereinsfunktionären in dieser Zeit untersucht - das ist meines Wissens einzigartig in der Sportvereinsgeschichte in Deutschland. Das Institut für Zeitgeschichte hat den Auftrag bekommen, und Gregor Hofmann hat darüber eine Dissertation geschrieben, die jetzt als Buch herauskommt. Man hat nachgewiesen, dass es auch beim FC Bayern früher als bisher bekannt Opfer wie Täter gab, also auch überzeugte Nazis.

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:"Das Mitmachen war auch beim FC Bayern der Regelfall"

Gregor Hofmann hat die NS-Geschichte des FCB erforscht. Muss sie nun umgeschrieben werden? Ein Gespräch über den Ruf des Rekordmeisters als vermeintlicher "Judenklub" und Nationalsozialisten in der Klubführung.

Interview von Sebastian Fischer

Werden diese Erkenntnisse nun in die Ausstellung integriert?

Ja. Kleinere Anpassungen haben wir bereits vorgenommen, der Rest soll beim geplanten Umbau des Museums geschehen. Wir gelangen nämlich nach zehn Jahren kapazitätsmäßig an unsere Grenzen. Die NS-Zeit wird dann wesentlich größer abgebildet - mit den recherchierten Ergebnissen, die wir über Gregor Hofmann oder auch selbst gewonnen haben. Wir haben sehr viele jüdische Biografien im Zuge unserer Wanderausstellung "Verehrt, verfolgt, vergessen" recherchiert, die seit 2016 in Deutschland und auch im Ausland zu sehen ist. Sie war zum Beispiel auch in Washington.

Wo wir gerade bei diesem geplanten Umbau sind: Das heißt, es wird auch insgesamt mehr Ausstellungsfläche geben?

Die letzten zehn Jahre waren, welch ein Glück für den Verein, die erfolgreichsten in der Geschichte des FC Bayern. Wir haben also viele neue Pokale. Deren Repliken kommen in unsere sogenannte Via Triumphalis, und durch die Vielzahl von Meisterschalen kriegen wir Platzprobleme. Da ist jetzt die Frage: Gehen wir baulich ran, vergrößern wir das Museum? Oder fassen wir die Zeitabschnitte nach einer neuen Systematik zusammen?

Und?

Diese Entscheidung liegt momentan beim Vorstand. Es wäre natürlich schön, wenn wir etwas Fläche gewinnen könnten.

Hier debattierten die Vorsitzenden des Rekordmeisters: Das Präsidiumszimmer, früher in der Geschäftsstelle an der Säbener Straße, ist nun im Museum des FC Bayern zu sehen. (Foto: Catherina Hess)

Im Museum sieht man zum Beispiel das Trikot, das Gerd Müller bei seinem Heimatverein TSV Nördlingen trug. Woher haben Sie die Exponate, die in Ihrem Museum zu sehen sind?

Wir hatten am Anfang im Prinzip nichts, es gab ein paar Pokale in unserer Geschäftsstelle an der Säbener Straße, und es gab das Präsidiumszimmer, das im Museum ausgestellt ist. Im Gegensatz zu anderen Museen, die bereits eine Sammlung haben und dann überlegen, wie sie diese ausstellen, war es bei uns so: Wir haben im Bayern-Magazin einen Aufruf geschaltet, dass alle Fans mal nachschauen sollen, was sie so haben. Im Zuge dessen wurden die meisten Objekte zur Verfügung gestellt.

Fast alles von Fans?

Absolut vieles von Fans! Es gab zum Beispiel einen Fan, der das Aufstiegstrikot des Jahres 1965 von Franz Beckenbauer hatte. Wir haben dann ihn und Beckenbauer zu einem Bundesligaspiel eingeladen. Der Herr hat Beckenbauer vor dem Spiel auf dem Rasen das Trikot überreicht, und dieser gab es dem Museum. Für den Exponatgeber war das ein einzigartiges Erlebnis: dass das Trikot den Weg zu uns findet und wie es den Weg findet. Das ist unsere Philosophie: Lass uns für die Topexponate Geschichten machen, die unbezahlbar für den Fan sind, aber wir möchten eigentlich dafür aus ideellen Gründen kein Geld ausgeben. Wir arbeiten in der Regel auf Leih- oder Schenkungsbasis. Wir möchten auch nicht kommerziellen Trikotsammlern irgendwelche Trikots abkaufen. Geld ausgegeben haben wir nur äußerst selten. Etwa bei der Sanyo-Tonne ...

... in die Bayern-Stürmer Jürgen Klinsmann am Spielfeldrand vor Wut getreten hatte, so dass gleich sein Fuß stecken blieb?

Genau. Dieses Exponat wollten wir unbedingt haben. Der Mann, der die Tonne hatte, gab sie uns - unter der Bedingung, dass wir jedes Jahr eine gewisse Summe an eine Stiftung spenden. Einmal haben wir auch eine Uhr gekauft, und gerade eben sind wir an einem Kunstwerk dran. Viele wichtige Männer der Anfangszeit um 1900 waren Künstler, sowohl Spieler als auch Funktionäre des FC Bayern. Die Schwabinger Boheme. Wir stoßen ab und zu auf Kunstwerke aus diesem Kreis, aktuell ist es eine Bronzefigur. Das sind für uns natürlich Topobjekte.

