Sturmtief:"Sabine" bringt den Alltag vieler Münchner durcheinander

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Ordnung und Unordnung: In Schwabing sicherten Wirte ihre Schirme und Stühle mit Ketten. (Foto: Robert Haas)

Schulen bleiben geschlossen, zahlreiche Züge und Flüge fallen aus, und selbst die Friedhöfe und der Zoo greifen zu Vorsichtsmaßnahmen. Wie sinnvoll das ist, zeigt sich am Morgen in Schwabing.

Von Thomas Anlauf, Julian Hans und Kassian Stroh, München

Es ist fast windstill, als die Feuerwehr am Montagmorgen mit zwei Einsatzfahrzeugen in die Karl-Theodor-Straße im Schwabinger Westen einbiegt. Am Himmel verblasst gerade das Morgenrot, ein paar Fußgänger gehen zur U-Bahn, die Straßen wirken so leer und friedlich wie an einem Sonntagmorgen. Man würde nicht glauben, dass für München eine Orkanwarnung gilt, läge da nicht dieser Baum quer über die Fahrbahn.

Sein efeubewachsener Stamm hat eine Gartenmauer umgerissen und eine Laterne so geknickt, dass der BMW, den die Einsatzkräfte jetzt darunter befreien, nur eine leichte Beule abbekommen hat. Zwölf Mann sägen und hebeln und räumen die Trümmer der Mauer vom Radweg. Passanten machen Fotos, einer schüttelt den Kopf: Eigentlich ist nicht sehr windig, aber diese eine Böe sei durch den Straßenzug gerauscht "wie durch eine Turbine".

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Immerhin ist der Besuch der Feuerwehr eine willkommene Abwechslung für die Kinder, die jetzt ringsum an den Fenstern und in den Hauseingängen stehen. Keine zehn Schritte von der Stelle entfernt, an der gegen halb acht der Baum umfiel, steht jeden Morgen ein Verkehrshelfer und lotst die Kinder über die Kreuzung. Heute ist der freundliche ältere Herr in seiner Warnweste nicht erschienen. Dass die Schulen geschlossen bleiben, nicht aber die Kindergärten, hatte die Stadtschulrätin Beatrix Zurek damit begründet, dass Kindergartenkinder von ihren Eltern gebracht werden, die meisten Schüler aber schon ohne Begleitung zur Schule gehen. Hier, an der Kreuzung zur Moltkestraße, wo genau zur morgendlichen Schulwegzeit ein Baum auf den Gehweg fiel, hat sich gezeigt, dass das eine glückliche Entscheidung war.

Die Eltern der 160 000 Schüler in der Landeshauptstadt hat diese Entscheidung allerdings am Sonntagabend ziemlich überrascht. Vor allem die der etwa 43 000 Grundschüler, die noch zu klein sind, um sie zuhause allein zu lassen. In der Grundschule an der Simmernstraße, zu der der Schulweg an dem umgestürzten Baum vorbei führt, steht kurz vor acht eine Mutter mit ihrem Sohn an der Hand. "Wir haben gestern so spät davon erfahren, ich konnte so schnell keine Betreuung mehr organisieren", klagt sie. Natürlich darf der Junge bleiben. Es findet nur kein Unterricht statt, und es sind auch sonst fast keine Kinder da. Ein Tag ganz allein mit den Lehrern - Schülerträume werden wahr.

In den allermeisten Fällen haben die Informationsketten offenbar gut funktioniert - und die Münchner Arbeitgeber hatten Verständnis und ihren Angestellten erlaubt, zuhause zu arbeiten oder die Kinder mit ins Büro zu nehmen. "Es ist ruhig geblieben", sagt Katharina Rieger, die Sprecherin des Bildungsreferats. "Die Eltern haben es offenbar alle noch rechtzeitig erfahren." Obwohl die Entscheidung spät fiel und an einem Wochenende. Er habe kurz nach 21 Uhr die Elternvertreter informiert, dass kein Unterricht stattfindet, sagt Michael Hoderlein-Rein, der Leiter der Grundschule Berg am Laim. "Es standen nur ganz wenige Kinder morgens vor der Tür". Drei Kinder aus der Deutschklasse seien gekommen, also Kinder aus Flüchtlingsfamilien, deren Eltern vielleicht kein Radio gehört oder die E-Mail und Chat-Nachrichten mit der Information nicht verstanden haben. Als sie dann vor Ort erfuhren, dass der Unterricht ausfällt, haben sie ihre Kinder wieder mitgenommen.

