Bei Tim Klusmann klingelt der Wecker nicht erst um 7 Uhr, sondern seit Neuestem auch schon kurz vor Mitternacht. Er darf auf keinen Fall auf dem Sofa einschlafen oder gar vor Mitternacht ins Bett gehen - nicht, wenn er mit den beiden Kindern drei Tage später ins Schyrenbad gehen will. Denn Punkt Mitternacht werden die Kontingente für diesen Tag freigeschaltet. Um eine der täglich ausgegebenen 1800 Karten für das Bad zu ergattern muss er schnell sein - und hoffen, dass der Server nicht wieder überlastet ist. "Gestern Abend habe ich 30 Minuten lang versucht, auf die Seite zu kommen", sagt Klusmann. "Völlig absurd" findet er dieses Prozedere und fragt: "Was machen denn Kinder, deren Eltern das nicht machen können oder wollen?"
Klusmann spricht damit ein Problem an, das gerade viele Münchner beschäftigt. Denn die Schwimmbadtickets sind derzeit heißer begehrt als Impftermine. Doch die Plätze in den sieben Freibädern sind wegen der Corona-Auflagen knapp: Statt der üblicherweise 30 000 Besucher täglich können nur knapp über 15 000 kommen. Und das auch nur nach vorheriger Anmeldung im Online-Buchungssystem, das derzeit für viel Frust sorgt. Unter anderem geht es dabei um die Uhrzeit, zu der die Tickets bislang für den nächsten buchbaren Tag freigeschaltet wurden. "Ich war vorgestern um vier Uhr nachts wach und habe versucht, für drei Tage später Tickets zu bekommen. Aber es war schon alles rot", erzählt eine Mutter von vier Kindern. Rot heißt: ausgebucht, alles dicht.
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Zudem lässt das Buchungssystem lediglich Reservierungen für drei Tage im Voraus zu - und dann auch nur für den gesamten Tag. Das bedeutet: Hat jemand einen Platz ergattert, blockiert er diesen über den gesamten Tag, unabhängig davon, ob er das Bad schon um 10 oder erst um 15 Uhr betritt. Das Schyrenbad in Giesing etwa ist am Mittwochvormittag so gut wie leer - trotzdem war es am Dienstagnachmittag nicht möglich, einen Platz für den nächsten Tag zu buchen. Und auch an vielen Nachmittagen ist die Besucherdichte in den Schwimmbädern wesentlich geringer als in den Biergärten. Tim Klusmann versteht die Gestaltung des Buchungssystems durch die Stadtwerke München (SWM) nicht. Es sei "völlig unsinnig, dass die Tickets für den ganzen Tag gelten und nicht für verschiedene Zeiträume. Mehrere Zeiträume über den Tag verteilt würden mehr Menschen die Möglichkeit geben, ins Schwimmbad zu gehen."
Bei den SWM ist der Ärger rund um die Buchungen bekannt. Und ja, sagen die beiden Bäderchefinnen Nicole Gargitter und Clara Kronberger, man nehme sich die vielen Beschwerden zu Herzen. So soll in einem ersten Schritt die Freischaltung der Termine nicht mehr um Mitternacht, sondern zur Mittagszeit erfolgen. Seit diesem Freitag ist die Ticketbuchung bereits mittags möglich. "Die Idee war, dass morgens alle dieselben Chancen haben, wenn wir die Kontingente um Mitternacht freischalten", erklärt Gargitter - und gibt zu: "Die Zeit war offensichtlich nicht gut gewählt." Durch die neue Regelung sollen insbesondere Familien einfacher Zugang bekommen. Doch das Kernproblem wird dadurch natürlich nicht behoben: Es gibt zu wenig Platz für zu viele Badebegeisterte.
