Oktoberfest:"Man muss das spüren, das Derbe"

Mit großem Aufwand dreht der BR eine historische Serie, die 2020 ins Fernsehen kommt. Sie handelt vom Oktoberfest und dem rasanten Wandel des Biergeschäfts um die Jahrhundertwende.

Von Wolfgang Görl

Drehort ist ein altes, verlassenes Wirtshaus in Deutenhausen im Landkreis Dachau, es riecht muffig nach feuchtem Holz, in den Raum neben der Wirtsstube dringt nur wenig Tageslicht. Hier haben sich etwa zehn Leute der Filmcrew postiert, sie blicken gebannt auf zwei Monitore, während die Brauerswitwe und Wirtin Maria Hoflinger, gespielt von Martina Gedeck, mit einer Brotzeit die düstere Stube betritt, in der ein paar Bierdimpfl hocken.

Ein Mann kommt herein, Schnauzbart, Gehrock, herrische Manieren. Die ganz in Schwarz gekleidete Wirtin bringt zwei Bierkrüge, man verhandelt. Das Gespräch läuft schief, am Ende wirft der Mann, der Brauunternehmer Curt Prank (Mišel Matičević), missmutig eine Münze auf den Tisch und geht. Maria Hoflinger steckt das Geld beiläufig in den Beutel, der an ihrem Gürtel hängt.

Die Szene, die am gestrigen Mittwoch in Deutenhausen gedreht wurde, ist Teil einer sechsteiligen historischen Serie, die im nächsten Jahr im Ersten in Doppelfolgen auf den TV-Bildschirm kommt. "Oktoberfest - 1900" lautet der Arbeitstitel des Filmprojekts, und nach allem, was am Set zu sehen und zu hören ist, wird es ein großes Drama, in dessen Mittelpunkt der Kampf zweier Brauerei-Clans um die wirtschaftliche und gesellschaftliche Vormachtstellung in München steht.

Worum es unter anderem geht, ist in der kurzen Szene in der Wirtsstube schon mal angedeutet: Auf der einen Seite das alte München, die Tradition, der bodenständige Deibel-Bräu der Familie Hoflinger, und auf der anderen Seite die neue Zeit, der sogenannte Fortschritt, die industrielle Bierproduktion, mit welcher der aus Berlin stammende und über Franken nach München gekommene Großbrauer Curt Prank - historisches Vorbild ist der Großgastronom Georg Lang, der 1898 die erste riesige Oktoberfesthalle errichtet hat - die Stadt und nicht zuletzt die Wiesn beglücken will.

"Es geht um den Wandel", sagt Mitproduzent Alexis von Wittgenstein, der die Idee zu der Serie hatte. Und was würde den Wandel, von dem Bayern und vor allem München in der Zeit um die Jahrhundertwende ergriffen worden ist, besser verkörpern, als das Brauereiwesen, damals der größte Arbeitgeber in der Stadt?

Die kapitalistische Dynamik schuf unerbittlich Fakten: Die kleinen Brauereien gingen eine nach der anderen zugrunde, übrig blieben die großen Produktionsstätten der Bierbarone, die das Bier in industrieller Manier brauten - und dies in einer Stadt, die ständig wuchs, die umtriebig war, konservativ und fortschrittlich, und in der, jenseits des ökonomischen Treibens, die Boheme den Aufbruch in die künstlerische Moderne unternahm.

Die Regie führt Hannu Salonen, der sich unter anderem mit der Ferdinand von Schirach-Verfilmung "Schuld" einen Namen gemacht hat. "Es darf kein zu glatter Film werden", sagt er. "Er muss nach etwas schmecken, muss nach was riechen, man muss das spüren, das Derbe." Der kurze Trailer, der am Set zu sehen war, nährt die Hoffnung, dass dies gelingen könnte.

Allein die Kulissen sind beeindruckend. Irgendwo im tschechischen Hinterland hat man eine alte Brauerei gefunden, die noch so aussieht, wie die Kleinbrauerein im alten München ausgesehen haben könnten. Und dann das Oktoberfest von anno 1900, das man nach historischen Fotos in Prag aufgebaut hat. Schauspielerin Brigitte Hobmeier, die das zum Höhenflug ansetzende Biermadl Colina Kandl (die schöne Coletta Möritz, die "Schützenliesl", lässt da aus dem Jenseits grüßen) verkörpert, war geradezu überwältigt, als sie die Wiesn-Replik auf einer Wiese in Prag betrat: "Die Kulisse war so groß, so bombastisch, und alles sah so lebendig aus."

Man darf ja nicht zu viel verraten, aber mit schlechtem Gewissen sei hier gesagt, dass es in dieser Serie nicht ohne Blutvergießen abgehen wird und dass auch Freunde und Freundinnen dramatischer Liebesgeschichten nicht zu kurz kommen werden. Hin und hergerissen zwischen familiärer Pflicht und amourösen Gefühlen ist nicht zuletzt die Großbrauerstochter Clara Prank, in deren Rolle Mercedes Müller schlüpft.

Überhaupt ist zu hören, dass die Drehbuchautoren Ronny Schalk und Christian Limmer Frauenfiguren geschaffen haben, die sich nicht in die traditionelle Rolle der Ehefrau und Mutter fügen wollen. Vor allem Maria Hoflinger, die tapfere Witwe, ist eine Frau, die gleichsam bis zur letzten Patrone kämpft, um ihre Familienbrauerei zu retten. "Sie ist sehr brachial, und sie führt einen großen Kampf", sagt ihre Darstellerin Martina Gedeck. "Sie ist seelisch verletzt und traumatisiert, aber daraus schöpft sie auch Kraft."

Natürlich muss man abwarten, ob die pulsierende und vor Antagonismen fast berstende Stadt, die München um 1900 war, in der Serie mehr ist als nur pittoreske Kulisse. Produzent Alexis von Wittgenstein und Drehbuchautor Ronny Schalk versichern, sich in die historische Materie vertieft zu haben. Auch das Proletariat, das zu dieser Zeit in München politisches Selbstbewusstsein entwickelt, wird im Film vorkommen, und es versteht sich fast von selbst, dass auch die Boheme ein Rolle spielt.

Ludwig Hoflinger, der Sohn der Brauereibesitzerin, liebäugelt sogar mit dem freien, die Konventionen sprengenden Leben, das die Künstlerinnen, Künstler, Spinner, Käuze und Mitläufer in Schwabing führen. Und die Bohemen, verrät Wittgenstein, wird sich schon am folgenden Drehtag in Gestalt einer ihrer prominentesten Akteure am Drehort zeigen. Franziska zu Reventlow (Ines Hollinger), die schöne geistreiche Gräfin, bekommt ihren Auftritt. Es ist alles vorbereitet, damit München endlich mal wieder richtig leuchtet.

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