SZ-Serie: Meter für Meter:Der einen Glück, der anderen Leid

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Der ruhigere Teil der Triebstraße. (Foto: Catherina Hess)

Am Anfang Verkehr, am Ende ein Feld - und dazwischen Gewerbeansiedlungen, mit denen Anwohner in der Triebstraße nicht immer ganz glücklich sind.

Von Christian Rost

Straßen sind die Lebensadern der Stadt. Viele sind bekannt, manche sind berühmt, andere erzählen einfach nur gute Geschichten. Ein Streifzug.

Von Osten kommend, quasi aus dem Schatten des BMW-Vierzylinders heraus, ist das Entree der Triebstraße wenig beschaulich. An der Schnittstelle der Stadtteile Milbertshofen und Moosach beginnt sie. Als Teilstück der Bundesstraße Richtung Dachau muss sie zunächst einigen Verkehr aushalten, ehe sie dann in einer scharfen Rechtskurve unvermittelt geradeaus als Wurmfortsatz in ein Mischgebiet abzweigt, das an einem Feld endet. In der Triebstraße wirbt ein Betrieb mit dem Spruch: "Sie haben gefunden, was Sie gesucht haben, und wollen ihr Glück nun intensiv genießen."

Hoppla, denkt sich der Autofahrer, so fantastisch sieht es hier ja auch wieder nicht aus. Auf der einen Seite reihen sich ein Metallveredelungsbetrieb, ein Autoverleih und ein Konkurrenzunternehmen der Post aneinander, auf der anderen stehen Wohnblöcke, ziemlich neu, aber nüchtern. Das mutet zwar einen Tick beschaulicher an als eben noch auf der B 304, wo sich mehrere Tankstellen angesiedelt haben und sonst nicht viel los ist abgesehen vom tosenden Verkehr. Paradiesisch sind die Zustände aber keineswegs. Für einen Ortsunkundigen bietet es sich da an, Einheimische zu befragen.

Als Teilstück der Bundesstraße Richtung Dachau muss die Triebstraße zunächst einigen Verkehr aushalten, bevor sie dann in ein ruhigeres Mischgebiet mit Gewerbe und Wohnungen führt. (Foto: Catherina Hess)

Also parkt man kurzerhand am Randstein und spricht Sofie Brandstätter an. Die 23-Jährige ist gerade auf dem Weg zur Bushaltestelle und, wie sich herausstellt, leider mit den Gegebenheiten nicht sonderlich gut vertraut. Was die Triebstraße ausmache?, will man trotzdem wissen - und bekommt völlig ironiefrei zur Antwort: "Der breite Gehweg vielleicht." Dann grinst die Studentin und sagt: "Hier ist nicht viel los." In diesem Punkt ist sie durchaus fachkundig, weil sie aus einem kleinen Weiler in der Nähe von Würzburg stammt, also auch nicht vom Nabel der Welt. Sie habe ihren Freund besucht, der seit einigen Wochen in der Triebstraße wohne, sagt Brandstätter. Auch künftig werde sie vielleicht ein- oder zweimal im Monat vorbeischauen. Damit hat sie aber kaum eine Chance, die Besonderheiten dieser Gegend näher zu erkunden.

Da hilft schließlich Heinz Reisinger weiter. Der Mann ist Rentner, 80 Jahre alt, und blickt von seinem Küchenfenster heraus auf die Straße. Offenkundig sein Hobby. Und das hat durchaus seinen Reiz, schließlich ist auch für ihn die Gegend relativ neu. Der Linienbus Richtung Allach fährt vorbei, und Reisinger sagt: "Da sitzen wieder nur zwei Leute drin." Dabei habe sich doch heftiger Protest geregt, als das Aus der Linie diskutiert worden sei. Erst vor Kurzem ist er aus der Pressestadt im Olympiazentrum um die Ecke in den neuen Wohnblock an der Triebstraße umgezogen und schon über die lokalen Ereignisse informiert. Gerne wäre er weiter in der Olympiastadt geblieben. Doch dort würden die Wohnungen nach und nach verkauft und Mieter wegen Eigenbedarfs vertrieben, sagt der Mann. Wie es ihm nun gefällt in der neuen Lage? Reisinger lacht: "Nur alte Leute hier."

Das stimmt nicht ganz, denn der Betrieb, der mit der Suche nach dem Glück wirbt, ist ein Stundenhotel mit angegliedertem Animierschuppen, wie es Heinz Reisinger früher etwas zurückhaltender beschrieben hätte. Heute nennt der Nachbar den Laden gerade heraus "einen Puff". Das ist vielleicht nicht sehr charmant ausgedrückt, aber auch nicht falsch. Allerdings ist dort momentan nicht viel los, wie eine Nachfrage ergibt. Wegen Corona und der eingeschränkten Kontaktmöglichkeiten "sind wir zurzeit ein normales Hotel", wie eine Mitarbeiterin kurz angebunden betont. "Der Bordellbetrieb ruht." Von 25 Euro pro Stunde an sind also die Themenzimmer für Gäste zu haben. Die entsprechend ausgestatteten Räume heißen "Bayerische Alm" oder "Fetish Fantasy" - einige sind auch mit einem Pool ausgestattet - und bieten eine famose Abwechslung vom Pandemie-Alltag.

"Ist das ein Umfeld für unsere Kinder?", haben sich die Mitglieder des Bezirksausschusses im vergangenen Jahr gefragt, als in ihrer Gegend wieder einmal in Sachen Geld und Sex expandiert werden sollte. Neben Erotikläden und Spielcasinos wollte sich an der Triebstraße ein Wettbüro ansiedeln, gleich neben der Grundschule. Ein weiterer Wettladen bekundete ebenfalls Interesse. Weil das staatliche Schulamt lediglich meinte, man sei über die Entwicklung nicht erfreut, habe aber keinen Einfluss, blieb auch dem Bezirksausschuss nur der Appell: Die Stadt solle sich für mehr klassische Gewerbenutzung einsetzen. Solches Gewerbe gibt es durchaus noch in der eineinhalb Kilometer langen Straße: den Metallverarbeiter, einen großen Porsche-Händler und andere Autowerkstätten, das Outlet von Lodenfrey und natürlich einen der unvermeidlichen Burger-Brater.

Einen gewissen Charme hat die Gegend, weil gleich um die Ecke das Grün beginnt. Die Dreiseenplatte, also der Fasaneriesee, der Feldmochinger See und der Lerchenauer See, sind nicht weit entfernt. Und gleich westlich an die Triebstraße schließt sich ein Fuß- und Radweg über ein Feld an. Dieses Bild könnte völlig unschuldig für den Namen der Straße stehen, schließlich kommt das Trieb im Namen vom Treiben des Viehs in früheren Jahren zu den Gemeindeweiden von Moosach.

Am Beginn der noch übrig gebliebenen Weide steht eine Stele als Erinnerungszeichen für die Gräuel der Nationalsozialisten, die auch diesen Ort nicht verschont haben. Wo sich heute ein Skaterpark auf der Wiese befindet, misshandelte die Gestapo in einem sogenannten Arbeitserziehungslager "Arbeitsscheue" und "Bummelanten". 400 bis 500 Häftlinge waren in vier Baracken eingesperrt. Einer von ihnen war der Niederländer Dirk Koedoot, der im Oktober 1943 kurz nach seinem 18. Geburtstag an den Folgen der Folter starb. An ihn und die anderen Opfer erinnert die Stele an dieser auf den ersten Blick so unscheinbaren Straße.

© SZ vom 08.08.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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