Antrag im Stadtrat:Die SPD fordert einen Zukunftsbericht

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Auf glückliche Fügungen wollen sich die Münchner SPD-Stadträte nicht verlassen. (Foto: Imago)
  • SPD-Stadträte wünschen sich, dass Zukunftsszenarien in der Politik eine größere Rolle spielen.
  • Thematisch soll es dabei sehr breit zugehen, neben Demografie und Mobilität etwa auch kommunale Finanzkraft, Katastrophenschutz oder Gesundheit.
  • In eine Diskussion sollen alle Akteure eingebunden werden.

Von Kathrin Aldenhoff

Die Zukunft ist immer da. Sie wird diskutiert, vermessen und in Pläne gepresst. Zum Beispiel plant München im Moment U-Bahn-Strecken, auf denen erst in 15, 20 oder gar 30 Jahren Züge fahren werden. Das sei sinnvoll, sagt Stadträtin Anne Hübner von der SPD. "Aber wer weiß, ob man sich dann noch so fortbewegt? Vielleicht wurden bis dahin schon neue Transportmechanismen entwickelt." An der Technischen Universität (TU) zum Beispiel forschen sie seit einiger Zeit an Kapseln, in denen Menschen beinahe mit Schallgeschwindigkeit durch Tunnel geschossen werden und so in kürzester Zeit von München nach Berlin reisen könnten.

Anne Hübner und andere SPD-Stadträte wünschen sich, dass Zukunftsszenarien in der Politik eine größere Rolle spielen. Dass die Politik langfristig kluge Entscheidungen trifft, über mehrere Amtsperioden hinweg plant. Im Stadtrat stellte die SPD-Fraktion nun einen Antrag auf einen regelmäßigen Zukunftsbericht. Der soll "die größten langfristigen Chancen und Herausforderungen für eine lebenswerte und erfolgreiche Zukunft Münchens" beschreiben, wie es im Antrag heißt. Der Bericht soll eine Reihe von Szenarien skizzieren, die auf die Stadt zukommen und das Leben in ihr verändern könnten. Und Maßnahmen aufzeigen, die notwendig sind, um die Entwicklungen zu bewältigen.

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Hübner glaubt, dass man politische Entscheidungen mit so einem Zukunftsbericht auch besser vermitteln kann. "Man muss ja immer erklären, warum man schon jetzt in etwas investiert, was erst in 30 oder 40 Jahren eintreten wird." Die Stadträtin stellt sich vor, die vielen klugen Köpfe, die es in München zum Beispiel in den Forschungsinstituten und Universitäten gebe, an einen Tisch zu holen, ihre Ideen anzuhören. "Viele wissenschaftliche Erkenntnisse finden im normalen Alltag kaum Gehör. Das ist ein Weg, ihnen Gehör zu verschaffen."

Ein Beispiel nennt Hübner auch: In München leben immer mehr sehr alte Menschen. Schon jetzt mangelt es an Pflegekräften. Und so rasant, wie sich die Mietpreise derzeit entwickeln, ist unklar, wer es sich in ein paar Jahren überhaupt noch leisten kann, in der Stadt zu wohnen und zu arbeiten - und sich um die Seniorinnen und Senioren zu kümmern. "Schon jetzt ist der Fachkräftemangel ein Thema. Wir müssen uns fragen: Wie können wir dafür sorgen, dass dann noch jemand da ist?" Mithilfe eines Zukunftsberichts könnten Fragen identifiziert werden, denen die Politik nachgehen sollte. Thematisch soll es nach dem Willen der SPD dabei sehr breit zugehen, neben Demografie und Mobilität etwa auch kommunale Finanzkraft, Katastrophenschutz oder Gesundheit.

Einen Blick in die Glaskugel kann aber auch ein solcher Bericht nicht liefern. "Wir können nicht die Zukunft vorhersagen", sagt Simone Kimpeler vom Fraunhofer-Institut für System- und Innovationsforschung. Sie leitet dort seit sechs Jahren das Competence Center Foresight, das Kompetenzzentrum für Vorausschau also, und entwirft gemeinsam mit Unternehmen, Politik oder Organisationen für deren Handlungsfelder Zukunftsszenarien.

Eine Prognose über das Leben in ein paar Jahren oder Jahrzehnten ist also schwierig. Was die Zukunftsforschung aber leisten kann: "Wir können die gesellschaftlichen Akteure darin bestärken, mit der Unsicherheit umzugehen. Mithilfe unserer Szenario-Prozesse wird der Möglichkeitsraum sichtbar, in dem sich die Zukunft entfalten wird. Und wir können zeigen, welche Gestaltungsmöglichkeiten es gibt und wo die Grenzen liegen."

Mit verschiedenen Methoden, etwa mit Experteninterviews und Datenanalysen, die auf Algorithmen basieren, werden unterschiedliche Entwicklungen wie der gesellschaftliche Wandel, neue Technologien, der demografische Wandel und das sich ändernde Konsumverhalten untersucht und zusammengebracht. Denn wichtig seien die Wechselwirkungen von technischen und gesellschaftlichen Veränderungen. "Unternehmen verstehen oft sehr gut die technische Seite, aber weniger die gesellschaftliche", sagt Simone Kimpeler. "Sie wollen zum Beispiel wissen: Der Trend zum Tauschen und Teilen, verändert der wirklich unseren Markt?"

Für die Politik sei es sehr wichtig, sich mit ihrem Handlungsspielraum und mit ihren zukünftigen Handlungsmöglichkeiten zu beschäftigen, sagt Kimpeler. "Darin unterstützen wir die Politik." Besonders bei langfristigen politischen Maßnahmen oder Projekten über einen Zeitraum von 15 Jahren und länger änderten sich währenddessen auch die Rahmenbedingungen. Und das muss mitgedacht werden. Es gehe darum, die zukünftigen Bedarfe in der Gesellschaft in den Blick zu nehmen. "Dafür ist es wichtig, unterschiedliche Akteure einzubeziehen", sagt Kimpeler. "Die Politik ist gut beraten, sehr früh durch Beteiligungsprozesse die Erwartungen und Ideen von Bürgern abzuholen."

Das bedeute dann nicht, dass die Bürger am Ende entscheiden - sondern dass sie ihre Perspektive einbringen können: die von jungen Leuten, von Älteren, von Anwohnern, der Industrie, von Gründern, Forschern und Dienstleistern. Der Vorteil: Menschen erkennen ihre Handlungsmöglichkeiten besser, sagt Kimpeler. "Sie fühlen sich weniger übergangen, wenn sie ihre Wünsche und Erwartungen gezielt einspeisen können. Und sie tragen dann oft mit sehr guten Ideen zu Lösungen bei."

Eine ähnliche Wirkung stellt sich auch SPD-Stadträtin Hübner vor. Die Münchner sollen einbezogen, die Zukunftsszenarien ausgestellt und diskutiert werden. So wie vor ein paar Jahren, als das Fraunhofer-Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation im Auftrag der Stadt die Zukunftsschau München 2040+ erstellt hat. Damals gab es Werkstattgespräche zu verschiedenen Themen, zum autonomen Fahren etwa und zur Frage, ob Wohlfahrt ohne Wachstum möglich ist. Anne Hübner hofft, dass die Münchnerinnen und Münchner dann zum Beispiel merken, dass die Fachkräfte, die ihre Kinder betreuen und ihre Eltern pflegen, günstigen Wohnraum brauchen. Und vielleicht steige dann ja die Akzeptanz für große Bauprojekte.

© SZ vom 19.02.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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