In der Karl-Theodor-Straße fiel ein Baum um - keine zehn Schritte von der Stelle, wo sonst ein Schulweghelfer Kinder über die Straße lotst. (Foto: Julian Hans)

"Für uns war das kein verlorener Tag", sagt der Schulleiter. Er hat ihn genutzt, um mit dem Kollegium zu frühstücken, die Zeit bis zu den Faschingsferien zu besprechen und die Neuanmeldungen zu organisieren, die danach starten. Und der Raum mit den Lehrmitteln ist jetzt auch wieder aufgeräumt. Erzieher und Sozialarbeiter sind wie immer bis 18 Uhr dageblieben, falls doch noch Eltern ihre Kinder in die Nachmittagsbetreuung bringen. Hoderlein-Rein kann dem Orkantag also auch etwas Positives abgewinnen: "Wir haben unseren Notfallplan getestet und gesehen: Es funktioniert alles einwandfrei."

Ganz einwandfrei lief es bei den Verkehrsbetrieben nicht. Die Bahn stellte kurz vor acht Uhr den Betrieb der S-Bahn bis auf einen Pendelverkehr auf der Stammstrecke komplett ein und nahm ihn erst gegen 14 Uhr nach und nach wieder auf. Einige Bäume mussten da noch von Oberleitungen und Schienen geräumt werden. Für Arbeitnehmer war es da schon zu spät, um ins Büro zu fahren. MAN hatte seine 9000 Mitarbeiter schon am Vorabend gebeten, zu Hause zu bleiben. "Früh- und Spätschicht wurden ausgesetzt", teilt ein Firmensprecher auf Anfrage mit. Er selbst arbeite im Home Office. Bei BMW nutzten einige Tausend Mitarbeiter die Option zur "Mobilarbeit", erklärte eine Sprecherin. Wie viele am Montag davon Gebrauch gemacht hätten, lasse sich nicht beziffern. Letztlich sei es dem Unternehmen aber lieber, jemand arbeite zu Hause, als wenn er Stunden auf eine kaputte S-Bahn warte.

Auch am Münchner Flughafen gab es Probleme, am Montag wurden etwa 630 von 1050 Flügen annulliert. Wegen des Sturms wurden keine Maschinen mehr be- oder entladen, am Vormittag kam der Betrieb zum Erliegen.

Polizei und Feuerwehr hatten Hunderte Einsätze, unter anderem wegen eines fortgewehten Wohnwagens. (Foto: Matthias Balk/dpa)

Der Abfallwirtschaftsbetrieb München (AWM) stellte seinen Betrieb ebenfalls ein, die Wertstoffhöfe blieben geschlossen und Mülltonnen wurde nicht abgeholt. "Die Abfall- und Wertstofftonnen können von den Orkanböen erfasst und damit zu gefährlichen Geschossen werden, erklärte Sabine Schulz-Hammerl, Zweite Werkleiterin des AWM. Das gleiche gelte für umherfliegende Abfälle und Sperrmüll auf den Höfen. Der AWM werde die Leerungen nachholen.

Für die Rettungskräfte und für die Polizei war der Tag mit Sabine dafür um so anstrengender. Bis zum frühen Abend musste die Feuerwehr mehr als 230 Mal ausrücken. Es waren vor allem umgestürzte Bäume, die den Helfern zu schaffen machten. Ernsthaft verletzt wurde niemand. Die Polizei fuhr etwa 100 sturmbedingte Einsätze.

Die Friedhöfe hatten vorsorglich Beisetzungen und Trauerfeiern abgesagt und auch die Bayerische Schlösserverwaltung schloss ihre Parks. Der Tierpark Hellabrunn ging sogar noch weiter: Die Tiere seien in die Tierhäuser geholt worden, sagte Sprecherin Lena Pirzer. Zum einen diene das dem Schutz der Tiere vor herumfliegenden Ästen. Ein umgestürzter Baum könne aber auch Löwen, Tigern und Eisbären als Brücke dienen, auf der die Raubtiere aus dem Gehege gelangen könnten.

© SZ vom 11.02.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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