OEZ-Attentat:Die Opfer sollen nicht vergessen werden

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Gedenken - aber auch Protest gegen rechte Terrortaten, die als Einzelfälle gesehen werden. (Foto: Catherina Hess)

Angehörige und Vertreter der Stadt gedenken der neun Menschen, die vor sieben Jahren bei einem rassistischen Anschlag am Olympia-Einkaufszentrum ermordet wurden. Die Stadt München wird nun die Pflege der Gräber übernehmen.

Von Nicole Graner

Vor sieben Jahren sind am 22. Juli am Olympia-Einkaufszentrum (OEZ) neun Menschen einem rassistischen Attentat zum Opfer gefallen. Für neun Familien und Freundeskreise gibt es seitdem ein Davor und Danach. Am Samstagnachmittag haben die Angehörigen und die Stadt München bei einer gemeinsamen Feier der Ermordeten gedacht. Viele Menschen haben daran teilgenommen. Auch zur Gedenkdemonstration, die von der Initiative "München erinnern!" organisiert worden ist, kamen laut Polizei etwa 400 Menschen. Sie hatten eine klare Botschaft: "Erinnern heißt, sich verbünden!"

Kurz bevor sich der Zug von der Moosacher Großbeerenstraße aus Richtung OEZ in Bewegung setzt, liegen die Transparente mit auf dem Bürgersteig: "Kein Vergessen", "Rechten Terror bekämpfen". Dann sind die Namen der Toten zu lesen, an die an diesem Tag erinnert werden soll - mit weißer Schrift auf schwarzem Untergrund: Armela, Can, Dijamant, Guiliano, Hüseyin, Roberto, Sabine, Selçuk und Sevda.

Ihre Bilder und ihre Namen sind auf weiße T-Shirts aufgedruckt, die Angehörige und Freunde tragen. Ein Bild von Hüseyin zum Beispiel. Er ist 17, als er am 22. Juli getötet wird. Sein Bruder trägt das T-Shirt. Reden will er nicht. Aber man sieht es ihm an, wie er sich gerade fühlt. Wie vielen anderen auch. "Man lebt irgendwie, aber sobald dieser Tag da ist, kommt alles wieder hoch", sagt seine Freundin, die Hüseyins Bruder an diesem Tag zur Seite steht. Es fühle sich alles so an, als ob es gestern gewesen wäre.

Zum ersten Mal beginnt der Erinnerungszug mitten in Moosach, zum ersten Mal ist es nach langen Diskussionen um eine würdige Gedenkveranstaltung gelungen, dass Angehörigen sie nach ihren Wünschen gestalten.

Teil des Gedenkens, das auch in die Zukunft wirken soll: Aufruf zu Toleranz. (Foto: Catherina Hess)
Immer wieder betonen es die Angehörigen: Das Attentat war rechter Terror. Die Initiative "München erinnern!" kämpft, dafür, dass genau das nicht nur in München immer wieder bewusst wird. (Foto: Catherina Hess)
Ernst und gerührt: Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) adressiert seine Rede oft an die Angehörigen und macht deutlich, dass die Stadt nicht zulassen werde, dass diese Tat jemals verdrängt werde. (Foto: Catherina Hess)

Seit 2022 gibt es die Initiative "München erinnern!". Angehörige, Überlebende und Unterstützende wollen nicht nur gedenken, sondern auch Sprachrohr sein, sich vernetzen. Seit Januar gibt es mit dem Laden 13 im Rathaus einen Ort, an dem sich die Angehörigen treffen, austauschen und gemeinsam trauern können. Beides habe dazu beigetragen, mit allen ins Gespräch zu kommen und die Anliegen der Angehörigen besser zu verstehen, sagt Miriam Heigl von der städtischen Fachstelle gegen Rechtsextremismus und für Demokratie. "Es war wichtig, sie sprachfähiger zu machen und gleichzeitig auch zu zeigen: Ihr könnt alles bei uns abladen." Heigl hofft, dass aus der Initiative ein Verein wird. Und dass bald ein größerer Raum als im Rathaus in Moosach zur Verfügung steht. "Wir sind gerade intensiv dabei, einen Ort zu finden".

In Moosach sind Gedichte zu hören, Statements gegen rechten Terror. Die Mutter von Can, der mit 14 Jahren starb, findet klare Worte: "Ich will Can nicht dem gesellschaftlichen Vergessen überlassen", sagt Sibel Leyla. Erst dreieinhalb Jahre nach der Tat wurde der Anschlag als "rassistisch motiviert" eingestuft. Wir sind hier, wir sind da, weil es rechter Terror war", rufen die Angehörigen. Das gilt nicht nur für den OEZ-Anschlag, sondern auch für andere Attentate. Wie das Oktoberfest-Attentat, bei dem die Einzeltäter-Theorie umstritten ist. Angehörige und Überlebende des Anschlags im September 1980 ziehen an diesem Tag auch mit.

