S-Bahn-Stammstrecke in München:Weiterbauen unter strenger Aufsicht

Lesezeit: 3 min

Nach dem Krisengipfel: Ministerpräsident Markus Söder (vorn), Bayerns Verkehrsminister Christian Bernreiter (links) und Bahn-Vorstandschef Richard Lutz. (Foto: Sven Hoppe/dpa)

Jetzt ist es offiziell: Der neue S-Bahn-Tunnel quer durch München wird mehr als sieben Milliarden Euro kosten. Gebaut wird er trotzdem, darauf haben sich Bahn und Freistaat festgelegt - und der Landtag kommt als Kontrollinstanz hinzu.

Von Heiner Effern und Klaus Ott

Nach einem monatelangen politischen Gezerre und drei Jahren Funkstille in der Öffentlichkeit hat die Deutsche Bahn (DB) am Donnerstag in der bayerischen Staatskanzlei ihre offiziellen Berechnungen für den Bau der zweiten S-Bahn-Stammstrecke vorgelegt: Sieben Milliarden soll sie kosten und 2035 fertig werden, mit zwei Jahren Risikopuffer. So erklärte es Konzernchef Richard Lutz in einer Pressekonferenz mit Ministerpräsident Markus Söder und dem bayerischen Verkehrsminister Christian Bernreiter (beide CSU).

Der Freistaat wird mit 3,7 Milliarden Euro mehr als die Hälfte der Kosten tragen müssen. Trotzdem legte Ministerpräsident Markus Söder ein Bekenntnis für den neuen Tunnel ab. "Wir stehen zur zweiten Stammstrecke", sagte er. Diese sei "ein Jahrhundertbauwerk". Söder stellte einen direkten Bezug zur Aufbruchstimmung vor den Olympischen Sommerspielen 1972 her. Bayern und München stünden nun ebenfalls vor der Frage, ob "unsere Generation in der Lage ist, für die nächste Generation Entscheidungen zu treffen".

Newsletter abonnieren
:München heute

Neues aus München, Freizeit-Tipps und alles, was die Stadt bewegt im kostenlosen Newsletter - von Sonntag bis Freitag. Kostenlos anmelden.

Die Pendler im Großraum München sollen mit einer zusätzlichen Ertüchtigung der S-Bahn getröstet werden, die laut Bahn-Chef Lutz 1,5 Milliarden Euro kosten soll. 500 Millionen kommen von der Bahn direkt, die restliche Milliarde sei eine Mischfinanzierung, sagte er. Unter den von Verkehrsminister Bernreiter aufgezählten 20 Projekten sind die meisten bereits im Bau, in der Planung oder zumindest angekündigt. Sie seien nun vertraglich mit der Bahn vereinbart und mit Daten zur Fertigstellung hinterlegt, sagte Bernreiter. Fast alle dieser Vorhaben sollen in den kommenden Jahren oder spätestens bis 2030 abgeschlossen sein.

Zudem wurden in der Pressekonferenz von Seiten der Bahn und des Freistaats beschworen, was viele Menschen in den vergangenen Jahren vermisst haben dürften: "maximale Transparenz" und ein gemeinsames, partnerschaftliches Vorgehen. Im bayerischen Verkehrsministerium wird die Verantwortung für die Stammstrecke ebenso neu geordnet wie bei der Deutschen Bahn. Das Ziel auf beiden Seiten: weniger Reibungsverlust und bessere Kommunikation.

Dass die bisherige Geheimniskrämerei bei der Stammstrecke ein Ende haben muss, das fordern inzwischen nicht nur die Landtags-Oppositionsparteien Grüne, SPD und FDP. Auch die Freien Wähler als Koalitionspartner der CSU verlangen jetzt Transparenz. Mit bemerkenswerten Worten und einem bemerkenswerten Vorstoß. Dass die zweite Stammstrecke so viel später fertig und so viel teurer wird, löst bei den Freien Wählern "große Verbitterung" aus. So sagt das Florian Streibl, der Fraktionschef der Freien Wähler im Landtag.

Eine Milliarde hat der Freistaat schon ausgegeben

Für das Milliardenprojekt soll es künftig ein eigenes Kontrollgremium im Landtag geben, wie Streibl ankündigte. Und was Söder bestätigte; mit dem Hinweis, das sei eine Idee der Freien Wähler. Das bedeutet, dass die Staatsregierung und die Bahn regelmäßig zum Rapport in den Landtag kommen müssen, in eine eigens dafür eingerichtete Kommission.

