Was soll er denn noch tun, damit man ihm glaubt, fragt Abdulai B.? Dass er in seiner alten Heimat gepeinigt wurde, ihm Menschen den Tod androhten, er mit Steinen beworfen wurde - weil er schwul ist. 2016 hielt Abdulai B. es nicht mehr aus in Sierra Leone, die physische und psychische Gewalt gegen den heute 24-Jährigen in Freetown ließen ihm keine andere Wahl. Er flüchtete, ohne Plan, durch mehrere westafrikanische Länder, strandete schließlich in Libyen und schaffte es mit einem Boot nach Italien. Am 28. Dezember 2016 kam Abdulai B. in München an. Er hatte gehofft, hier ein Leben führen zu können ohne Angst. Abdulai B. wollte Krankenpfleger werden. Doch bislang darf er nicht mal eine Ausbildung machen.
Wenn der junge Mann erzählt, gerät er manchmal ins Stocken. Sein Blick ist ernst und starr, hin und wieder stottert er leicht. Es ist schwierig für ihn, über all die vergangenen Jahre zu sprechen. Nicht nur über die Zeit des Martyriums, als er in Sierra Leone "die Identität verbergen musste". In dem westafrikanischen Land steht Sexualität zwischen Männern unter Strafe. Abdulai B., der seinen vollen Namen nicht nennen will aus Angst vor weiteren Verfolgungen, flüchtete nach Deutschland, weil er gehofft hatte, "dass ich hier so sein kann wie ich bin - aber ich kann es nicht".
Der 24-Jährige lebt in einer Unterkunft, beengt mit vielen anderen geflüchteten Männern zusammen, die seine Homosexualität nicht akzeptieren wollen und ihn drangsalieren. 2017 fand er schließlich Hilfe im Schwulenzentrum Sub an der Müllerstraße. Dort kann er offen über seine Probleme und Nöte sprechen.
In den Gesprächen mit der Ausländerbehörde habe man ihm gesagt, dass man ihm seine Homosexualität nicht glaube - und dass er deshalb kein Asyl in Deutschland bekomme. "Zum Thema Asyl für Homosexuelle in Sierra Leone besteht leider aktuell keine Bereitschaft der Gerichte in Bayern, das Leid dieser Menschen dort anzuerkennen", sagt Abdulai B.s Anwältin Ronja Corell.
Mit Pass droht die Abschiebung - doch ohne Pass gibt es keine Arbeitserlaubnis
Trotzdem lernte er schnell Deutsch und ging zur Schule. Längst hat Abdulai B. den Mittelschulabschluss und würde gerne eine Ausbildung zum Krankenpfleger beginnen. Er hatte sogar schon einen Ausbildungsplatz, doch den konnte er nicht antreten, weil er - wie viele Geflüchtete aus dem westafrikanischen Land - keinen Pass hat. Ein Teufelskreis: Hätte Abdulai B. einen Ausweis, dann wäre er wohl schon längst aus Deutschland abgeschoben worden, befürchtet seine Anwältin Ronja Corell. Ohne Pass könne er zwar nicht des Landes verwiesen werden, aber so erhält er auch keine Arbeitserlaubnis. Dabei hätte die Ausländerbehörde einen Ermessensspielraum, so Corell.
Im Oktober des vergangenen Jahres war Abdulai B. - wie viele andere Menschen aus Sierra Leone - in München vorgeladen, um seine Identität zu klären. Dazu war eigens eine Botschaftsdelegation aus Sierra Leone angereist, die Befragungen fanden in einem Gebäude der Regierung von Oberbayern an der Hofmannstraße statt. "Das war ein Novum", sagt die Anwältin. Sonst fänden derartige Identitätsprüfungen in den Räumen der entsprechenden Botschaften statt. Sie fordert nun für Abdulai B., dass er eine Arbeitserlaubnis erhält, nachdem er sich dem Prozedere unterworfen hat. Doch seit Monaten warten er und viele andere Geflüchtete aus Sierra Leone auf Bescheide, ob sie nun bleiben und arbeiten dürfen oder nicht.
Deshalb demonstrieren seit Herbst Dutzende Menschen in einem Protestcamp gegen Abschiebung und für eine Arbeitserlaubnis in Deutschland. Auch Abdulai B. war zeitweise unter den Protestierenden, die vor dem sogenannten Ankunftszentrum der Regierung an der Hofmannstraße Tag und Nacht ausharrten. Sie zogen schließlich an den Odeonsplatz und zuletzt an den Königsplatz weiter. Dort halfen ihnen dann Mitarbeiter der Caritas mit einem Informationsbus, in dem sich die Menschen auch aufwärmen konnten. Mittlerweile müssen sie auch nicht mehr auf der Straße schlafen, sondern können im städtischen Übernachtungsschutz unterkommen und tagsüber kostenlos Essen, etwa in St. Bonifaz, erhalten.
Abdulai B. hat unterdessen erneut ein Praktikum in der Pflege abgeschlossen. Bis zum Herbst, wenn das neue Ausbildungsjahr startet, hofft er, dass er doch noch eine Erlaubnis dafür bekommt. Und wenn er bis dahin nur als Pflegehilfskraft arbeiten kann. "Seit fünf Jahren warte ich darauf, dass etwas passiert", sagt der 24-Jährige. "Ich möchte mich wirklich gerne um ältere Menschen kümmern, aber man lässt mich nicht. Das ist frustrierend." In einem Pflege- oder Altenheim würde seine Hilfe dringend gebraucht.