Queer Film Festival München:"Es wird nach wie vor unglaublich wenig queerer Film hier gedreht"

Lesezeit: 4 min

Bernadette Huber ist seit 2017, also seit dem zweiten Queer Film Festival, Mitglied des Teams. (Foto: privat)

Am Dienstag startet das achte Queer Film Festival München. Organisatorin Bernadette Huber erklärt im Interview, warum es solche Veranstaltungen auch heute noch braucht - und welchen Film sie auf der großen Leinwand sehen möchte.

Interview von Max Fluder

Was braucht es, um ein Filmfest auf die Beine zu stellen? Zeit, sagt Bernadette Huber, sehr viel Zeit. Die selbstständige Filmemacherin und -editorin veranstaltet zusammen mit 13 anderen Ehrenamtlichen das 8. Queer Film Festival München (QFFM), das ausschließlich Filme der LGBTIQ-Community zeigt. Von und über Menschen also, die anders lieben als die Mehrheitsgesellschaft oder sich einem anderen Geschlecht zugehörig fühlen, als es ihnen bei der Geburt physisch zugewiesen wurde. Huber ist 40 Jahre alt, gebürtige Münchnerin und lesbisch. Für ein Gespräch über LGBTIQ im Film und das bevorstehende Festival erwischt man sie in ihrem Büro im Glockenbachviertel, der queeren Mitte Münchens. Das QFFM läuft vom 10. bis zum 15. Oktober.

SZ: In vielen Serien gibt es heute queere Menschen. Über den Charakter des schwulen besten Freundes werden Witze gerissen. Warum braucht es dann noch ein queeres Filmfestival?

Bernadette Huber: Was uns von kommerziellen Anbietern unterscheidet, ist, dass wir unabhängig sind von Klickzahlen oder Einschaltquoten und daher komplett frei in der Gestaltung unseres Festivals. Solange es nicht gegen städtische Auflagen verstößt, können wir zeigen, was wir wollen und für relevant halten. Die Stadt und unsere Förderer fragen nicht, welchen Film wir spielen. Wir müssen nur so wirtschaften, dass kein Minus entsteht. Zudem ist das Programm in den öffentlichen-rechtlichen Medien, im Privatfernsehen oder auf Streaming-Plattformen zwar vorhanden, es war bis vor Kurzem aber sehr dünn. Und größtenteils auch mit stereotypen Darstellungen behaftet.

Ihnen wird oft vorgehalten, nur deprimierende Indie-Produktionen zu zeigen.

Das stimmt nicht. Wir zeigen natürlich auch schöne, positive Filme. Aber die großen und bekannten Produktionen laufen ohnehin im Kino, die müssen wir nicht noch zeigen. Wir konzentrieren uns auf die Filme, die nicht ins Kino kommen, auf die man sonst gar nicht erst stößt. Wir wollen eine gute Mischung: ob Festival-Film oder ein solcher, der schon deswegen relevant ist, weil er cineastisch toll oder politisch wichtig ist.

München hat zwei queere Filmfestivals. Wie kommt das?

Seit einigen Jahren veranstaltet Salzgeber einen Monat vor uns das "Queer Filmfestival", allerdings bundesweit. Salzgeber, das ist der größte schwul-lesbische Filmverleih in Deutschland, und die zeigen dann auch nur Filme, die sie im Verleih haben. In den 2000er-Jahren gab es bereits etwas Vergleichbares, was dann aber beendet wurde. Diese Lücke füllten wir mit unserer Idee - und seit 2019 gibt es beide Festivals in München.

Nochmal zurück zum schwulen besten Freund, warum gibt es denn so wenig weibliche oder transsexuelle queere Charaktere in Film und Fernsehen?

Das hat viel mit Mut zu tun, denke ich. Und damit, dass die Filmschaffenden sich trauen müssen, solche Charaktere zu schreiben und zu besetzen. Auch die Hierarchien spielen eine Rolle, sowie das Alter und die Einstellungen derjenigen, die Entscheidungen treffen. Da verändern sich die Dinge gerade, aber das braucht sehr viel Zeit. Filme mit Themen wie Trans- oder Asexualität, die wir in unseren kuratierten Filmen jedes Jahr zeigen, werden dann hoffentlich auch häufiger in Deutschland gedreht.

Wie sieht diese Veränderung aus?

Nehmen wir die Bavaria Film. Für uns ist diese Produktionsfirma als Partner interessant, weil sie lokal sehr wichtig sind in der Herstellung von Fernseh- und Kinofilmen. Und somit die Filmlandschaft auch prägen. Sie besuchen auch unser Festival. Seit Kurzem haben sie eine Queer-Beauftragte, die extra auf uns zugekommen ist. In diesem großen Apparat sitzt jetzt also eine junge Person, deren Aufgabe es ist, queere Themen und Mitarbeitende zu vertreten.

