Neo-Bayern sind mit Vorsicht zu genießen. Ein Neo-Bayer ist ein Wirtshaus, das die Klassiker der bayerischen Küche aufpeppen will. Neo-Bayern sind leider manchmal auch recht lustig und fidel, und das zwanghaft - so, wie es ein Volkslied in seinem Refrain zum Ausdruck bringt: "I bin fidel, fidel, fidel, mi leckst am Oarsch, bis dass der Teifi holt mei arme Seel'!" So was muss man mögen.
Newsletter abonnieren:Satt und Glücklich
Jeden Freitag die Restaurant-, Bar- und Café-Tipps für München - sowie alle wichtigen Gastro-News der Stadt. Kostenlos anmelden.
In gewisser Weise ist das Wirtshaus Zum Alten Markt - ja, es ist schon eher ein Wirtshaus, obwohl es sich "Restaurant" nennt - ein Neo-Bayer. Ganz früher war es eine üble Spelunke mit dem Namen Blaue Nacht. 1985 übernahm der Wirt Josef Lehner das Lokal und machte eine ordentliche Schank- und Speisewirtschaft draus, Ende 2020 ging er in Rente. Nun hat das Wirtinnenpaar Kristina und Ninja Höfler die Gaststätte übernommen. Zwar haben sie auf der Speisekarte nicht wie andere Neo-Bayern mit dem großen Apostrophenstreuer gearbeitet. Aber die Vorspeisen laufen leider Gottes unter "A Mongdratzerl", die Nachspeisen unter "Was Sias zum Schluss", und die Aufstrichplatte heißt "Heimatgedeck - I schmier da oane". So viel krachlederne Orthografie verheißt in der Regel nichts Gutes.
Glücklicherweise täuscht man sich da im Alten Markt aber. Um mit den Vorspeisen zu beginnen: Das Heimatgedeck (8,95 Euro) in Gestalt dreier Kugeln, die sich als hauseigene Version des Obazdn, einem Schmand mit Pfifferlingen (in Bayern "Reherl" genannt) und Griebenschmalz mit Äpfeln erwiesen, eignet sich zusammen mit frischen Brezen hervorragend als Einstieg in einen Abend im Wirtsgarten. Dazu passt dann auch der "Saustall", vulgo Schweinsbraten, der täglich frisch gemacht ist und den es deshalb auch nur so lange gibt, bis er halt aus ist. Natürlich wissen die Höflers, die vorher schon das Schillerbräu in der Schillerstraße gemeinsam führten, dass der Schweinsbraten der Gradmesser schlechthin für die Qualität eines Wirtshauses ist. Und deshalb kommt er bei ihnen zwar "von der bayerischen Alpenlandsau mit Dunkelbiersoße, Erdäpfelknödel und hausgemachtem Specksalat", ansonsten aber ist er kerzengerade das, was er sein soll: ein reiner Genuss ohne viel Chichi und Trara für faire 14,85 Euro.
Nicht ganz so zufrieden war Sturm mit dem Münchner Schnitzel (17,95) mit Bratkartoffeln, das zwar völlig korrekt mit Meerrettich und Senf eingecremt worden war, dessen Brezn-Panade allerdings etwas zu üppig daherkam. Ganz hervorragend hingegen das "Rindvieh" (24,95), ein erstklassiger Zwiebelrostbraten, bei dem die Zwiebeln erfreulicherweise schön weich in (vermutlich) Rotwein geschmort waren und sich hervorragend mit der Dunkelbier-Zwiebel-Marmelade ergänzten. Normalerweise kippt der bayerische Koch ja einfach eine Handvoll handelsüblicher Röstzwiebeln aus dem großen Plastikeimer übers Fleisch, die geschmacklich an frittierte Bierfilzl erinnern. Im Alten Markt sieht man, dass es anders geht und es dann gleich viel, viel besser schmeckt.
Newsletter abonnieren:Satt und Glücklich
Jeden Freitag die Restaurant-, Bar- und Café-Tipps für München - sowie alle wichtigen Gastro-News der Stadt. Kostenlos anmelden.