Es waren vor allem Künstler, die im Jahr 1900 den FC Bayern gründeten. Der Verein ehrte diese 2019 mit der Sonderausstellung "Zwischen Atelier und Fußballplatz". Uli Hoeneß (rechts) und Karl-Heinz Rummenigge bei der Eröffnung der Ausstellung. (Foto: Robert Haas)

Sie machen neben der Dauerausstellung auch Sonderausstellungen. Welche ist derzeit zu sehen?

Uli Hoeneß. Er wurde im Januar 70 Jahre alt. Seine Frau wurde auch befragt, und sie hat ein sehr persönliches Interview gegeben, so dass die Leute da nicht die 98. Geschichte erfahren, die eh jeder kennt. Die Ausstellung heißt "Mensch Uli. Ein Leben für den FC Bayern." Und eine kleine Sonderausstellung haben wir auch noch: "50 Jahre Olympiastadion. Der FC Bayern unter dem Zeltdach". Das Stadion wurde ja jetzt 50 Jahre alt.

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Zuvor gab es Sonderausstellungen zu Maier, Beckenbauer und Müller ...

Wir sind mit dem Vorstand übereingekommen, dass wir möglichst jedes Jahr eine große, neue Sonderausstellung machen möchten, um Schwerpunkte zu setzen. Man kann damit auch Werbung machen, um Besucher für die Dauerausstellung zu bekommen. Unsere erste Sonderausstellung - das war 2014 zum 70. Geburtstag von Sepp Maier - hieß "Torwart, Tüftler, Tausendsassa". Wir haben es oft geschafft, für diese Sonderausstellungen extra Exponate zu beschaffen. Unser Kollege Hans-Peter Renner ist da unheimlich hilfreich, weil er alle alten Recken kennt. Die Türen werden geöffnet, er geht in den Keller von Franck Ribéry, Arjen Robben, Sepp Maier und kommt mit unglaublichen Schätzen zurück.

Was findet man denn im Keller von Maier?

Im Tennispark von Sepp Maier haben wir zum Beispiel alte Skihandschuhe gefunden. Da hatte Maier von einem Tischtennisschläger die raue Oberfläche abgezogen und auf die Handschuhe geklebt, die er im Spiel trug, um bei Nässe und Schnee eine bessere Grifffestigkeit zu haben.

Daher das "Tüftler" im Titel über Maiers Sonderausstellung.

Wir haben auch bei Beckenbauer im Wohnzimmer die Vitrine ausgeräumt (lacht). Wenn man diese Exponate bekommt, wird die Ausstellung sehr familiär. Das Ergebnis ist, dass die Besucher hier den FC Bayern und seine Protagonisten auf eine Weise kennen lernen, die sehr menschlich und persönlich ist; das lässt die Spieler vertraut erscheinen. Wir wollen keine Heldenglorifizierung, sondern die Menschen dahinter sichtbar machen.

Es gab aber auch Sonderausstellungen zu Themen.

Ja, ich erinnere mich zum Beispiel an die Ausstellung "Profifußballer. Traum und Wirklichkeit." Es ging darum zu zeigen, wie viele Kinder fangen mit dem Fußballspielen an, und wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit, bis oben hinzukommen. Wir haben eine Pyramide konstruiert, mit einer Treppe: der Weg des Erfolgs. Wo du dann die einzelnen Stufen hoch gehst. Ganz oben, die letzte Stufe, war: Glück. Dann bist du dabei. Das hat viele Jugendspieler angesprochen. Ich glaube, da gingen dann auch einige raus, die etwas nachdenklicher oder realistischer geworden sind. Und einige Eltern auch.

Noch mal zurück zu den Exponaten. Wenn eine Sonderausstellung vorbei ist, sagen wir die von Sepp Maier, werden dann die Handschuhe in die Dauerausstellung integriert oder gehen sie zurück zu Maier?

Teils, teils. Wir versuchen bei allem, was wir bekommen, mit dem Leihgeber oder Schenker eine Vereinbarung zu treffen, dass wir die Dinge bei uns im Archiv behalten dürfen. Wir haben dort derzeit etwa 7000 Objekte. Anfangs hatten wir circa die Hälfte. Manche Exponate wollen die Leihgeber aber auch zurück - Franz Beckenbauer zum Beispiel wollte die Boxhandschuhe, die er von Muhammed Ali erhalten hatte, wieder haben. Übrigens haben wir seit etwa zwei Jahren auch unsere Frauenfußball-Abteilung im Museum. Da wird zum Beispiel das Mariposa-Service von Villeroy und Boch gezeigt, das die deutschen Nationalspielerinnen für ihren EM-Titel 1989 als Prämie erhalten haben.

1989 hat der Deutsche Fußballbund den Frauen noch ein Service gegeben...

(lacht): Ja, noch dazu ohne zusätzliche Geldprämie. Da gab es große Diskussionen. Rosi Bindl, die einzige Bayern-Spielerin in diesem EM-Kader von 1989, hat uns das Service zur Verfügung gestellt.

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