SZ-Serie: Meter für Meter:Perlachs ganzer Stolz

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Der Pfanzeltplatz erzählt die Geschichte eines selbstbewussten Dorfes, das um vieles älter ist als München und seine Tradition bis heute hochhält.

Von Thomas Anlauf

Straßen sind die Lebensadern der Stadt. Viele sind bekannt, manche sind berühmt, andere erzählen einfach nur gute Geschichten. Ein Streifzug.

Mächtige Bauernhäuser säumen den kleinen Bach. Sie tragen stolze Hausnamen wie "Hofglaser" oder "Wasserer", so werden die Dorfbewohner noch immer genannt, auch wenn sie heute andere Nachnamen haben. Da ist auch der schmucke Schreilhof mit seinem schmiedeeisernen Tor, der in der Mitte des Pfanzeltplatzes nahe dem 36 Meter hohen Maibaum liegt. Die Zunftschilder daran erzählen von Handwerkern und Vereinen, die Bäcker, Metzger und Wirte haben ebenso eine eigene Tafel wie der Schützenverein und der Festring Perlach. Und auch der Geschichtsbrunnen am anderen Ende des Pfanzeltplatzes erinnert an eine erstaunliche Geschichte über die Perlacher und ihren Stolz.

Zunftschilder schmücken den Maibaum in Perlach. (Foto: Alessandra Schellnegger)

Als die Perlacher vor genau 30 Jahren ihren Pfanzeltplatz anlässlich der 1200-Jahr-Feier des alten Dorfes grundlegend umgestaltet hatten, fehlte eigentlich nur noch ein Brunnen. Auch er sollte im Frühherbst 1990 eingeweiht werden. Und die Alteingesessenen hatten schon Jahre zuvor Pläne entworfen und einen Baumeister auserkoren. Gottfried Hansjakob hatte einen Entwurf für einen achteckigen Brunnen vorgelegt, 40 000 Mark hatten die Perlacher bereits gespendet, um den Brunnen Wirklichkeit werden zu lassen. Doch die Stadt München hielt den Entwurf für Heimatkitsch und lehnte das Projekt ab. Schließlich lobte die Stadt einen eigenen Wettbewerb aus, den der bayerische Bildhauer Andreas Bindl gewann. Doch die Perlacher waren empört. In einer Chronik des Festrings Perlach heißt es: "Kritische Stimmen verliehen dem Modell troghaften Tränkencharakter und sprachen von einer Panzersperre für den Pfanzeltplatz."

SZ-Serie: Meter für Meter
:Der einen Glück, der anderen Leid

Am Anfang Verkehr, am Ende ein Feld - und dazwischen Gewerbeansiedlungen, mit denen Anwohner in der Triebstraße nicht immer ganz glücklich sind.

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Die Fronten waren verhärtet, die Jubiläumsfeier Perlachs war längst vorüber, und es stand noch immer kein Brunnen am Eingang des frisch umgebauten Pfanzeltplatzes. Eigens war eine Straße gesperrt worden, der Hachinger Bach verlegt und aus seinem Betonbett befreit und Bäume waren gepflanzt worden. Doch der Brunnen? Eine Tafel auf dem Platz mahnte: "Der Brunnen ist beim OB und im Stadtrat in Vergessenheit geraten, den Versprechungen folgten leider keine Taten. Inzwischen haben wir den Platz im Festjahr mit Blumen geziert und hoffen, dass sich bald eine gute Lösung finden lässt." Doch die Geschichte ging schließlich noch gut aus für die Perlacher. Ein Jahr nach dem Jubiläum und der Platzeinweihung war ein Geschichtsbrunnen vom Künstler Karl Oppenrieder fertiggestellt, der nach dem Geschmack der Dorfgemeinschaft war.

Es sind stolze Bewohner des uralten Dorfes, das bereits im Jahr 790 erstmals urkundlich als peralohc erwähnt wurde - 368 Jahre, bevor der kleine Markt Munichen in der Geschichte auftauchte. Sein damaliger Kern war das sogenannte Unterdorf, der heutige Pfanzeltplatz, der vom Hachinger Bach durchflossen wird. Auch der erzählt eine Geschichte, etwa die von den zwei zerstrittenen Müllerbrüdern, die sich gegenseitig das Wasser des Bachs streitig machen wollten. Es kam schließlich zum Streit und der eine erschlug den anderen. Der Bach, so geht die Mär, war daraufhin so erschrocken, dass er im Norden von Perlach versickerte.

