Es war aus Sicht der Stadt München eine bittere Niederlage vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof (VGH) im Kampf um bezahlbare Mietwohnungen, doch nun will sie ihre Position vor dem Bayerischen Verfassungsgerichtshof doch noch durchsetzen: Sozialreferentin Dorothee Schiwy informierte den Sozialausschuss des Stadtrats am Donnerstag, dass ihr Haus eine so genannte Popularklage vorbereite.
Ziel ist es, gekippte Regelungen aus der zum 1. Januar 2020 geänderten Münchner Zweckentfremdungssatzung wieder gültig zu machen. Es ging bei dieser Neuregelung der Stadt unter anderem darum, dass die Genehmigung für den Abriss von Häusern mit Mietwohnungen - und die damit verbundene Zweckentfremdung dieses Wohnraums - nur noch erteilt werden durfte, wenn als Ersatz Mietwohnraum in der Regel im selben Stadtbezirk geschaffen wird und die Miethöhe sich danach an der ortsüblichen Vergleichsmiete orientiert.
Bilanz des Planungsreferats:Stadt verfehlt das Wohnungsbauziel knapp
2020 wurden in München 8289 Wohnungen neu gebaut, angestrebt waren 8500. Neu genehmigt hat die Lokalbaukommission mehr als 11 500. Ein Wert fällt bei der Bilanz völlig aus dem Rahmen.
Gegen diese Vorschriften hatte der Haus- und Grundbesitzerverein München geklagt. Dessen Vorsitzender Rudolf Stürzer sah durch die Neuregelung der Stadt enorme finanzielle Einbußen auf Hauseigentümer zukommen. Diese müssten ihre neu gebauten Mietwohnungen um rund 40 Prozent unter dem Marktwert vermieten. Der VGH gab Haus und Grund Anfang dieses Jahres Recht. Die Stadt habe gesetzlich nicht die Kompetenz, solche Regelungen zu erlassen, urteilte Bayerns oberstes Verwaltungsgericht.
Nun argumentiert die Stadt, das entsprechende Landesgesetz sei verfassungswidrig - der Hebel, dagegen vorzugehen, ist die Popularklage vor dem Verfassungsgerichtshof. "In der Bayerischen Verfassung ist ein Anspruch der Bevölkerung auf Versorgung mit angemessenem Wohnraum und die Sozialbindung des Eigentums festgeschrieben", sagt Sozialreferentin Dorothee Schiwy. "Diese Rechte dürfen aber nicht nur auf dem Papier stehen. Kommunen müssen sich schützend vor das Grundrecht ihrer Bürgerinnen und Bürger auf eine Versorgung mit angemessenem Wohnraum stellen dürfen."
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Deshalb müsse es möglich sein, nur solchen Wohnraum als angemessenen Ersatz anzuerkennen, "der dem allgemeinen Wohnungsmarkt so zur Verfügung steht wie der zuvor zweckentfremdete (sprich: abgerissene, Anm. d. Red.) Wohnraum", so Schiwy. Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) nennt ein Beispiel: "Es kann doch nicht sein, dass eine Mietwohnung in Haidhausen durch eine luxuriöse Eigentumswohnung ersetzt wird", so der SPD-Politiker, und die Kompensation dann durch eine Mietwohnung in Neuperlach erfolge. Das aber ist nach dem Urteil des VGH wieder zulässig.
Schiwy stellte dem Ausschuss am Donnerstag auch neue Zahlen zu einem anderen Aspekt der Zweckentfremdung vor: Das Sozialreferat habe im Jahr 2020 insgesamt 441 zweckentfremdete Wohneinheiten wieder dem regulären Wohnungsmarkt zugeführt und damit so viel wie in keinem Jahr zuvor. 75 dieser Wohnungen seien gewerblich genutzt worden, 225 hätten leer gestanden. Bei 141 Wohnungen habe man die illegale Nutzung als Ferienwohnung beendet. Es seien 30 Bußgeldbescheide mit einer Gesamthöhe von 740 000 Euro erlassen worden. Und für das Jahr 2021 zeichne sich "bereits jetzt eine deutliche Erhöhung der Bußgeldhöhen im Vergleich zum Vorjahr ab".