SZ-Serie Olympisches Erbe:Ein Wink mit dem Turnschuh

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Das Gesicht von Olympia 1972: Der Schwimmer Mark Spitz vermarktet sein Aussehen und seine Erfolge wie vorher kein anderer Sportler - ein Impuls für die gesamten Spiele. (Foto: AFP)

Mit einer provokanten Geste gibt der Schwimmer Mark Spitz 1972 der Kommerzialisierung des Sports einen Schub. Heute ist Olympia dank Fernseh- und Sponsorengeldern für alle ein Milliardengeschäft.

Von Konstantin Rek

Sein Schnauzer ist noch heute vielen Menschen bekannt, er war so etwas wie das Markenzeichen des amerikanischen Schwimmers Mark Spitz bei den Olympischen Spielen 1972 in München. Dabei wäre der damals 22-Jährige auch ohne Bart aufgefallen. Mit seiner engen Badehose im Design der amerikanischen Flagge und dem vollen dunklen Haar war Spitz unverkennbar. Doch nicht nur wegen seines Aussehens wurde er zum Gesicht der Spiele von 1972 - ihm gelang Geschichtsträchtiges.

Bei sieben Wettkämpfen fischte "Mark, the Shark" (Mark, der Hai), wie er genannt wurde, sieben Goldmedaillen aus dem Wasser, jedes Mal mit Weltrekord. Erst 2008 in Peking setzte sein Landsmann Michael Phelps noch einen drauf, mit acht Olympiasiegen auf einmal.

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Mark Spitz sorgte auch in anderer Hinsicht während der Spiele für Aufsehen. Nach seinem dritten Triumph, dem über 200 Meter Freistil, winkte er am 29. August 1972 mit seinen Adidas-Schuhen ins Publikum und hielt sie auch bei der Siegerehrung noch einmal deutlich sichtbar hoch - für damalige Verhältnisse ein Verstoß gegen olympische Regeln und ein mittelschwerer Eklat.

Selbst der geringste Anschein von Werbung war damals ja verpönt im Internationalen Olympischen Komitee (IOC). Andere Sportler waren wegen ähnlicher Vergehen bereits von Olympia ausgeschlossen worden, wie der österreichische Skirennfahrer Karl Schranz von den Winterspielen 1972 in Sapporo. Doch bei Spitz, dem Superstar der Spiele, reagierte der Internationale Schwimmverband (Fina) nicht. "Wir haben nichts gesehen und gehört", erklärte der Fina-Generalsekretär Harold Henning, ein Amerikaner wie Spitz. Auch das IOC mochte den Superstar der Spiele nicht bestrafen.

"Wir haben nichts gesehen", sagte der Generalsekretär des Schwimm-Weltverbandes: Mark Spitz bei seiner Geste, die von einigen Beobachtern als verbotene Werbung für eine Schuhmarke interpretiert wurde, (Foto: imago sportfotodienst)

Spitz selbst beendete unmittelbar nach den Spielen in München seine Karriere und begann, sich selbst zu vermarkten. "Ich habe 1972 aufgehört, weil ich Geld verdienen wollte", sagte er 1999 der Welt am Sonntag. Beim Sportartikel-Hersteller aus Herzogenaurach, dessen Schuhe er schon vorher demonstrativ getragen hatte, unterschrieb er seinen ersten Vertrag und verdiente damit 40 000 Dollar. Zudem warb er für verschiedene Bademoden-Ketten und auch für einen Hersteller von Rasierapparaten. Rund zwei Millionen Dollar an Werbegeldern soll Spitz allein in den zwei Jahren nach 1972 verdient haben. "Mit mir begann die Kommerzialisierung des Sports", fand er.

Dem widerspricht Jörg Krieger, Sporthistoriker an der Aarhus University in Dänemark: "Spitz nimmt in der Geschichte des Sports eine wichtige Rolle ein, aber er war nicht einer der treibenden Kräfte der Kommerzialisierung." Krieger verweist darauf, dass das IOC seine ersten Fernsehgelder bereits 1956 bei den Spielen in Melbourne eingenommen habe. In jenem Jahr veränderte sich auch die Berichterstattung über Sport. Zuvor sei er nur Nachricht gewesen und nichts, wofür die Menschen bezahlen mussten.

"In Melbourne wurde er als Unterhaltung definiert, so wurden die Spiele zum Produkt", erklärt Krieger. Zu den Einnahmen im Jahr 1956 nannte das IOC keine Zahlen, 1960 in Rom waren es insgesamt 1,2 Millionen US-Dollar. Als in München 1972 die Spiele zum ersten Mal in Farbe übertragen wurden, übersprangen die TV-Einnahmen die Zehn-Millionen-Dollar-Marke und stiegen auf 17,8 Millionen. Inzwischen sind die Fernsehgelder die größte Einnahmequelle des IOC: Für die wegen der Corona-Pandemie von 2020 nach 2021 verschobenen Spiele in Tokio sammelte das Organisationskomitee 3,1 Milliarden Dollar ein.

Markanter Einschnitt der Entwicklung: die privat finanzierten Spiele in Los Angeles 1984

Auch die Bedeutung von Sponsoren nahm laut Krieger bereits in den Sechzigerjahren des vergangenen Jahrhunderts zu; insbesondere die Brüder Adolf und Rudolf Dassler, die mit ihren Marken Adidas und Puma den Schuh- und Sportartikelmarkt beherrschten, trieben die Kommerzialisierung voran und statteten Athleten zu Werbezwecken aus - siehe Mark Spitz' Geste in der Münchner Schwimmhalle.

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Es war ein subversiver Akt, offiziell verbot die Amateurregel des IOC den Athleten damals ja noch, Geld für ihre sportliche Betätigung anzunehmen. Doch das änderte sich beim IOC-Kongress 1981 in Baden-Baden. Dort wurde die Zulassungsregel 26 reformiert, der strenge Amateurstatus abgeschafft und den Profisportlern die Tür zur künftigen Teilnahme geöffnet. Die Professionalisierung der Athleten, die 1988 durch Tennis und 1992 durch Basketball sichtbar wurde, ist ein Kapitel für sich, trug aber zur Beschleunigung der Kommerzialisierung nicht unwesentlich bei.

Markanter Einschnitt dieser Entwicklung waren die Spiele 1984 in Los Angeles - die ersten, die rein privat finanziert wurden. Durch ein cleveres Marketing- und Sponsoren-Konzept verzeichnete das nationale Organisationskomitee unter Leitung des geschäftstüchtigen Unternehmers Peter Ueberroth einen Gewinn von rund 230 Millionen US-Dollar. Zum ersten Mal hatten die Spiele Profit generiert. Ein Modell für den damaligen IOC-Präsidenten Juan Antonio Samaranch, der ebenfalls an den Spielen verdienen wollte.

Bei der Vergabe der Spiele für 1996 wird deutlich: Kommerz schlägt Tradition

Während seiner Amtszeit gründete das IOC 1985 das Sponsorenprogramm "The Olympic Partners" (Top). In den ersten vier Jahren brachten acht Unternehmen dem IOC insgesamt 96 Millionen Dollar ein. Aktuell gibt es 14 solcher Top-Sponsoren, die dem IOC alleine zwischen 2018 und 2021 zwei Milliarden Dollar beschert haben. Zu diesen Geldgebern gehören globale Großkonzerne wie Coca-Cola, Samsung oder Omega. Sie nehmen durchaus auch Einfluss auf Entscheidungen des IOC, erstmals auffällig wurde das bei der Kür des Ausrichters für 1996.

Anlässlich des 100-jährigen Jubiläums der Olympischen Spiele hatte sich Athen als Austragungsort beworben, Ursprung der neuzeitlichen Spiele und Hauptstadt des Landes, aus dem das antike Vorbild stammt. Doch den Zuschlag erhielt Atlanta - der Hauptsitz von Coca-Cola: Kommerz schlug Tradition. In jüngerer Vergangenheit entdeckte das IOC vor allem die neuen lukrativen Märkte in Asien für sich. Durch die Vergabe der Spiele nach Peking 2008 (Sommer) und 2022 (Winter), Pyeongchang 2018 (Winter) sowie Tokio 2021 (Sommer) gewann das IOC einige asiatische Sponsoren wie Alibaba oder Toyota für das Top-Programm.

"Das IOC hat zwar weiterhin die Regel, dass die Sportstätten werbefrei bleiben müssen, alles drumherum ist dadurch aber umso mehr kommerzialisiert", hat der Sporthistoriker Krieger analysiert. Das müsse nicht unbedingt schlecht sein, sagt er: Die Fernseh- und Sponsorengelder hielten einen großen Teil der internationalen Sportwelt finanziell am Leben. Nach IOC-Angaben fließen 90 Prozent der Einnahmen zurück an den Sport, die Verbände und Nationalen Olympischen Komitees. Das sei auch der Grund, wieso die Olympischen Spiele 2021 in Tokio trotz Pandemie und fehlender Zuschauer in den Stadien stattgefunden hätten. "Die Fernsehgelder flossen ja trotzdem", sagt Krieger.

Auch die Athleten wollen beteiligt werden, am liebsten direkt

Trotzdem ist die Verteilung der Einnahmen immer wieder ein großes Streitthema. Besonders die Athleten haben es schwer. An den Gesamteinnahmen werden sie nicht direkt finanziell beteiligt. Auch in Deutschland hat das zu Auseinandersetzungen zwischen dem Deutschen Olympischen Sportbund (DOSB) und der unabhängigen Athletenvereinigung geführt. Die Sportler wollen am liebsten direkt an den Geldern des IOC teilhaben.

Zumindest ein wenig hat sich die Situation für die Athleten verbessert: Früher durften die Sportler während der Dauer von Olympischen Spielen ihre persönlichen Sponsoren nicht nennen oder in den sozialen Medien für sie werben. Außerhalb der Sportstätten und dem eigentlichen Sport ist das nun möglich. Trotzdem bilanziert Jörg Krieger: "Jeder Athlet, der nicht in einer der großen kommerziellen Sportarten wie zum Beispiel Fußball tätig ist, hat es schwer."

Nach Ansicht des Sporthistorikers müsste die Kommerzialisierung in die richtigen Bahnen gelenkt werden, dann könne sie der Völkerverständigung und der Verbreitung der olympischen Idee nützen. Unter den naheliegenden Problemen wie der Korruption in manchen Ländern leide die Begeisterung in der Bevölkerung kaum, sagt Krieger: "Wenn ein Athlet aus Deutschland erfolgreich ist, dann kann man sich damit identifizieren. Dadurch ist es den Zuschauern oft nicht so wichtig, welche Geldgeber dahinter stecken."

Der Bart ist ab: Mark Spitz hat sein Markenzeichen längst verkauft und zu Geld gemacht. (Foto: Armando Gallo/Arga Images/imago images/ZUMA Wire)

Und wie sieht die Zukunft aus? Mehr Geld, mehr Kommerz? Das erwartet der Sporthistoriker nicht zwingend. "Ich sehe da für den Moment aus den olympischen Kreisen wenig Intention", sagt Krieger. Trotzdem ist die olympische Idee längst ein Produkt, das stetig teurer wird. Ein Ende der Entwicklung ist aktuell nicht in Sicht.

Sein Markenzeichen hat übrigens auch Mark Spitz längst verkauft. 1988 rasierte er für eine Sonderprämie seinen berühmten Schnauzer ab, seitdem ist er bartlos. Seiner zweiten Karriere als Werbefigur tat das keinen Abbruch.

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