Das CSU-geführte Verkehrsministerium ist seit zweieinhalb Jahren von eigens eingeschalteten Fachleuten immer wieder vor steigenden Kosten und viel längeren Bauzeiten gewarnt worden. Der Landtag hat davon aber nichts erfahren, was offenbar auch die Freien Wähler ärgert. Den Koalitionspartner brauchen Söder und die CSU aber, um die zweite Stammstrecke verwirklichen zu können.

Dass die auf dem Lande starken Freien Wähler kein großer Freund eines solch teuren Projekts in der Landeshauptstadt sind, weiß Söder. Deshalb ist er auch "dankbar", wie er sagt, dass der Koalitionspartner sich nicht querlegt. Sondern trotz der enormen Mehrkosten auch für den Freistaat zur zweiten Stammstrecke steht. 200 Millionen Euro im Jahr muss das Land voraussichtlich in den nächsten 13 bis 15 Jahren zahlen; eine Milliarde hat der Freistaat schon ausgegeben.

Nur mit Kuscheln wird es allerdings auch zwischen Bahn und dem Land Bayern nicht weitergehen. Der Freistaat werde künftig "ein strengerer Begleiter" sein, kündigte Söder an. Für die fachliche Einschätzung soll ein externes Team mit prominenten Fachleuten sorgen. Dass die Stimmung zumindest von außen gelöster wirkte als nach dem harten Ringen um die tatsächlichen Zahlen zu erwarten war, hatte womöglich mit einer kleinen Zahl zu tun, die am Donnerstag ebenfalls verkündet wurde. Der Nutzen-Kosten-Faktor liegt für die jetzt bekannt gegebene Bausumme bei 1,06. Was erstmal bürokratisch klingt, hat eine enorme Bedeutung für den bayerischen Haushalt. Denn nur solange die Nutzen die Kosten überwiegen, bezahlt der Bund 60 Prozent der sogenannten förderfähigen Kosten. Wäre das Verhältnis auf unter eins gesunken, hätte Bayern noch viel mehr bezahlen müssen.

MeinungS-Bahn-Desaster in München
:Geschenk für die Opposition

Macht Söders Regierung bei Bayerns größtem Verkehrsprojekt nicht endlich reinen Tisch, dann provoziert das geradezu einen Untersuchungsausschuss im Landtag. Und das dann ausgerechnet im Wahljahr.

Kommentar von Klaus Ott

Obwohl maximale Transparenz künftig eine feste Begleiterin und treue Freundin der zweiten Stammstrecke sein soll, blieben noch Unschärfen. Auf Nachfrage räumte Bahn-Chef Lutz ein, dass die zweite Stammstrecke doch 7,8 Milliarden Euro kosten werde. Die 800 Millionen Euro wären aber Ansätze, die bei der Bahn selbst abgerechnet würden, ein Posten "für Feinschmecker", wie Lutz sagte. Bei der Bauzeit will sich der Freistaat auch nicht auf 2035 festlegen. Man habe mit der Bahn auch über eine mögliche Beschleunigung des Stammstreckenbaus gesprochen, sagte Ministerpräsident Söder. Für ihn trete diese schon ein, wenn die Bahn wie angekündigt bis 2035 fertig werde. Verkehrsminister Bernreiter merkte an, dass der Freistaat bei seiner Einschätzung bleibe und erst 2037 mit fahrenden Zügen rechne.

Der Münchner Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) fehlte in der Runde, er wollte nicht zu einem Gespräch kommen, ohne vorher die Zahlen zu kennen. "Ernüchternd" kommentierte er die Zahlen aus der Ferne. Nun gehe es "bei aller Verärgerung über die zurückliegende mangelnde Kommunikation insbesondere der DB jetzt darum, nach vorne zu schauen". Söder zeigte Verständnis für den abwesenden Reiter, Bahnchef Lutz sicherte auch ihm "maximale Transparenz" zu. Ein Telefonat mit dem Oberbürgermeister am Dienstag habe er als "klares, angenehmes Gespräch" empfunden.

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

SZ PlusExklusivMünchner S-Bahn-Desaster
:Regierungs-Geheimsache zweite Stammstrecke

Die Deutsche Bahn warnte Bayerns Verkehrsministerium frühzeitig, das Milliardenprojekt könne sich um viele Jahre verzögern. Eine 32-seitige Präsentation enthielt viele Vorschläge für Gegenmaßnahmen. Doch das Dokument verschwand in der Schublade.

Von Heiner Effern und Klaus Ott

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: