Katholische und evangelische Kirche:Kehren die Menschen in die Kirchen zurück?

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Früher waren die Kirchen an Ostern - hier ein Archivbild aus der Frauenkirche - und Weihnachten voll besetzt, während der Pandemie blieben viele Gläubige weg. (Foto: Robert Haas)

Während der Pandemie ist die Zahl der Besucher eingebrochen. Gottesdienste wurden gestreamt oder sogar zu Hause gefeiert. Worauf die Geistlichen an diesem Osterfest setzen.

Von Andrea Schlaier

Mag sein, dass dieses Osterfest den selben Eindruck hinterlassen wird wie der 24. Dezember 2022: alles wie immer. Als wäre nichts gewesen. Wer in der mächtigen Pfarrkirche Leiden Christi noch einen Sitzplatz bei der ersten Familienmesse zu Weihnachten ohne Auflagen seit Ausbruch der Pandemie ergattern wollte, tat gut daran, eine dreiviertel Stunde vor Beginn durchs Portal zu stechen. Schon fünf Minuten später war im katholischen Gotteshaus am nordwestlichen Stadtrand auch der letzte freie Fleck auf den langen Holzbänken besetzt. Wer später kam, musste stehen.

Die Obermenzinger Pfarrfamilie zählt zu einer der lebendigen in München. Dass die Gläubigen auch hier drei Jahre lang teilweise nur nach Anmeldung mit vorbestellten Platzkarten und zeitweiligen Auflagen - "Ein gemeinsames Mitsingen ist nicht mehr erlaubt" - die Messe feiern durften, war 2022 am Hochfest der Geburt Christi kaum mehr zu spüren.

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Die Gemeinde kann sich glücklich schätzen: Durch die Coronazeit hindurch blieben ihr die Schäfchen treu. Ein Trend ist das nicht. "Die Vermutung, dass die Pandemie bestehende Entwicklungen eher wie unter einem Brennglas verstärkt, ist anscheinend nicht falsch", sagt Hiltrud Schönheit, Vorsitzende des Katholikenrates für Stadt und Region, zu deren heimatlichem Pfarrverband Menzing die Gemeinde Leiden Christi gehört. Trotzdem: Wie sich die Zahl der Gottesdienstbesucher während dieser Ausnahmesituation verändert hat, sei schwer zu beurteilen. Schon vorher habe der Zulauf abgenommen.

Die Zahl der katholischen Kirchgänger brach um 50 Prozent ein

Die Erzdiözese München und Freising führt eine Statistik über die Zahl der Kirchenbesucher an "normalen" Tagen, wie eine Sprecherin des Ordinariats, der Verwaltungszentrale, betont. 2019 zählte man noch knapp 51 000 Gottesdienstteilnehmer bei etwa 517 000 Katholiken im Stadtgebiet München. 2021 - aktuellere Zahlen gibt es nicht - waren es mit knapp 26 000 und gut 498 000 Katholiken nurmehr die Hälfte. Die Lesart der Erzdiözese: Der Rückgang der Gläubigen im Gottesdienst steht ganz klar im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie.

Der Kirchgang stand während der Pandemie im Zeichen der Hygienemaßnahmen. (Foto: Peter Kneffel/dpa)

"Sicher sind Gläubige aus Vorsicht den Gottesdiensten ferngeblieben", heißt es aus der katholischen Verwaltungszentrale. Der Einsatz vieler Ehrenamtlicher habe es ermöglicht, sie dennoch unter Einhaltung der wechselnden Auflagen zu feiern. Die Einschränkungen hätten gleichzeitig viele Gemeindemitglieder "geduldig" auf sich genommen. "Immerhin waren wir ja nach dem kompletten Lockdown um das Osterfest 2020 die ersten und lange die einzigen, die ein solches Zusammenkommen von Menschen ermöglichen konnten."

Zur Wahrheit gehört aber auch, dass den christlichen Kirchen die Mitglieder in Scharen davonlaufen - das Kreisverwaltungsreferat verzeichnete für 2022 mehr als 26 000 Kirchenaustritte - beide Konfessionen werden hier ausschließlich gemeinsam erfasst. Bei den Katholiken spielen die Missbrauchsskandale eine erhebliche Rolle.

Für die evangelische Kirche hat Landesbischof Heinrich Bedford-Strohm unlängst auf eine Studie verwiesen. "In der heutigen ausdifferenzierten Gesellschaft" werde der christliche Glaube in den Familien nicht mehr als Selbstverständlichkeit weitergegeben. Das heißt im Umkehrschluss, dass die, die gegangen sind, vorher auch keine eifrigen Kirchenbesucher waren.

