Es ist kein Denkmal für Moshe Weinberg, das da im ersten Stock des Jüdischen Museums steht, jedenfalls kein klassisches. Aber es ist ein bewegender Erinnerungsort für den israelischen Ringertrainer, der am 5. September 1972 das erste Opfer der palästinensischen Terroristen wurde: eine Comiczeichnung des Olympiastadions an der Wand, davor nur drei Hocker und einige Exemplare von Nina Praders Graphic Novel "Die Ringenden", in die man sich hier in völliger Ruhe vertiefen kann.
Sie habe nicht die bekannten Bilder des Olympia-Attentats reproduzieren wollen, sagt die Künstlerin Prader, "keine Hubschrauber und Maskenmänner". Und es sei ihr auch ein Anliegen gewesen, nicht Weinbergs Tod in den Mittelpunkt zu stellen, sondern sein Leben. Dafür hat Prader in ihrer Recherche ausführlich mit Mimi und Guri Weinberg gesprochen, Moshes Witwe und Sohn, der einen Monat alt war, als der Vater starb. Auf diese Weise kommen die Leserinnen und Leser der Graphic Novel dem Menschen Weinberg nahe und erfahren etwa, dass er am liebsten nicht Moshe genannt werden wollte, sondern Muni.
Mit Nina Praders gezeichnetem Denkmal für Muni Weinberg endet das Erinnerungsprojekt "Zwölf Monate - Zwölf Namen", das sich schnell zu einem Herzstück des Münchner Gedenkjahres 2022 entwickelt hatte. Jeden Monat widmete sich eine Installation oder Ausstellung, eine Schulaktion oder Sportveranstaltung einem anderen Opfer des Olympia-Attentats, und das an wechselnden Orten in München und Fürstenfeldbruck. Das Jüdische Museum hatte, unterstützt vom NS-Dokumentationszentrum und dem israelischen Generalkonsulat, zahlreiche Kooperationspartner ins Boot geholt. Am Freitag zogen die Organisatoren nun Bilanz - über ihr Projekt, aber auch kritisch über die Münchner Bemühungen um ein würdiges Erinnern.
Ein Dokumentationsband des Projekts ist gerade erschienen
"Unsere Aufgabe ist es, die Erinnerung wachzuhalten, an jeden einzelnen Menschen, der damals sein Leben verloren hat", sagte Bürgermeisterin Katrin Habenschaden (Grüne) auf dem Podium im Foyer des Jüdischen Museums. Genau das habe die Reihe "Zwölf Monate - Zwölf Namen" vorbildlich geschafft. Die israelische Generalkonsulin Carmela Shamir verlas auf der Bühne die Namen der zwölf Ermordeten und sagte: "Viele Jahre lang hat ihnen der Tod ihre Namen gegeben. Jetzt ist es ihre Liebe." Der Dokumentationsband des Projekts, gerade beim Leipziger Verlag Hentrich & Hentrich erschienen, dürfte unter den vielen Publikationen zum Olympia-Attentat die erste sein, die sich ausschließlich auf die Opfer konzentriert. Herausgeberin Angela Libal hat darin auch zahlreiche berührende Fotos aus dem Privatbesitz der Hinterbliebenen zusammengetragen.
Bernhard Purin, der Direktor des Jüdischen Museums, hält das Jahr 2022 in der Rückschau für eine Zäsur: "Nach fünfzig Jahren ist es jetzt gelungen, das Olympia-Attentat zum Teil des kollektiven Gedächtnisses der Stadt München zu machen." Dass er den Weg zu diesem Ziel unnötig schwierig fand, verschwieg Purin nicht. Bei der allerersten Pressekonferenz zum Olympia-Jubiläum mit städtischen Vertretern im Mai 2021 sei das Attentat "weder in den Wortmeldungen noch in den Presseunterlagen auch nur mit einem Wort erwähnt worden". Dieses Versäumnis habe für ihn und andere erst den Anstoß gegeben zu einem eigenen Gedenkprojekt.
Purin deutete auch an, dass es einen Offenen Brief der israelischen Generalkonsulin gebraucht habe, um manche Vertreter der Stadt für die Bedeutung des Gedenkens zu sensibilisieren. Sein Dank für Habenschadens Unterstützung, die bei der Stadt nicht überall selbstverständlich gewesen sei, wurde von vielen im Publikum als Spitze gegen Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) verstanden. Allseitiges Lob durfte dagegen stellvertretend Anna Ulrike Bergheim entgegennehmen, die Vorsitzende des Historischen Vereins Fürstenfeldbruck: Dort werde der Opfer des Anschlags schon viel länger und intensiver gedacht als in München. Auch bei "Zwölf Monate - Zwölf Namen", so Bergheim, sei das Brucker Land sechs Mal beteiligt gewesen.
"Erinnerung ist keine Bürde, sondern eine Chance", sagte dann Christian Springer als letzter Redner. Der Kabarettist hatte mit seiner Initiative "Schulterschluss" unter anderem eine Begegnung junger Fechter aus Israel und Deutschland unterstützt, im Gedenken an den ermordeten Fechttrainer Andrei Spitzer. Springer kritisierte den deutschen Umgang mit den israelischen Hinterbliebenen. Dass es wenige Tage vor der zentralen Gedenkfeier in Fürstenfeldbruck Anfang September noch keine Verständigung über eine Entschädigung gegeben habe, sei "eine große Schande". Er habe sich noch nie so "für mein Land geschämt wie dieses Jahr".
Einig waren sich die Podiumsteilnehmer in der Überzeugung, dass die Erinnerungsarbeit nach dem Gedenkjahr 2022 nicht einfach enden dürfe. Und manchmal, so Springer, auch Folgen haben müsse. Er kündigte einen Vorstoß an, den Brundageplatz im Olympiapark umzubenennen, der den Namen des Amerikaners Avery Brundage trägt, der 1972 Präsident des Internationalen Olympischen Komitees (IOC) war. "Der Brundageplatz muss weg", sagte Springer. Brundage sei ein Antisemit gewesen und habe "schon 1936 bei den Spielen in Berlin Hitler gehuldigt".
In den USA habe das bereits zu Konsequenzen geführt. Tatsächlich hat das Asian Art Museum in San Francisco, die Heimstätte von Brundages persönlicher Kunstsammlung, die Bronzebüste seines Stifters im Juli 2020 aus dem Foyer entfernt. Brundages antisemitische und rassistische Äußerungen seien gut dokumentiert, teilte das Museum damals zur Begründung mit. Die Münchner Debatte hat Christian Springer nun eröffnet.