Manchmal laut, manchmal auch leise, bewegt sich der Zug durch die Pelkovenstraße. Menschen bleiben stehen, einige schauen aus den Fenstern. "Ja", sagt eine ältere Frau am Wegesrand, "an den Tag kann ich mich noch genau erinnern." Ebendies wollen alle, die mitlaufen: Erinnern, damit nichts vergessen wird.

Der McDonald's ist während der Gedenkfeier geschlossen, dann geht das Geschäft weiter

Die Hanauer Straße ist auf Höhe des OEZ gesperrt. Auch der McDonald's, in dem der Täter um sich schoss und fünf Menschen tötete, hat während der Gedenkfeier zu. Ein kleiner, weißer Zettel an der Glastür bittet die Kunden um Verständnis, dass zwischen 16 und 20 Uhr geschlossen sei. Danach sei man wieder "wie gewohnt" für Kunden da. Wie gewohnt? Geht das?

Angehörige und Freunde wünschen sich, dass McDonald's einen anderen Standort finden würde. Ein Freund des ermordeten Roberto, der 21-jährige Özgür, sagt es deutlich: "Der müsste geschlossen werden. Da fand ein Blutbad statt und jetzt wird da wieder gegessen."

"Absolut würdig" sei hingegen der Gedenkzug verlaufen, sagt Patrycja Kowalska von der Initiative "München erinnern!". Nur dass die Polizei die Abschluss-Statements früher beenden wollte, sei "unnötig gewesen". Der Grund: Bis 16.30 Uhr sei der Zug zwar angemeldet gewesen, aber eben keine Schlusskundgebung, heißt es seitens der Initiative.

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"Nichts auf der Welt", sagt Münchens Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) dann bei der offiziellen Gedenkfeier in seiner Rede, "kann dieses unfassbare Verbrechen ungeschehen machen." Auch nach sieben Jahren bleibe diese schreckliche Tat "unfassbar und unbegreiflich". Die Stadt habe sich schwergetan, erklärt Reiter, sie zu begreifen und sie damit wirklich "im kollektiven Gedächtnis zu verankern".

Das soll sich ändern. Die Stadt will an den 22. Juli erinnern, nicht nur an einem Tag im Jahr, sondern immer. Um die "Kontinuität des rechten Terrors aufzuzeigen und der Opfer zu gedenken", sagt der Oberbürgermeister, würden die Gräber der in München beigesetzten Opfer zu Gedenkgräbern. Die Übernahme der Kosten für die Grabpflege würden von der Stadt übernommen. Vor allem aber soll über die Tat aufgeklärt und die Ermordeten in den Mittelpunkt gerückt werden: Tafeln sollen so angebracht werden, dass man sie sofort wahrnehmen könne, sagt Miriam Heigl. Auch würden die Gedenkgräber im Lageplan der Friedhöfe ausgewiesen.

Blumen zum Gedenken an die jungen Opfer. (Foto: Catherina Hess)

Am Jahrestag werden Kränze am Mahnmal niedergelegt. Dann sprechen die Angehörigen, nicht nur über ihren Schmerz, sondern zu den Menschen und zu allen, die rechtem Terror etwas entgegensetzen wollen. Sie seien froh, dass die Stadt München sie jetzt wahrnehme, sie unterstütze. Da ist die Oma von Guiliano, die ihren Enkel im Herzen trägt.

Erinnern an den Enkel: die Großmutter von Guiliano Kollmann bei ihrer Rede (Foto: Catherina Hess)
An der Gedenkstätte legen Besucher auch an anderen Tagen im Jahr Blumen für die Ermordeten nieder. (Foto: Catherina Hess)

Da ist Sibel Leyla, die ihrem Sohn Can am 22. Juli noch sagte, er solle auf sich aufpassen. Da ist die Schwester von Armela. "Ich vermisse sie so sehr", sagt sie leise. Jeden Tag. "Armela hätte immer gesagt: Das Leben sei viel zu kurz, um böse aufeinander zu sein". Sie weint. Wohl auch dann noch, als viele weiße Luftballons in den blauen Himmel steigen: für Armela, Can, Dijamant, Guiliano, Hüseyin, Roberto, Sabine, Selçuk und Sevda.

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