Das Festival-Programm ist sehr weiblich, sehr trans und es ist sehr international. Deutsche Beiträge gibt es wenige. Warum ist das so?

Unser Langfilmprogramm war schon immer wenig deutsch. Dieses Jahr kommt hinzu, dass es wenig Filme aus dem deutschsprachigen Raum gab, die uns überhaupt interessiert haben. Es wird nach wie vor unglaublich wenig queerer Film hier gedreht. Das liegt auch an fehlender finanzieller Unterstützung.

Wie wurden die Filme ausgewählt?

Jedes Jahr sichten wir 150 bis 200 Filme, aus denen wir eine Auswahl treffen. In welchen Ländern die Filme produziert wurden, ist für uns erstmal zweitrangig. Wir schauen, welche Filme wir gut und interessant finden. Bei der näheren Auswahl stellen wir uns dann Fragen wie: Haben wir etwa Themen- oder Genre-Dopplungen? Oder: Gibt es eine Überpräsenz männlicher Regisseure und Themen? Wir haben den Anspruch, möglichst repräsentativ zu sein, was verschiedene Lebensrealitäten angeht. Auffällig war dieses Jahr die hohe Dichte an guten Dokumentarfilmen. Unseren Eröffnungsfilm "Kokomo City" über Schwarze trans Sexarbeiterinnen in den USA zum Beispiel, oder auch "Queendom" über Drag-Kunst in Russland.

Eine Szene aus "Kokomo City". (Foto: Magnolia Pictures)

Sie haben schon viele der Filme gesehen. Welchen möchten Sie nun auf der großen Leinwand sehen?

Eigentlich alle. Denn bei vielen Filmen ist das QFFM die einzige Chance, sie im Kino zu sehen. Toll finde ich den nigerianischen Film "All the Colors of the World Are Between Black and White", weil ich ihn politisch für sehr wichtig halte. Es ist eine Liebesgeschichte in einem Land, in dem Homosexualität geächtet ist und staatlich verfolgt wird. Und ich freue mich, dass wir zum ersten Mal einen "Artist in Focus" vorstellen: Jovana Reisinger, eine lokale Filmemacherin und Autorin. Wir zeigen ihr bisheriges filmisches Schaffen.

Die Festivaleröffnung findet am Dienstagabend in den Münchner Kammerspielen statt. Wie hat es das Kino ins Theater geschafft?

Der Kontakt kam über den "Habibi Kiosk" der Kammerspiele zustande. Ich war mit einem QFFM-Kollegen dort bei einer queeren Veranstaltung. Wir fanden das so toll, dass wir die Betreibenden des "Habibi Kiosks" angefragt haben, ob sie zu einer Kooperation mit uns bereit wären. Als Teil des Festivals läuft dort auch eine Ausstellung zu Nail-Art.

Was haben Fingernägel mit queerem Kino zu tun?

Alles hat mit Queerness zu tun - und jede Form von Kultur ist und soll auch queer sein. Den Wunsch nach dieser Ausstellung gibt es im Team schon länger, aber wir haben uns immer selbst ausgebremst, weil wir zunächst hinterfragt haben, was das denn nun mit Kino zu tun haben soll. Jetzt ziehen wir es durch. Denn unser Rahmenprogramm zum Festival soll auch andere Orte des Austauschs als nur das Kinofoyer bieten. Die Ausstellung besteht aus 80 Bildern. Ich hatte ja keine Ahnung, was Queer Nail-Art alles sein kann. Drag auf Nägeln, so würde ich es nennen.

Szene aus "All the Colours of the World". (Foto: Coccinelle Film Sales)

Früher fand die Festival-Eröffnung jahrelang in der Hochschule für Fernsehen und Film (HFF) statt. Was wurde daraus?

Stimmt. Wir wollten die Studierenden unterstützen, und haben vor den Filmen auch immer deren Kurzfilme gezeigt. Das schlief irgendwann ein. Jetzt ist allerdings die queere Studierendengruppe der HFF auf uns zugekommen und organisiert am Samstag eine Veranstaltung, für die sie Filmstudierende aus ganz Deutschland eingeladen haben. Wir sind zwar nicht das große Filmfest München, können aber trotzdem Dinge ermöglichen, können vor allem lokale Gruppen unterstützen und Raum für Austausch schaffen. Denn das ist auch der Grund, warum wir das QFFM machen: Wir wollen in München etwas verändern.

8. Queer Film Festival München, 10. bis 15. Oktober, verschiedene Orte in München.

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

SZ PlusHass gegen queere Menschen
:"Für uns gelten von vorneherein andere Spielregeln"

Beleidigungen, Bedrohungen, Schläge und Tritte: Homosexuelle und trans Menschen erleben in München immer wieder Gewalt. Die Dunkelziffer ist enorm, denn nur wenige Taten werden zur Anzeige gebracht. Über brutalen Hass und die, die ihn aushalten müssen.

Von Max Fluder

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: