Philharmonie in Sendling:Zukunft in greifbarer Nähe

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Gasteig, Sendling, Interim

Das Rendering zeigt, wie sie dann, hoffentlich voll besetzt, aussehen soll, die Sendlinger Philharmonie.

(Foto: GMP International GmbH)

Die Münchner Philharmoniker sehen den Umzug vom Gasteig ins Sendlinger Interimsquartier als Chance und als Aufbruch zu neuen Möglichkeiten, klassische Musik zeitgemäß zu vermitteln.

Von Egbert Tholl

Hannah freut sich über Besuch. Hannah ist der Baustellenhund, weiß, wuschelig und sehr freundlich. Wenn alle Sendlinger die Menschen im Interim-Gasteig so begrüßen, dann wird dieser ein Riesenerfolg. Man wolle, so Paul Müller, Intendant der Münchner Philharmoniker, nicht wie ein Ufo hier im Viertel landen. Deswegen mache man mit den Musikerinnen und Musikern Spaziergänge zur Erkundung der Gegend, deshalb werde noch im Juli an 13 verschiedenen Orten in Sendling Musik gemacht werden.

Zu ihrem 125. Geburtstag machten die Münchner Philharmoniker so etwas mit enormem Erfolg und begeisterter Anteilnahme der Musikerinnen und Musiker in Haidhausen. Denn: "Das hier ist unser Baby." Sagt Paul Müller und meint damit mehr als die Sendlinger Philharmonie, er meint das ganze Areal. Und noch einer hat es zu seinem Baby erklärt, Andreas Schmidt, der Baustellenleiter, der mit entspannter Souveränität dafür sorgt, dass alles exakt im Kosten- und Zeitplan ist und am 8. Oktober der Interim-Gasteig eröffnet wird.

Müller und sein engster Mitarbeiter Christian Beuke wollen sich beim Pressegespräch auf der Baustelle gar nicht lange damit aufhalten, alle Probleme zu wälzen, die der Umzug mit sich bringt, wären da: die Parkplätze, die öffentliche Verkehrsanbindung, das Jonglieren mit den Aboreihen - die Philharmonie im Gasteig hat 2400 Plätze, die Sendlinger 1800, aber jeder, der ein Abo möchte, kriegt auch eines.

Vielmehr betonen beide den Umzug, die vermutlich fünf Jahre der Bespielung des neuen Areals, als Chance. Vor einem Jahr begannen sie, mittels Arbeitsgruppen im Orchester einen Zukunftskatalog zu erstellen. Der enthält inzwischen 97 Maßnahmen, von denen vielleicht nicht jede umgesetzt werden kann, viele aber wohl doch. So dächte man über Lichtinszenierungen nach, im Saal und vor allem auf dem ganzen Gelände, das ja so prächtig am Isarkanal liegt. Man wolle den Kontakt zwischen dem Orchester und seinem Publikum intensivieren und die Künstlerinnen und Künstler könnten selbst Einführungen geben. Vielleicht kann man sich dereinst sogar vom Frack als steifer Arbeitskleidung verabschieden.

Gasteig Philharmonie Interim

Der Blick auf die Bühne der Philharmonie wie er sich vor wenigen Tagen darstellte. Im Vordergrund die Halterungen für die Stühle.

(Foto: Susanne Hermanski)

Man plant Kooperationen mit der Muffathalle und deren Leiter Dietmar Lupfer, "Mphil Heat", ein 24-Stunden-Festival, fragt auch mal beim umtriebigen Brüderpaar Hahn nach - das sind die, die schon mal ein Schiff auf eine Brücke in der Stadt stellen. Gunter Pretzel, bis zur Pensionierung Bratscher bei den Philharmonikern, schrieb ein Stück für eine im Raum inszenierte Aufführung. Es gebe so viele Akzente aus dem Orchester selbst, die zeigten, wie viel Schwung dort gerade herrsche, um in neue künstlerische Bereiche aufzubrechen. Auf dem Gelände werden insgesamt, mit dem Saal der Musikhochschule, dem bespielbaren Foyer, weiteren kleineren Sälen und der neu entstehenden Black Box Sendling sechs Räume, Säle, Spielorte zur Verfügung stehen, an und in denen man Musik machen kann.

Das Publikum solle angelockt, aber nicht mit Stromschlägen traktiert werden, so Müller. Das heißt letztlich eine Erweiterung des Kerngeschäfts mit neuen Formaten um dieses herum. Im Zuge dieser Erweiterung kommt dann auch Matthias Lilienthal ins Spiel. Mit dem einstigen Intendanten der Münchner Kammerspiele habe er, so Paul Müller, intensive Gespräche geführt, wie man die Philharmonie öffnen könnte. Der Gasteig war ja stets als Trutzburg verschrieen, jetzt sollen die Zugbrücken dauerhaft unten sein. Als eine erste Frucht dieser Inspiration wird Christoph Marthaler mit 15 bis 20 Philharmonikern zur Eröffnung einen Abend über das Beginnen entwerfen.