Bei einem Konzert-Gottesdienst ist die Kirche wieder "bummvoll"

"Ich würde gleich mal ein Fragezeichen machen bei der vielbeschworenen zurückgehenden Gottesdienstbesucherzahl", relativiert dagegen der evangelische Stadtdekan Bernhard Liess. Dramatische Einbrüche könne er nicht bestätigen. "Wir haben Kirchengemeinden mit genau den gleichen Gottesdienstbesucherzahlen wie vor Corona und wir haben Kirchengemeinden, die sagen, wir haben einen leichten Rückgang." Eine Rolle spiele auch die Art: "Ist es ein Konzert-Gottesdienst, dann ist wieder bummvoll!"

Beispiele gefällig? Ein Geistlicher aus Baldham, das wie Teile der angrenzenden Landkreise noch zum Stadtdekanat zählt, hat seine Christvesper ins Stadion nach Vaterstetten verlegt. "Da kamen 1500 Leute. Dann denkt man doch, wow, da geht doch was!" In der Uni-Gemeinde St. Markus transferierten sie zu Corona-Hoch-Zeiten den Gottesdienst an Heiligabend ins Freie vor die Pinakothek der Moderne, "wo dieses Ufo steht. Die finden das alle klasse und wollen es auch beibehalten". Bernhard Liess spürt eher die Bereitschaft zur Veränderung.

Überhaupt hätten viele Gemeinden nach der ersten Schockstarre neue Formate entwickelt. "Unglaubliche Kreativität hat sich breitgemacht. Wie kann ich einen Kindergottesdienst ins Wohnzimmer übertragen oder Spiritualität auf dem Bildschirm erzeugen?"

Der scheidende evangelische Landesbischof Heinrich Bedford-Strohm bei einem TV-Gottesdienst in der fast menschenleeren Matthäuskirche. (Foto: Sven Hoppe/dpa)

Auch im Ordinariat der Erzdiözese München und Freising ist vom "Digitalisierungsschub" die Rede, den die Coronakrise ausgelöst habe. Seit März 2020 wird fast täglich ein Gottesdienst aus dem Liebfrauendom ins Internet übertragen, es habe sich eine regelrechte Online-Gemeinde gebildet. Zwischen 4000 und 8000 Menschen erreichten die Übertragungen an Werktagen, zwischen 10 000 und 15 000 an Sonn- und Feiertagen. Das Angebot reiche von interaktiven Osterangeboten inklusive Karfreitagsliturgie bis zu der sogenannten "Mutmacherei", eine "Persönlichkeitsschule" für Jugendliche auf Instagram.

Hiltrud Schönheit dämpft die Euphorie ein wenig: Manches was an virtuellen Gottesdiensten in den Gemeinden angeboten worden sei, sei "hochprofessionell", anderes "eher handgestrickt - was in dem begrenzten Pandemie-Zeitraum kaum einen Unterschied machte, solange persönliches Engagement spürbar war".

Diese Ostern geht der Trend in den Kirchen zu Bewährtem

Als neue Form des Gottesdienstes, die sich in der Zeit entwickelt habe, sieht sie vielmehr die sogenannte Hauskirche, wo kleine Gruppen von Gläubigen oft in Privathäusern den spirituellen Austausch suchten und diese Variante möglicherweise weiterentwickeln würden. "Außerhalb der Gemeinden", betont Schönheit. "Insofern hat die Pandemie auch zu Selbstermächtigungen geführt."

Was Ostern angeht, sind sich die Vertreterin der katholischen Laien, die Erzdiözese und der evangelische Stadtdekan einig, dass der Trend eindeutig zu Bewährtem gehe: "Ich glaube, dass dieses Jahr einfach nochmal dran ist, ähnlich wie an Weihnachten, die vertrauten Formate zu finden", sagt Bernhard Liess. Die Sprecherin des Ordinariats spricht von der Sehnsucht vieler, Ostern als höchstes christliches Fest mit seinen reichen liturgischen Traditionen feiern zu wollen - ohne "den Wunsch nach Neuem".

Auch in Leiden Christi wird die "Auferstehung des Herrn" in bewährter Form begangen. Eine dreiviertel Stunde früher wird deshalb wohl niemand kommen: Die Feier der Osternacht beginnt traditionell um 5.30 Uhr.

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