Löblich hervorzuheben auch: Es gibt gleich vier vegetarische Gerichte (13,75 bis 18,65), auch wenn es sich dabei um Abwandlungen von Rahmschwammerl, Kässpatzen und gebratenem Ziegenkäse handelt. Die sind aber immerhin einfallsreich abgewandelt. Sturms Begleitung bemängelte hingegen beim einzigen Fischgericht des Tages, einem Saiblingsfilet mit knusprig gebratener Haut in Kombination mit einer Garnele, serviert auf Bandnudeln: "Die Tagliatelle sind Fertigware." Hausgemacht wäre in diesem Fall besser gewesen, da halfen auch die Crémant-Krustentier-Sauce, der Blattspinat und der Safranschaum nichts. "Fisch ahoi" kostet nämlich immerhin 23,95 Euro. Mit dem Mittagsgericht Fischnudeln (18,95) verhielt es sich ähnlich, da handelte es sich schlicht um Penne rigate mit Stücken von Rotbarsch, Seelachs und Kabeljau, wenn wir nicht irren. Hier rechtfertigt der Wareneinsatz jedenfalls nicht den Preis.
Manchmal geht man im Alten Markt auch überambitioniert zu Werke. Zwar isst das Auge mit, aber bisweilen möchte man den Höflers sagen: "Leute, wenn ich was sehen will, gehe ich ins Kino und nicht zum Essen!" Besagter Zwiebelrostbraten etwa wird mit einem martialischen Hackmesser auf einem Teller serviert, der aussieht wie das untere Ende eines Spatens - vielleicht eine Anspielung auf die Biermarke des Hauses, die manche Münchner etwas abschätzig "Schaufelbräu" nennen? Und die durchaus köstliche Nachspeise "Papas Liebling" (8,65) versammelt auf einem Holzbrett einen Vanillelikörshot, dunkle Crème bavaroise mit Himbeersorbet und diversen anderen Beeren, Puderzucker und weiteren Dingen, was ein wenig überladen wirkt.
Meckern auf hohem Niveau, zugegeben. Das Gefühl der optischen Sättigung mag auch vom Blick ins Wirtshausinnere rühren. Der vollständig holzvertäfelte Gastraum - angeblich eine 400 Jahre alte Ratsherrenstube aus Südtirol, die mal hierher versetzt wurde - lässt an eine Skihütte denken, an Germknödel und Kaiserschmarrn. Aber bis zu den Winterfreuden ist es noch eine ganze Weile hin. Die Höflers nehmen jetzt erst mal ihren Sommerurlaub, vom 1. bis zum 15. August ist der Alte Markt deshalb geschlossen.
Restaurant Zum Alten Markt, Dreifaltigkeitsplatz 3, 80331 München, Telefon: 089/29 99 95, E-Mail: servus@zumaltenmarkt.com, Öffnungszeiten: Montag bis Samstag 12 bis 0 Uhr
Die SZ-Kostprobe
Die Restaurant-Kritik "Kostprobe" der Süddeutschen Zeitung hat eine lange Tradition: Seit 1975 erscheint sie wöchentlich im Lokalteil, seit einigen Jahren auch Online und mit einer Bewertungsskala. Etwa ein Dutzend kulinarisch bewanderter Redakteurinnen und Redakteure aus sämtlichen Ressorts - von München, Wissen bis zur Politik - schreiben im Wechsel über die Gastronomie in der Stadt. Die Auswahl ist unendlich, die bayerische Wirtschaft kommt genauso dran wie das griechische Fischlokal, die amerikanische Fastfood-Kette, der besondere Bratwurststand oder das mit Sternen dekorierte Gourmetlokal. Das Besondere an der SZ-Kostprobe: Die Autorinnen und Autoren schreiben unter Pseudonym, oft ist dies kulinarisch angehaucht. Sie gehen unerkannt etwa zwei- bis dreimal in das zu testende Lokal, je nachdem wie lange das von der Redaktion vorgegebene Budget reicht. Eiserne Grundregeln: hundert Tage Schonfrist, bis sich die Küche eines neuen Lokals eingearbeitet hat. Und: Nie bei der Arbeit als Restaurantkritiker erwischen lassen - um unbefangen Speis und Trank, Service und Atmosphäre beschreiben zu können.