Grundlage für die Beschränkung der Besucherzahlen ist die Bayerische Infektionsschutzmaßnahmenverordnung, die für Freizeiteinrichtungen klare Vorgaben macht. Für die Münchner Freibäder bedeutet das laut Gargitter und Kronberger: ein Gast auf zehn Quadratmetern Badfläche. Eigenmächtig die Kapazitäten zu erhöhen, sei also nicht möglich, sagen die Bäderchefinnen. Und auch die übrigen Lösungsansätze, die dazu beitragen könnten, mehr Menschen den Eintritt in die Freibäder zu ermöglichen, sind laut den beiden Bäderchefinnen schwierig umzusetzen. So sei es etwa kaum möglich, vorgegebene Zeitfenster zu vergeben. Denn anders als in den Hallenbädern gibt es in den Freibädern keine Möglichkeit, zu überprüfen, wann jemand das Gelände betritt oder verlässt - da sei Schummelei leicht möglich, sagen Gargitter und Kronberger. Dennoch prüfen die SWM laut einer Mitteilung vom Freitagvormittag im Moment, wie sie "tagsüber noch häufiger Tickets nachschieben können, sodass mehr Gäste spontan unsere Freibäder besuchen können". Im Dantebad, im Schyrenbad und im Prinzregentenbad sollen in der kommenden Woche zusätzliche Zeitfenster für Frühschwimmer eingeführt werden.
Immerhin gibt es mittlerweile Lichtschranken an den Zugängen zu den Freibädern, die das Besucheraufkommen messen. Bietet das Bad noch Platz für Besucher, obwohl es online als ausgebucht gilt, können wieder Kontingente freigeschaltet werden. Zudem sind seit dieser Freibadsaison Stornierungen über einen Link am Ende der Reservierungsbestätigung möglich. Doch auch diese zusätzlichen Plätze sind meist schnell wieder vergriffen.
Auch im Rathaus befasst man sich mittlerweile mit der Buchungsproblematik in den Freibädern. "Man hat gemerkt, dass es an der konkreten Umsetzung an manchen Stellen hakt", sagt Stadtrat Dominik Krause von den Grünen. Nichtsdestotrotz müsse man aber auch festhalten, "dass sich die SWM große Mühe geben, ein System zu finden", das möglichst vielen Menschen den Gang ins Schwimmbad ermöglicht. Vor allem Familien mit Kindern seien hier besonders zu berücksichtigen. Krause hofft, dass sich deren Situation durch die Änderung der Uhrzeit, zu der die Reservierungen auf dem Online-Portal freigeschaltet werden, verbessert.
Ein weiterer Ansatz könnte laut Krause sein, ein Teilkontingent für Kinder zu reservieren, um jenen, die während der Krise besonders zu leiden hatten, wenigstens ein paar Sommertage im Freibad zu ermöglichen. Bei den SWM sieht man dieses Vorhaben jedoch kritisch. "Uns sind Kinder sehr wichtig, wenn wir jedoch eine bestimmte Gruppe bevorzugen, wäre es schwierig, den Fairness-Gedanken umzusetzen, wonach alle einen gleichberechtigten Zugang zu unseren Bädern bekommen sollten", gibt Co-Bäderchefin Clara Kronberger zu bedenken.
Auch in der CSU, der größten Oppositionspartei im Stadtrat, gibt es Unmut über die derzeitige Lage in den Freibädern. "Die Situation ist sehr unbefriedigend", sagt der Fraktionsvorsitzende Manuel Pretzl. Es sei gut, dass die Freischaltung der Kontingente nun zur Mittagszeit erfolge. Doch am meisten stört sich Pretzl daran, dass nur bedingt neue Plätze freigegeben werden, nachdem ein Gast das Bad verlassen hat. "Für mich ist klar: wenn einer rausgeht, muss jemand Neues hineingelassen werden", sagt er. Zudem fragt sich Pretzl, ob alle Kapazitäten ausgeschöpft wurden. Denn die Corona-Infektionen, die nachweislich in Freibädern stattgefunden haben, würden gegen null tendieren. "Ich finde, da kann man schon auch darüber nachdenken, ob die aktuellen Vorschriften für Freizeiteinrichtungen unter freiem Himmel nicht ein bisschen gelockert werden könnten", sagt Pretzl.
Solange die Situation in den Freibädern angespannt ist, empfehlen Nicole Gargitter und Clara Kronberger ihren Gästen, sich nicht auf ein Bad zu fokussieren, sondern es auch mal spontan woanders zu probieren. In großen Bädern wie dem West- oder Michaelibad seien die Chancen oft größer als in kleinen. Tim Klusmann hilft das wenig. "Mit gepackter Tasche vorm Schwimmbad zu stehen und dann doch nicht reinzukommen, das ist doch für die Kinder extrem frustrierend."