Der Hachinger Bach fließt am Platz entlang. (Foto: Alessandra Schellnegger)

Doch der Bach war lebenswichtig für die Menschen dort. Er diente nicht nur als Energiezufuhr für die Mühlen, in denen von weit her Korn gemahlen wurden. Auch das Wasser war natürlich von großer Bedeutung. Heute erinnert wieder eine seichte Stelle nördlich des Pfanzeltplatzes an die ehemalige Rossschwemme dort. Und die Bauern im Unterdorf benötigten den Bach ebenso. Einige, wie die Landwirte vom Scheilhof, hatten riesige Ackerflächen - genau dort, wo heute Neuperlach steht. Als in den Sechzigerjahren die sogenannte Entlastungsstadt gebaut werden sollte, verkauften die Bauern ihre Grundstücke und wurden richtig reich. "Seit damals gibt es hier keine Bauern mehr", sagt Uli Walter. Der Softwareentwickler ist seit vielen Jahren Leiter des örtlichen Heimatarchivs und stellvertretender Vorsitzender des Festrings Perlach.

Seit zwei Jahrzehnten beschäftigt sich der 62-Jährige mit der Geschichte Perlachs, er selbst lebt in der Nähe des Pfanzeltplatzes und kommt dort täglich vorbei. Walter führt regelmäßig Interessierte über den Platz und durch die angrenzenden Straßen. Wie ein großes Freilichtmuseum wirkt der Pfanzeltplatz mit seinen stattlichen Höfen und den vereinzelten Stadthäusern aus der Jahrhundertwende. Fast alle Häuser sind denkmalgeschützt, der Platz ist ein erhaltenswertes Ensemble. Im Schreilhof etwa gab es lange Zeit ein eigenes Backhaus und sogar eine Brennerei. "Dort haben die Bauern ihre Kartoffeln hingebracht, das gab mehr Geld, als wenn sie es am Markt verkauft hätten", erzählt Uli Walter.

Nebenan thront die Pfarrkirche St. Michael aus dem Jahr 1732, die innen überraschend prunkvoll ausgestattet ist. Sie sei eine Filialkirche der Pfarr- und Wallfahrtskirche St. Maria Ramersdorf gewesen. Die Pilger spendeten dort viel Geld und so floss auch ein Teil in die Perlacher Kirche. In dem barocken Bau findet sich neben einer Ansicht von der alten romanischen Kirche, die wohl im 12. Jahrhundert errichtet wurde, eine Gedenktafel an Martin Pfanzelt. Der geistliche Rat und Dekan (1825 - 1912) wirkte in Perlach von 1869 bis zu seinem Tod. "Er war ein Wohltäter", sagt Uli Walter. Neben seiner geistlichen Tätigkeit weit über Perlach hinaus, war er auch Distriktschulinspektor und später noch Lokalschulinspektor und wirkte maßgeblich am Bau der Perlacher Mädchenschule mit. Auch an der Gründung der Freiwilligen Feuerwehr Dorffeuerwehr war Pfanzelt beteiligt. Das kleine Spritzenhaus steht heute noch am Platz, auch wenn die Feuerwehr längst umgezogen ist.

Historische Haus-Fassaden und Details finden sich rund um den Pfanzeltplatz. (Foto: Alessandra Schellnegger)

Das alte Dorf Perlach hat sich auch nach der Eingemeindung im Jahr 1930 seinen ländlichen Charakter bewahrt. Es gibt noch mehrere Traditionsvereine und auch einige Geschäfte strahlen noch eine Gemütlichkeit aus, die sonst in München kaum noch zu finden ist. Um die Ecke an der Ottobrunner Straße gibt es eine kleine Schuhwerkstatt, schräg gegenüber ist das Wirtshaus Hufnagel, dahinter liegt der Mohrhof, in dem es Biowaren zu kaufen gibt. Direkt am Platz hat sich auch noch das Gasthaus zur Post mitsamt Biergarten gehalten. Das Wirtshaus "Zum Bräu" des letzten Perlacher Bürgermeisters Sebastian Bauer, in dem bis zur Eingemeindung 1930 auch die meisten Gemeinderatssitzungen stattfanden, ist nun allerdings ein Hotel mit Pizzeria. Einige andere Häuser stehen leer, wie die kleine schwedische Buchhandlung und die ehemalige Sattlerei und Polsterei von Karl Schiele.

Uli Walter, der die Geschichte von Perlach in der Erinnerung der Menschen wachhalten will, ist trotz der schleichenden Veränderung des Pfanzeltplatzes klar: "Es ist das schönste Dorf in der Stadt."

© SZ vom 11.08.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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