Gasteig Philharmonie Interim

Auf die Baustelle geht es nur mit Helm.

(Foto: Susanne Hermanski)

Nun sind Marthalers poetische Musikinszenierungen zwar nicht unbedingt etwas Brandneues, aber schön, und für die Philharmoniker ist der marthalerische Umgang mit Musik dann halt doch ungewohnt. Der Klangtüftler Renzo Vitale wird irgendwas zur Frage von Mobilität und Migration installieren, und das Mphil-360⁰-Festival soll künftig, also in Sendling, drei bis vier Mal im Jahr stattfinden. Geplant war eine Ausgabe mit Teodor Currentzis, aber der muss sich um seine beiden Orchester, SWR und Musica Aeterna, kümmern - in Zeiten der (Post-)Corona-Etats werden die Spielräume enger.

Überhaupt, die C-Frage. Bezüglich der Eröffnung des neuen Areals wird man da bei der detaillierten Programmpräsentation am 20. Mai vielleicht ein klein bisschen weiter sein. Heute gilt bereits das, was Paul Müller sagt: "Wir hätten diese Woche vor Publikum spielen können." Heißt akut, vor maximal 700 Zuhörern. Man könne mit Teststationen in der Nähe vom Gasteig kooperieren, zur Not auch selber testen, was ja für die Musikerinnen und Musiker schon seit Wochen gilt. Nur dürfen sollte man es halt können.

Ein Besuch auf der Baustelle

Das Ganze ist eine emotionale Angelegenheit. Wer das Privileg einer Baustellenführung über das Interimsgelände des Gasteigs und der Philharmonie genießt, der kann kaum anders als Glück zu empfinden. Dort unten in Sendling, am Kanal der Isar, wächst Gedeihliches. In einem Tempo, das man in dieser sonst wie eingefroren wirkenden Zeit nur bestaunen kann. Eine Stunde dort, schon stehen neue Säulen, liegen zusätzliche Betonschichten. Den überraschendsten Moment beschert der Blick in die Philharmonie, das größte der neuen Gebäude auf dem Areal. Von außen ein eher prosaischer grauer Kubus, vermittelt der Raum im Inneren - trotz aller noch nackten Streben, Stahlrohre und unverkleideten Wände und Böden eines: Wärme, ja Intimität. Darin stellt sich ein Wohlgefühl ein, das verheißt, was viele derzeit beinahe verloren haben, gerade in der geschundenen Kulturszene: Hoffnung.

Es ist die Hoffnung auf wunderbare Musikabende. Gemeinsam genossen, eingehüllt in eine herrliche Klangwolke. Denn dieser Saal aus Holz ist in den grauen Kubus aus Beton gehängt, als wäre er selbst ein Instrument in seinem maßangefertigten Kasten. Wie ein riesiges Cello vielleicht, in dessen Innerem man Platz nehmen darf. Noch steht kein Stuhl, noch liegt kein Parkett und trotzdem ist alles schon zum Greifen nah. Die geplante Eröffnung mit einem Festkonzert am 8. Oktober erscheint tatsächlich realistisch.

Dass davor noch ein langer Weg zurückzulegen sein wird, ist aber nicht minder klar. Spätestens wenn man den Weg ins geplante Foyer der Philharmonie zurücklegt. Denn das ist alles andere als ein gewöhnlicher Vorraum, in dem Karten abgeholt, Mäntel abgegeben und Sektgläschen geschlürft werden. Das Entree wird über die alte Trafohalle der Stadtwerke erfolgen. Und die verdient zu Recht ihren Denkmalstatus. Das alte Industriegebäude aus Backstein soll und wird das Herzstück dieses gesamten Ausweichquartiers werden. Ach was. Sie wird das pulsierende Zentrum eines neuen, beständigen Kulturareals für München werden. Wer sie einmal betreten hat, dem schwinden letzte Zweifel. Man kann schon jetzt deutlich erkennen: Sie bringt dazu die vorzüglichsten Voraussetzungen mit. Noch steht unter ihrem weiten Glasdach das komplexe Stangengewirr eines Baugerüsts. Doch wenn die Arbeiten an der Glasdecke einmal abgeschlossen sind, wird es entfernt und die "Halle E", so der Name für diese moderne Kathedrale der Kultur, freigegeben. Mit Platz für eine riesige, immer offene Bibliothek, Gastronomie und Kulturvermittlungsräume. Das wird ein Fest. Susanne Hermanski

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